Diplomatie

Der Vermittler

Israels Ministerpräsident Naftali Bennett sucht nach einer Friedenslösung zwischen Russland und der Ukraine

von Sabine Brandes  12.03.2022 19:22 Uhr

Naftali Bennett
»Moralische Verpflichtung«: Naftali Bennett übermittelte Botschaften zwischen den Seiten. Foto: Flash90

Israels Ministerpräsident Naftali Bennett sucht nach einer Friedenslösung zwischen Russland und der Ukraine

von Sabine Brandes  12.03.2022 19:22 Uhr

Naftali Bennett sucht den Exit. Nicht immer war der heutige israelische Premierminister Politiker. Zuvor war er lange aktiv in Israels Start-up-Szene. Im Branchenjargon ist »der Exit« ein angestrebter Verkauf eines Produktes oder einer Idee. Bennett war dafür bekannt, gute Deals zu machen. Jetzt versucht er sich auf dem globalen politischen Parkett inmitten einer der schwersten Krisen, die die Welt in den vergangenen Jahrzehnten erlebt hat: Israels Regierungschef ist der Vermittler zwischen Russland und der Ukraine.

Am vergangenen Samstag flog er als erster westlicher Spitzenpolitiker seit Beginn des Krieges nach Moskau. Anschließend reiste er weiter nach Berlin und beriet sich mit Bundeskanzler Olaf Scholz. Und nur einen Tag später telefonierte er zum dritten Mal innerhalb von 24 Stunden mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Bennett betonte, er habe die Reisen mit Einwilligung aller Beteiligten unternommen.

»Es geht um Leben und Tod. Und so gilt der Grundsatz von Pikuach Nefesch.«

Yonatan Freeman, Hebräische Universität Jerusalem

»Außergewöhnlich« sei Bennetts Reise, ist der Experte für Internationale Beziehungen an der Hebräischen Universität in Jerusalem (HU), Yonatan Freeman, überzeugt. Zumal Bennett und sein Übersetzer, Wohnungs- und Bauminister Zeev Elkin – beide tragen als Zeichen ihrer Religiosität eine Kippa –, dafür den Schabbat brachen. »Doch es geht um Leben und Tod. Und so gilt der Grundsatz von Pikuach Nefesch«, erläutert Freeman. Dieses Prinzip in der Halacha besagt, dass der Schutz des menschlichen Lebens die religiösen Regeln außer Kraft setzt.

Bei diesem Krieg geht es um viele Menschenleben. Oberflächlich betrachtet, mag es so aussehen, als sei alles weit von Israel entfernt, doch dieser Eindruck trügt, meint Freeman. Israel sei zwar kein NATO-Mitglied, habe jedoch einen Beobachterstatus. »Und damit bekommt Jerusalem Informationen, die auch die USA haben. Sollte sich diese Krise ausweiten, muss auch Israel um sein Überleben fürchten.«

Plan Bei dem Treffen in Moskau legte Bennett jedoch keinen Plan für eine Lösung vor, sondern übermittelte Botschaften zwischen den Seiten. Freeman versteht diese neue Rolle des jüdischen Staates durchaus: »Wir sind eine westliche Nation, unser engster Verbündeter sind die USA. Zugleich sind wir Russland verbunden und haben eine große Gemeinde von russischstämmigen Israelis im Land. Wir verstehen beide Mentalitäten sehr genau.«

Außerdem könne es seiner Meinung nach sein, dass Bennett vorgefühlt habe, wo die Akzeptanzgrenzen des russischen Präsidenten liegen. Denn in keinem Fall will sich Jerusalem Russland zum Feind machen, da Putin ein bedeutender Player im Konflikt beim Nachbarn Syrien ist.

Ein besonders sensibles Thema sind Waffenlieferungen. Selenskyj bat mehrfach darum, Bennett lehnte höflich ab. »Doch wer weiß, ob das so weitergeht, sollte sich der Konflikt ausweiten«, mutmaßt Freeman. Israelische Verträge für den Verkauf militärischen Materials schließen entweder generell aus, dass es weitergegeben wird, oder es ist zumindest strikt verboten, die Güter an Israels Feinde zu liefern.

putin Die Lieferung eines Feldlazaretts aber ist bereits beschlossene Sache. Zum ersten Mal wird Jerusalem dies in ein aktives Kriegsgebiet schicken. Es wird allerdings von zivilem und nicht, wie sonst üblich, von militärischem Personal betrieben.

