Fast etwas verloren wirkt Verkehrsminister Israel Katz in Tunnel Nummer drei. In Turnschuhen, gelber Leuchtweste und mit orange-farbenem Schutzhelm steht er in dieser riesigen, unendlich scheinenden Röhre und erzählt vor Mikrofonen und Kameras stolz von diesem Projekt, das ab Frühjahr 2018 alles verändern soll: »Wir stärken dadurch unsere historische Hauptstadt. Die Reisezeit zwischen Jerusalem und Tel Aviv wird sich auf eine halbe Stunde verringern. Mehr Menschen und mehr Geschäfte werden dadurch nach Jerusalem ziehen.«
Der Tunnel, in dem Katz steht, ist kalt, grau und 11,5 Kilometer lang – der längste Tunnel in ganz Israel. Er ist Teil der neuen Zugstrecke, die Tel Aviv mit Jerusalem verbindet. Rund sieben Milliarden Schekel, also rund 1,7 Milliarden Euro, kostet das Bauprojekt.
Mit einem Minibus fährt das Transportministerium Journalisten hier hindurch, und Minister Katz begründet, warum diese neue Strecke so wichtig ist: »Wir verbinden Jerusalem mit dem Rest des Landes.«
Selbstverständlich führten auch schon bisher viele Wege nach Jerusalem: die alte Zugstrecke aus der Zeit des Osmanischen Reichs zum Beispiel. Der Zug zuckelt allerdings so gemächlich durch die hügelige Landschaft, dass dafür 78 Minuten draufgehen – und in Jerusalem liegt der Bahnhof weit entfernt vom Zentrum, in Malcha.
Stoßzeiten Mit dem Auto, dem Bus oder dem Scherut kann man bei günstiger Verkehrslage Glück haben und es in unter einer Stunde schaffen. Doch Pendler müssen zu den Stoßzeiten auch mal anderthalb Stunden einrechnen. Vielleicht auch deshalb arbeiten derzeit nur knapp ein Prozent der Berufstätigen aus Tel Aviv und aus Jerusalem in der jeweils anderen Stadt. Für Pendler könnte die neue Zugstrecke tatsächlich eine Revolution bedeuten: Jerusalem und Tel Aviv, die beiden gegensätzlichen Metropolen, kommen sich näher.
In 30 Minuten schaffen es Fahrgäste dann auch in der Hauptverkehrszeit von der Mittelmeerstadt bis zum neuen Bahnhof in Jerusalem. Dieser liegt 80 Meter tief in der Erde, wenige Meter vom bisherigen Busbahnhof entfernt – und damit viel näher am Stadtzentrum.
Die Rekordfahrtzeit ist möglich, weil die Züge auf der neuen Hochgeschwindigkeitsstrecke bis zu 160 Kilometer pro Stunde fahren und zwischen Tel Aviv und Jerusalem nur einmal, am Ben-Gurion-Flughafen, halten. Im Vergleich zur alten Strecke fahren die neuen Züge nicht kurvenreich über die Berge, sondern über Brücken und durch Tunnels. Die längste der zehn Brücken ist 1250 Meter lang, der längste der sechs Tunnel misst 11,5 Kilometer und bricht damit den Landesrekord.
1500 Tonnen Die Technik und das Know-how habe man sich aus dem Ausland geholt, wo ähnliche Projekte schon vor Jahren durchgeführt worden seien, erzählt er. Dort, wo Katz steht, gruben sich beispielsweise Tunnelbohrmaschinen aus Deutschland durch die Erde: 150 Meter lange und 1500 Tonnen schwere Geräte. Sie wurden per Schiff in den Hafen von Aschdod gebracht und von dort aus in die Berge vor Jerusalem.
22 Meter weit fraßen sie sich pro Tag voran. Nach rund 15 Jahren, inklusive Planung, Budget- und Umweltproblemen sowie dem eigentlichen Bau, soll nun in gut einem Jahr der erste Zug auf dieser Strecke fahren. Vier Züge sollen es pro Stunde sein. Jeder Zug ist für 1000 Passagiere konzipiert. Das Verkehrsministerium rechnet mit vier Millionen Fahrgästen pro Jahr.
Doch so sehr Minister Katz die Zugverbindung als Aufschwung für Jerusalem auch anpreist: Kritik bleibt nicht aus. »Es gibt Leute, die sagen, Jerusalem könnte dadurch Einwohner verlieren«, weiß Jair Assaf-Shapira, Forscher am Jerusalem Institute for Policy Research. »Ich glaube, es wird wohl beides passieren: Manche werden lieber in Jerusalem wohnen und in Tel Aviv arbeiten, und andersherum.« Grundsätzlich zeigten die demografischen Daten, dass Jerusalem vor allem religiöse und traditionelle Israelis anzieht. Banken, Start-ups oder andere Unternehmen sitzen aber eher im Zentrum des Landes, in und um Tel Aviv.
Zentrum Ab 2018 könnten also beispielsweise Studenten nach ihrem Abschluss in Jerusalem wohnen bleiben, aber im Zentrum arbeiten. Doch an eine große demografische Veränderung glaubt Assaf-Shapira nicht. »Die neue Zugverbindung wird auf jeden Fall Veränderungen und mehr Bewegung zwischen die beiden Städte bringen. Aber es wird sich wohl eher auf die wirtschaftliche Entwicklung auswirken.«
Auch das verspricht Minister Israel Katz. So wurde im Oktober vergangenen Jahres auch mit dem Bau eines Kultur- und Einkaufszentrums ganz in der Nähe des neuen Jerusalemer Bahnhofs begonnen.
Es soll eine weitere Revolution für die Stadt sein, junge Menschen anziehen – und umgerechnet rund 350 Millionen Euro kosten. Bürgermeister Nir Barkat sprach bei der Eröffnung im Oktober vom berühmtesten Geschäftsviertel des Landes, bestehend aus 24 Gebäuden, 14 davon sollen Wolkenkratzer werden, rund 40.000 neue Jobs sollen hier entstehen.
Kotel Dank der neuen Bahnlinie wird dieses Geschäftsviertel auch für die Menschen aus den anderen Landesteilen schneller und einfacher zu erreichen sein. Auch Verkehrsminister Katz war bei der Eröffnung der Baustelle dabei. Er hat schon neue Pläne, die Jerusalem voranbringen sollen: Die Bahn soll irgendwann nicht nur bis zum Eingang der Stadt, sondern direkt bis zur Altstadt fahren und Besucher ohne Umsteigen an die Kotel bringen.