Unternehmerin

Die Cyber-Kämpferin

Shira Kaplan diente in der israelischen Eliteeinheit 8200. Heute rüstet sie Firmen mit israelischer Sicherheitssoftware aus

von Nicole Dreyfus  25.08.2024 08:24 Uhr

»Wir müssen fünf oder zehn Schritte voraus sein, um zu überleben«: Shira Kaplan (40) Foto: Natascia Kleiner

Shira Kaplan diente in der israelischen Eliteeinheit 8200. Heute rüstet sie Firmen mit israelischer Sicherheitssoftware aus

von Nicole Dreyfus  25.08.2024 08:24 Uhr

»Viele Menschen in der Schweiz schließen hinter sich die Tür nicht ab, wenn sie das Haus verlassen. Ich habe mir das mittlerweile auch angewöhnt«, erzählt Shira Kaplan. Sie ist eigentlich eine Frau, die ihr Leben der Sicherheit verschrieben hat. Sie rüstet Firmen aller Industriebranchen mit israelischer Schutzsoftware aus. Aber das Sicherheitsempfinden im Alltag sei ein völlig anders als jenes in der digitalen Welt. »Dort gibt es weder Berge noch Grenzen.« Die 40-Jährige sagt dies mit viel Nachdruck - und beißt von ihrem Schokoladen-Croissant ab.

Heute lebt die Unternehmerin in der Nähe von Zürich

Als sie 18 war, diente Shira Kaplan in der Eliteeinheit 8200 für Cyber Security in der israelischen Armee. Heute lebt die Unternehmerin und Mutter dreier Kinder in einem Vorort Zürichs. Was sie in ihrer Einheit damals gelernt hat, hilft ihr heute als Basis für ihr Unternehmen Cyverse, das acht Mitarbeiter hat. Die Bedrohung durch Cyberangriffe sei seit dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine 2022 weltweit gestiegen, sagt sie. Deshalb sei auch das Interesse sehr hoch, gute Produkte auf den Markt zu bringen, die den digitalen Raum schützen. Kaplan blickt auf ihr Telefon. Keine Nachricht, kein Anruf. Sie hat Zeit, immer genug, aber nie zu viel.

Shira Kaplan ist eine Frau, die den Raum, in dem sie sich aufhält, mit sehr viel Präsenz erfüllt, eine Frau, die man immer im Businessanzug und mit Absatzschuhen antrifft. Sie arbeitet schon seit Jahren im Bereich der Cybersicherheit. Nach Tätigkeiten in börsennotierten Unternehmen wie Teva Pharmaceutical Industries oder der Bank Julius Bär & Co., zuerst in Tel Aviv und danach in Zürich, gründete sie 2016 am Zürichsee ihr eigenes Unternehmen, das hochmoderne Cybersicherheitslösungen aus Israel für globale und lokale Unternehmen in Europa bereitstellt.

»Wenn man einen Gegner wie die Hamas hat, kann man sich nicht nur auf Technik verlassen.«

Was führte die Israelin aus Herzliya in die Schweiz? Kaplan lacht: »Das waren familiäre Gründe. Mein Mann nahm eine Stelle in Zürich an.« Mittlerweile versteht sie auch gut Schweizerdeutsch, spricht aber selbst lieber Hochdeutsch oder Englisch. Kaplan sieht sich als Türöffnerin für Schweizer Firmen mit sicherheitskritischer Umgebung und einem Bedarf an professioneller Beratung in Sachen »Cyber Security«.

Laut dem US-Wirtschaftsmagazin »Forbes« beträgt der Schaden, den Cyberkriminalität bei Firmen weltweit anrichtet, jährlich rund 9000 Milliarden Franken, Tendenz steigend. Daher investiert Kaplan in israelische Start-up-Unternehmen, die diese Softwareprodukte entwickeln, wenn diese noch relativ klein sind. Sobald die Firmen ein gewisses Wachstum erreicht haben, werden sie an Großkonzerne verkauft, um die Cybersoftware dort zu implementieren. Durch ihre Beteiligung gelang es Kaplan bereits, zehn israelische Softwarefirmen in Konzernen wie CheckPoint and Cisco oder Palo Alto Networks zu integrieren. Als Kapitalbasis dient ihr ein Pool verschiedener Investoren. Natürlich spiele ihr hier die Digitalisierung in die Hände, das sei »ein Paradies für Investoren«.