Nach israelischen Medienberichten sei Bennetts Eindruck übrigens gewesen, dass Putin sich »in einem rationalen Geisteszustand befinde«. Der israelische Regierungschef teile westliche Einschätzungen nicht, dass der russische Präsident möglicherweise den Verstand verloren hätte. Eine Quelle in der Nähe von Bennett wurde im Kanal 13 mit den Worten zitiert: »Putin ist weder verschwörungstheoretisch noch irrational und leidet auch nicht unter Wutausbrüchen.«

»Wir wollen auf der richtigen Seite der Geschichte stehen.«

Außenminister Yair Lapid

Stunden nach seiner Rückkehr sagte Bennett, sein Land habe »eine moralische Verpflichtung, an der Vermittlung von Friedensgesprächen zwischen Russland und der Ukraine zu arbeiten«. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit für Fortschritte gering sei, wolle man bei Bedarf helfen.

bemühungen Den Segen der USA hatte Bennett mit im Gepäck. Der amerikanische Außenminister Antony Blinken lobte die Bemühungen Bennetts bei einem Treffen mit seinem israelischen Amtskollegen Yair Lapid in Lettland. Natürlich müsse die Vermittlung im Einklang mit den Prinzipien geschehen, »die wir alle aufgestellt haben, angefangen bei der ukrainischen Regierung und dem ukrainischen Volk, das seine Souveränität, seine Unabhängigkeit und seine territoriale Integrität haben muss«, sagte er zu Lapid.

Dieser machte klar, dass Israel zwar daran arbeite, zwischen Russland und der Ukraine zu vermitteln, aber nicht schweige, sondern die russische Invasion verurteilt habe und dies immer noch tue. »Wir wollen auf der richtigen Seite der Geschichte stehen.« Bennett selbst indes hat es bislang vermieden, Russland oder Putin direkt zu kritisieren.

Lapid sprach bei dem Treffen mit Blinken auch die Sorge seines Landes im Hinblick auf ein neues Atomabkommen mit dem Iran an. Und die sei dem Experten Freeman zufolge nicht unbegründet. Es gebe verschiedene Gründe dafür: »Erstens stärkt der Krieg die Position des Regimes in Teheran, dass der Westen schwach ist und alles tut, um die Einmischung in eine militärische Auseinandersetzung zu vermeiden. Also meint man dort, dass man ohnehin nicht viel zu befürchten habe.«

Lapid sprach bei dem Treffen mit Blinken auch die Sorge seines Landes im Hinblick auf ein neues Atomabkommen mit dem Iran an.

Zweitens könne der Iran argumentieren, dass es generell eine schlechte Idee ist, seine Atomwaffen abzugeben oder keine zu haben. Das Beispiel Ukraine zeige dies. Denn das osteuropäische Land verfügte nach Auflösung der Sowjetunion über nukleare Sprengsätze, die es freiwillig abgab. »Denn wer kommt einem im Fall eines Angriffs zu Hilfe? Niemand!«

Zudem könnte der russische Einmarsch dazu führen, dass Israel noch stärker davon ausgeht, in einem Angriffsfall hauptsächlich auf sich allein gestellt zu sein und sich nur auf sich selbst verlassen zu können.

position Die Kritik an Bennetts Vorgehen im eigenen Land sieht Freeman nicht als besonders stark an. »Es ist das gewöhnliche Unken der Opposition und geht nicht darum, ob die Vermittlungsinitiative korrekt ist, sondern nur darum, ob Bennett die richtige Besetzung dieser Rolle ist.« Netanjahu sähe sich wohl selbst gerne in der Position eines Mannes, auf den die Supermächte hören. Generell aber betrachte man die Bemühungen der Regierung in Israel positiv.

Israel sei in den vergangenen Jahren eine immer stärkere Nation geworden, resümiert Freeman, »sowohl militärisch und wirtschaftlich als auch im diplomatischen Bereich. Und wenn deine Macht wächst, wächst auch deine Verantwortung«. Deshalb gehe er davon aus, dass Länder auch in Zukunft bitten werden, bei Krisen zu vermitteln. »Die Welt schaut auf uns. Denn dieses kleine Land ist eine Kraft, mit der man rechnen muss.«

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