Es sind die letzten Augenblicke vor Jom Kippur. Die Menschen in Israel erledigen noch das Nötigste, gehen einkaufen, machen Sport, spielen mit ihren Kindern. Doch stündlich wird das alltägliche Leben langsamer. Am Abend dann ruht es völlig – der jüdische Sühnetag beginnt.
Das ganze Land legt eine Pause ein: Es fahren keine Autos oder öffentliche Verkehrsmittel, Fabriken arbeiten nicht, Flughäfen, Geschäfte und Büros sind geschlossen. Es wird still in Israel.
Seudat Mafseket Am Nachmittag treffen sich die Familien, um das letzte gemeinsame Essen, das Seudat Mafseket, vor dem traditionellen Fasten einzunehmen. Einer Umfrage des Israelischen Demokratieinstituts zufolge beteiligen sich 60,5 Prozent der jüdischen Bevölkerung an dem gemeinschaftlichen Fasten, bei dem sowohl auf Speisen als auch auf Getränke verzichtet wird. 27,5 Prozent geben an, wie sonst auch zu essen, fünf Prozent wollen zumindest trinken, und sieben Prozent sind noch unentschieden.
60,5 Prozent der jüdischen Bevölkerung fasten.
Im Vergleich zum Jahr 2000 haben sich diese Zahlen wenig verändert. Damals waren es 63 Prozent, die fasteten. Allerdings ist die Zahl seit 1994 stark gesunken. Vor 25 Jahren hatten 73 Prozent erklärt, auf Speisen und Getränke zu verzichten. In die Synagoge wollen etwa 23 Prozent der jüdischen Israelis gehen, um an allen Gottesdiensten teilzunehmen.
Schofar 19 Prozent planen, wenigstens einmal an diesem Jom Kippur dabei zu sein. Zwölf Prozent kommen ins Gotteshaus, um dort nach dem Ende der 25-stündigen Fastenzeit das Schofar zu hören. In Jerusalem beginnt Jom Kippur um 17.40, in Tel Aviv um 17.55 Uhr. Er endet am Mittwoch um 18.51 beziehungsweise 18.53 Uhr.
Polizei und medizinische Dienste haben an diesem Tag nicht frei.
Die Behörden sind bereits seit Tagen damit beschäftigt, das Leben für den höchsten Feiertag im jüdischen Kalender anzuhalten. Polizei und medizinische Dienste haben an diesem Tag nicht frei. Im Gegenteil, sie sind auf Tausende zusätzliche Notrufe eingestellt, vor allem von Schwangeren, bei denen die Wehen einsetzen. Aber auch auf Ohnmachtsanfälle wegen des Fastens und auf viele Fahrradunfälle.
Fahrrad Denn die leeren Straßen werden wie jedes Jahr die Räder übernehmen. Zur großen Freude der Kinder. Für viele säkulare Israelis ist Jom Kippur der Tag der Fahrräder, Roller und Skateboards, an dem es überall rollen darf – auch dort, wo sonst Autos Vorfahrt haben.
In Jerusalem waren die Sicherheitskräfte am Montag in Alarmbereitschaft versetzt. Mehrere Tausend Gläubige pilgerten zur Kotel, um am letzten Selichot-Gebet teilzunehmen, das von den Oberrabbinern David Lau und Yitzhak Yosef geleitet wurde. Die traditionellen Bußgebete werden im Monat Elul vor Rosch Haschana und Jom Kippur gesprochen.
Gnade Auch Präsident Reuven Rivlin besinnt sich dieser Tage auf die innere Einkehr. Er besuchte ein Hostel, in dem ehemalige Häftlinge nach ihrer Entlassung wohnen, und ein Zentrum für junge ehemalige Gefängnisinsassen und sprach mit den Menschen. Viele von ihnen hatten den Präsidenten um Gnade ersucht.
Er sagte: »Nach dem Monat der Selichot und während der zehn Tage der Buße ist nun die Zeit der Vergebung gekommen. Darum zu bitten und sie zu gewähren – als Individuen und als Gesellschaft.«