Aber Cybersicherheit sei gleichzeitig auch ein »Pflastermarkt«. Sie macht eine Bewegung, als würde sie den Tisch mit Pflastern zukleben. Man sei in dem Bereich immer nur am Schützen. »Die Hacker bewegen sich schneller als diejenigen, die die Inhalte verteidigen.« Die Arbeit gleiche einem Rennen mit einer Start-, aber keiner Ziellinie. Und es sei sehr schwierig, es zu gewinnen, gesteht sie.

Was treibt die ehemalige Harvard-Absolventin an, sich an diesem Rennen zu beteiligen? Mit Tempo scheint sich Kaplan auszukennen. »Wir müssen fünf oder zehn Schritte voraus sein, um zu überleben«, sagt sie und meint damit nicht nur den geschäftlichen Bereich. Sie sei nicht blauäugig. Mit klarem Blick spricht sie Israels aktuelle Situation an. »Israel muss innovativ sein, um nicht von der Landkarte zu verschwinden. Die Nachbarländer wollen nicht, dass es Israel gibt. Also braucht es Erfindergeist.«

Aber wie erklärt sie, die als Geheimdienstanalystin in einer Eliteeinheit tätig war, dass genau dieser Geheimdienst im Vorfeld der Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 dermaßen versagt hat? Darf sie überhaupt darüber sprechen? »Die Einheit hat sich zu sehr auf die Technologie verlassen«, sagt Kaplan nach einem kurzen Moment des Nachdenkens. Es sei ein Signal dafür gewesen, wie Digitalisierung auch scheitern könne. »Am schlimmsten war, dass unsere Geheimdienstgemeinschaft zu stark von Technologie und KI abhängig wurde und zu wenig auf menschliche Intelligenz und gesunden Menschenverstand achtete.« Keine Maschine der Welt könne den Menschen ersetzen. »Technologie kann nur mit dem Kopf genutzt werden. Sie hilft uns, aber wir müssen zuhören, sprechen, verstehen – auch die andere Seite.«

Nach dem 7. Oktober verfiel sie kurz in eine Schockstarre

Nein, sie sehe sich nicht als Friedensaktivistin. Wenn man einen Gegner habe wie Israel die Hamas, dann könne man sich nicht einfach nur auf Technik verlassen. Da brauche es in erster Linie »Manpower und Kopfarbeit«. Sie selbst sei nach dem 7. Oktober kurz in eine Schockstarre verfallen, erzählt Kaplan. Doch als nach Gesprächen mit israelischen Geschäftspartnern, die sie aus dem Bunker anriefen, klar wurde, dass es weitergehen würde, war auch für die Unternehmerin klar: »Bloß nicht aufgeben! Das ist unsere Strategie.«

Immer weitermachen, das war bisher auch Shira Kaplans Fahrplan. Doch der aktuelle Krieg hat die mentale Kämpferin auch persönlich eingeholt. Kürzlich sprach sie sich öffentlich für die Tötung von Hamas-Chef Ismail Haniyeh aus. Daraufhin wurden sie und ihre Familie von einer Schweizerin, die sich für die Menschen im Gazastreifen engagiert, so massiv bedroht, dass die Polizei eingeschaltet wurde.

Shira Kaplan macht dennoch weiter – insbesondere in einer Situation wie dieser. Das tat sie auch schon ganz früh, nachdem sie sich entschieden hatte, im Ausland auf die Schule zu gehen. So war sie bereits mit 16 Jahren Schülerin in Italien, wo sie das »Collegio del Mondo Unito dell’Adriatico« in der Nähe von Triest besuchte.

