Orel Grinfeld ist zwar kein Star, aber doch dem einen oder der anderen an Fußball Interessierten hierzulande ein Begriff. Der israelische Schiedsrichter wurde vor zwei Jahren zur Zielscheibe antisemitischer Beleidigungen, als er das Playoff-Rückspiel zur Europa League zwischen Eintracht Frankfurt und Racing Straßburg leitete (vgl. Jüdische Allgemeine vom 3. September 2019).
Es ist vielleicht bezeichnend, dass ein jüdischer Spitzensportler vor allem deshalb Bekanntheit erlangt, weil er Opfer antisemitischer Anfeindungen wird. Zwar gelang es Grinfeld bei der Partie damals nicht gerade, seine beste Leistung zu zeigen. »War von Beginn an heillos überfordert und pfiff ohne Linie, dazu mit zwei schweren Fehlern«, urteilte das Fachmagazin »Kicker« im Anschluss harsch.
spitzenklasse Das freilich brachte Grinfeld nicht von seinem Weg in Richtung internationale Spitzenklasse ab. Bereits 2009 pfiff der 1981 in dem nordisraelischen Ort Kiryat Yam geborene Sportler erstmals ein Spiel der höchsten israelische Spielklasse Ligat ha’Al, gerade einmal drei Jahre später setzte ihn der Weltverband FIFA auf seine Liste. Damit durfte er auch internationale Fußballspiele leiten.
In diesem Jahr leitete er das Champions-League-Spiel zwischen dem FC Bayern und Lazio Rom.
Erster internationaler Höhepunkt: 2019 pfiff Grinfeld, der in dem Städtchen Kfar Yona unweit von Netanja lebt, bei der Europameisterschaft der U21-Junioren. »Einen entscheidenden Sprung – auch ins Bewusstsein der Öffentlichkeit – hat er bei der U21-EM vor zwei Jahren gemacht, wo er unter anderem das Halbfinale zwischen Deutschland und Rumänien geleitet hat und insgesamt durch sehr konsequente Entscheidungen und ein mutiges Auftreten aufgefallen ist«, sagte der Publizist Alex Feuerherdt, einer der bekanntesten Schiedsrichterexperten in Deutschland und Mitgründer des Podcasts »Collinas Erben«, der Jüdischen Allgemeinen.
KÖNIGSKLASSE 2020 folgte für Grinfeld das israelische Pokalfinale. Doch so richtig sein Jahr sollte dann 2021 werden: Im Februar nominierte ihn der europäische Fußballverband UEFA für das Hinspiel zwischen Lazio Rom und Bayern München im Achtelfinale der Champions League. Grinfeld avancierte damit zum ersten Israeli, der eine Partie in der K.o.-Phase dieses auch als »Königsklasse« bezeichneten Wettbewerbs leitete.
Und es wurde noch besser: Im April berief ihn die UEFA in den Schiedsrichterkader für die derzeit in elf verschiedenen Ländern stattfindende Europameisterschaft der Herren, wo Grinfeld mit seinen beiden israelischen Assistenten am 17. Juni die Partie Niederlande–Österreich pfeift. Die FIFA nominierte ihn zudem für das Fußballturnier bei den Olympischen Spielen in Tokio.
Nach Einschätzung Feuerherdts vollkommen verdient: Grinfeld sei »der erste israelische Schiedsrichter seit dem legendären Abraham Klein, der auf internationalem Topniveau pfeift«. Feuerherdt, der auch als Aus- und Fortbilder von Referees in Nordrhein-Westfalen tätig ist, lobt den Stil und die Leistungen des 39-Jährigen: »Ich mag sein selbstbewusstes Auftreten sowie den Umgang mit den Spielern und finde seine Trefferquote bei Entscheidungen bemerkenswert gut.«
KARRIERE Auch Ron Amikam, Sportreporter der israelischen Zeitung »Maariv«, weist darauf hin, dass Israel seit den drei WM-Teilnahmen Abraham Kleins keinen Schiedsrichter von diesem internationalen Format mehr gehabt habe. Alon Yefet, der kürzlich seine Karriere beendete, habe zwar ebenfalls wichtige Spiele gepfiffen, aber nicht auf diesem Topniveau, sagte Amikam der Jüdischen Allgemeinen.
Beobachter, die Grinfeld nicht einmal für den besten Schiedsrichter Israels halten, lägen falsch, meint Amikam. »Was ihn hervorhebt, ist seine Art: Er ist nicht arrogant, spricht ruhig, trifft seine Entscheidungen mit Entschlossenheit«, charakterisiert Amikam ihn. Grinfelds Stil erinnere ihn an italienische Referees. Das sei vermutlich auch ein Grund, warum er in Europa so erfolgreich sei.
Nach seinem Militärdienst hatte Grinfeld zunächst in der Polizeispezialeinheit Yasam Karriere gemacht, die für ihr robustes Vorgehen, etwa bei der Räumung israelischer Siedlungen im Gazastreifen, bekannt ist. Als er zum Kommandanten einer Einheit befördert werden sollte, lag ihm zeitgleich sein erster Vertrag als Schiedsrichter vor. Ihm sei klar gewesen, dass beides zugleich nicht gehen würde, erzählte er vor ein paar Jahren in einem Interview mit der Zeitung Maariv.
Die Entscheidung sei nicht einfach gewesen, man habe ihm sogar einen Teilzeitjob bei seiner Polizeieinheit angeboten. »Ich zog es vor, meinen Traum zu verfolgen, internationaler Schiedsrichter zu werden«, entschied Grinfeld.
TEAMPLAYER Mit der Nachricht von der Nominierung für die Europameisterschaft und die Olympischen Spiele im April kam der Ex-Polizist seinem Traum nun zum Greifen nah.
Bei einer Pressekonferenz zeigte Grinfeld sich zugleich als absoluter Teamplayer. Er verwies auf seine beiden Assistenten Roi Hassan und Idan Yarkoni, die mit ihm für die internationalen Turniere nominiert worden waren. »Ich wollte, dass sie bei mir bleiben, und das war in Israel nicht üblich.«
Doch Hassan und Yarkoni hätten ihn schon seit 2010 begleitet. Ohne sie, wie auch ohne die Trainer und Verbandsfunktionäre, die sie immer unterstützt hätten, wäre die Nominierung nicht gelungen. Nun seien sie alle heiß auf die Turniere.
Er ist nicht arrogant, spricht ruhig, trifft seine Entscheidungen mit Entschlossenheit.
Beim Vorsitzenden der israelischen Schiedsrichtervereinigung, Yariv Tepper, bedankte sich Grinfeld damals mit tränenerstickter Stimme. »Schon beim ersten Treffen war Yariv klar, dass er es mit mir nicht leicht haben würde, aber ohne ihn wären wir nicht hier«, sagt der FIFA-Schiedsrichter. Tepper gab zurück, dass er daran glaube, dass »wir 2022 Katar erreichen werden«.
Eine Nominierung Grinfelds und seiner Assistenten also für die nächste Weltmeisterschaft? Das wäre für einen Fußballschiedsrichter tatsächlich die Erfüllung des höchsten Karrieretraums. Und für einen israelischen Referee in einem arabischen Land nochmal zusätzlich etwas ganz Besonderes.
Womöglich werden die Fans ihn dort sogar freundlicher empfangen als einige der Frankfurter vor zwei Jahren in Deutschland.