Frau Zehavi, am Samstag wurden bei einem der Hisbollah zugeschriebenen Raketenangriff auf den Golan in der drusischen Stadt Majdal Shams zwölf Kinder und Jugendliche getötet und Dutzende Menschen verletzt. Die Hisbollah, die die Region seit dem 7. Oktober 2023 permanent beschießt, weist die Schuld von sich und behauptet unter anderem, dass es eine israelische Abfangrakete gewesen sei. Wäre das möglich?
Eine Abfangrakete kann es nicht gewesen sein, denn die explodieren am Himmel, nicht am Boden. Was Menschen verletzen kann, sind Abfangraketentrümmer, die zu Boden fallen. Deshalb haben wir Alarmsirenen, um sicherzustellen, dass die Menschen sich in die Schutzräume begeben, um nicht von diesen Trümmern getroffen zu werden. Abfangraketentrümmer können nicht zwölf Kinder töten und eine Explosion verursachen, wie sie in den Videos zu sehen ist. Es handelte sich tatsächlich um eine schwere Rakete der Hisbollah mit dem Namen Falaq 1. Die Hisbollah hat die Verantwortung für den Abschuss am Samstagabend übernommen und erst später dementiert, als sie verstanden hat, dass sie Drusen getötet hat. Sie haben mehr Angst vor den Drusen als vor den Juden.
Wie meinen Sie das?
Ein Beispiel: Im Jahr 2021 feuerte die Hisbollah aus drusischem Gebiet im Libanon einen Raketenhagel auf Israel. Der Raketenwerfer und der Hisbollah-Milizionär wurden von der dortigen drusischen Bevölkerung gefangen genommen und an die libanesische Armee übergeben. Es gibt Videos, die zeigen, wie panisch der Mann war, als die Drusen ihn stellten und ihm drohten, dass dies das letzte Mal gewesen sei, dass die Hisbollah von drusischem Gebiet Israel beschießt.
Gibt es ausreichend Iron Dome-Schutz für drusische Gemeinden?
Der Iron Dome schützt alle. Er unterscheidet nicht, ob man Jude oder Druse ist. Er fängt seit Beginn des Krieges in Nordisrael Hisbollah-Raketen ab. Aber die Topografie in diesem speziellen Gebiet ist sehr schwierig. Auf dem Gipfel des Berges befindet sich ein Armeestützpunkt, an dessen Fuß die drusische Stadt. Die Falaq 1 ist eine schwere Rakete, die langsam und in geringerer Höhe als normale Raketen fliegt, sodass es schwierig ist, sie abzufangen. Die gleichen Raketen sind während des aktuellen Krieges mehrmals in Kirjat Schmona, einer jüdischen Stadt, eingeschlagen. Die Hisbollah setzt absichtlich ungenaue Waffen ein, obwohl sie über präzise Waffen verfügt. Sie beschießt damit Armeestützpunkte und geht dabei bewusst das Risiko ein, zivile Gebiete zu treffen, um die Menschen in Terror zu versetzen. Genau das hat sie auch in diesem Fall getan. In den Augen der Hisbollah sind die Drusen Ungläubige. Und in Syrien gibt es mittlerweile eine große Opposition der drusischen Bevölkerung gegen die Regierung. Wir sollten das also in einem größeren Zusammenhang sehen.
Wie viele Raketen wurden von der Hisbollah am Samstag insgesamt auf Israel abgefeuert? Was war der Durchschnitt im Monat Juli?
Meines Wissens wurden am Samstag etwa 40 Raketen abgefeuert, nicht nur Falaq, sondern auch Grad, die leichter sind und oft verwendet werden, so wie Katjuschas. Seit Beginn des Krieges hat die Hisbollah mehr als 2500 Angriffe mit Raketen, Panzerabwehrraketen und Drohnen auf Israel durchgeführt. Die Anzahl der Angriffe war dabei die meiste Zeit ziemlich stabil. Allerdings bedeutet ein Angriff immer ein paar Dutzend Raketen. Die Zahl 2500 steht nicht für Raketen, sondern für die Anzahl der Angriffe, das heißt 40 bis 200 Raketen. In den vergangenen zwei Monaten haben wir mehr Angriffe auf Gebiete gesehen, die nicht evakuiert worden sind: Im Juni waren es 27, im Juli sind wir noch am Zählen, aber es wird mindestens die gleiche Zahl sein.
Wie lässt sich ein regelrechter Krieg vermeiden?
Die einzige Möglichkeit wäre, die Hisbollah und die Hamas dazu zu bringen, ihre Waffen niederzulegen. Das ist das Einzige, was sowohl den Libanesen als auch den Israelis eine Perspektive bieten würde. Es sieht nicht so aus, als würde das passieren, denn niemand geht gegen die iranischen Auftraggeber der Hisbollah vor. Deshalb glaube ich, dass Fortschritt nur möglich ist, wenn Israel in Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft gegen diese zerstörerische Ideologie vorgeht, die in den letzten zehn Jahren, ohne dass jemand etwas dagegen unternommen hat, erfolgreich militärische Kapazitäten aufgebaut hat, die Israel bedrohen und nun auch zu einer globalen Bedrohung werden.
Etwa 100.000 Israelis mussten ihr Leben im Norden verlassen. Können Sie sich vorstellen, dass sie in absehbarer Zeit zurückkehren?
Offiziell sind 60.000 Israelis in 43 Gemeinden evakuiert worden, aber es gibt viele mehr, die gegangen sind, die in Gemeinden leben, die nicht in der evakuierten Zone liegen, die das Gebiet von null bis fünf Kilometer Entfernung von der Grenze umschließt. Gleichzeitig sind Menschen in einige dieser Gemeinden zurückgekehrt, doch es bleiben Geisterstädte. Ich weiß nicht, wie die Menschen wieder in ihre Häuser zurückkehren sollen. Diese Frage stelle ich mir auch jeden Tag.
Sie leben und arbeiten in immer wieder beschossenem Gebiet. Wie geht es Ihnen?
Es ist nicht leicht, hier Kinder großzuziehen. Wir sind jeden Tag mit neuen Erfahrungen konfrontiert und dem Gefühl, dass die Lage, wo ich lebe, immer weiter eskaliert. Wir hören rund um die Uhr alle Geräusche des Krieges, von den Abfangraketen bis zu den Explosionen, von der IDF-Artillerie über die Drohnen der Hisbollah bis zu den Kampfjets. Ich habe in einer netten, friedlichen Stadt im Norden gelebt, und jetzt lebe ich in einem ... ich will nicht sagen Kriegsgebiet, es gibt schlimmere Gegenden, aber es gibt Tage, an denen es sich wie ein Kriegsgebiet anfühlt. Es ist sehr traurig. Wir fühlen uns vergessen und haben das Gefühl, dass wir mit etwas konfrontiert sind, das die Welt nicht wirklich versteht. Gleichzeitig haben mein Mann und ich beschlossen, dass wir hierbleiben werden. Der Galil ist unser Zuhause, und wir werden uns an dessen Wiederaufbau in der Zukunft beteiligen.
Mit Sarit Zehavi sprach Sophie Albers Ben Chamo.
Zehavi hat 2018 das Alma Research and Education Center gegründet, das die geopolitische Situation an Israels Nordgrenzen beobachtet und analysiert. Seit 2007 war sie als Offizierin im Nordkommando und lebt seitdem dort.