Ihrer Mutter sei es zu verdanken, dass sie danach in Israel zur Armee ging, sagt sie. »Erst als meine Mama anrief und mir sagte, dass der Brief mit dem Aufruf zum Militärdienst eingetroffen sei und sie mich sozusagen an meine Pflicht als Soldatin erinnerte, realisierte ich, was mir nun bevorstand.«

Shira Kaplans Stimme klingt jugendlich, sie spricht nicht sehr schnell, wie man es von einer Geschäftsfrau erwarten würde. Sie wusste damals noch nicht, dass sie in die Einheit 8200 kommen würde, was dem Eintritt in eine Ivy-League-Universität oder, aus sportlicher Sicht, der Rekrutierung für eine der Big-Ten-Schulen für Sport in den USA entspreche. Obwohl der Militärdienst in Israel obligatorisch ist, werden nur die besten Rekruten für die Einheit für elektronische Aufklärung ausgewählt – während sie noch an der Highschool sind.

Beim Militär lernte sie, was es bedeutet, Daten zu sammeln

Ihren heutigen Erfolg führt Shira Kaplan auf die Zeit damals zurück. »Mein Verständnis für Technologie, Menschen und Prozesse, mein gesamtes Geschäft basiert auf dem, was ich dort gelernt habe.« In dieser Eliteeinheit verstand sie, was es bedeutet, Daten zu sammeln. »Das hat mein Weltbild geprägt«.

Die Einheit 8200 wird oft mit der amerikanischen National Security Agency und dem britischen GCHQ verglichen und ist die größte Gruppe in den israelischen Streitkräften und die am schnellsten wachsende. Sie nimmt eine einzigartige Position im Militär ein und fungiert als Ausbildungslager, als Nachrichten- und Sicherheitsdienst, aber auch als Technologie-Inkubator.

Mit der »Jechida schmone matajim«, wie die Einheit auf Hebräisch heißt, gibt es einen roten Faden, der sich durch viele israelische Technologie-Start-ups und einige der Risikokapitalfirmen zieht, die sie finanzieren. Viele hochkarätige Technologieunternehmen wurden ursprünglich in Israel gegründet, darunter die Verkehrs-App Waze, das Business-Software-Unternehmen NICE Systems und die Sicherheitsunternehmen Palo Alto Networks und Check Point Software. Neben vielen anderen sind sie alle aus spezifischen Technologien hervorgegangen, die in Unit 8200 entwickelt und später kommerzialisiert wurden.

In Israel wurde Shira Kaplan zu den 40 führenden Unternehmern unter 40 Jahren gewählt.

So ist es vermutlich auch kein Zufall, dass Shira Kaplan im Bereich der Cybersicherheit gelandet ist. Heute versucht die Unternehmerin, die vom israelischen Finanzmagazin »Globes« zu einer der 40 Wirtschaftsführer Israels unter 40 gewählt wurde und die mehrere andere Auszeichnungen, darunter das »Seeds of Peace«-Stipendium, gewonnen hat, in der Schweiz ein sogenanntes Cybersecurity-Ökosystem aufzubauen.

»Die Schweiz bietet seit vielen Jahrzehnten physische Sicherheit und Schutz. Dies ist ein großer Vorteil, den man in der digitalen Welt nutzen kann.« Es liege daher nahe, dass das Land zum globalen Zentrum für digitales Vertrauen und Cybersicherheit werde. Jedoch habe man Schwierigkeiten, das Ganze in Gang zu bringen. »Die Schweiz wurde bisher vom Krieg verschont und war daher nicht zu militärischer Innovation gezwungen wie Israel und die Vereinigten Staaten. Innovation ist hier ein Privileg, kein Muss«, sagt Shira Kaplan mit klarem Blick auf die Realitäten. Und deshalb sei die Schweiz auch im Vergleich zu Israel weniger eine Start-up-Nation.

Also nicht schon bald ein Silicon-Mountain im Herzen Europas? Die junge Businessfrau sieht in dem Land, in dem sie seit 13 Jahren lebt, sehr viel Kapital, sowohl finanzielles als auch menschliches – aber zu wenig Risikobereitschaft. Das sei es, was sie ihren zwei Töchtern und ihrem Sohn mit auf den Weg geben wolle: Flexibilität und Selbstsicherheit. »Und niemals Angst zu haben«, wie sie hinzufügt. Denn vielleicht werden auch sie eines Tages ihr eigenes Unternehmen gründen. Wäre das denn Shira Kaplans Wunsch? In diesem Moment ist sie einfach nur Mutter: Ganz gleich, was ihre Kinder einmal erreichen werden, sie werde sehr stolz auf sie sein.

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