80 Jahre ist es her, dass »zum ersten Mal nach 2000 Jahren wieder die Flagge der jüdischen Rebellion auf den Häuserdächern wehte«, betonte Premierminister Benjamin Netanjahu bei der zentralen Gedenkzeremonie am Erew Jom Haschoa in der Holocaustgedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem. Jom Haschoa, der am Montagabend begann, steht in diesem Jahr unter dem Motto »Jüdischer Widerstand«.
AUFSTAND Nicht nur der Premierminister berichtete von den Tagen des Aufstandes im Warschauer Ghetto, sondern auch die Schoa-Überlebende Tova Gittele Gutstein, die sie als Kind selbst miterlebte. Als kleines Mädchen suchte sie für ihre Mutter und ihre Schwester, die noch ein Baby war, etwas zu essen.
»Ich lief auf die Straße. Überall sah ich Menschen liegen, die verhungerten. Es gab nirgendwo Essen.« Plötzlich sei überall Feuer gewesen, Granaten schlugen ein. »Ich lief zurück zu unserem Haus, doch da war kein Haus mehr. Auch keine Mutter und Schwester.«
»Ich lief auf die Straße. Überall sah ich Menschen liegen, die verhungerten. Es gab nirgendwo Essen.«
SChoa-Überlebende Tova Gittele Gutstein
Gutstein war bei der Zeremonie eine der sechs Überlebenden, die in Gedenken an die sechs Millionen ermordeten Juden symbolisch eine Fackel entzündeten. Sie überlebte, weil sie Hilfe bei Partisanen fand, die ihr Essen und Kleidung brachten, und später ins damalige Palästina gelangte. Heute hat sie zwei Kinder, acht Enkel und 13 Urenkel.
Auch Ben-Zion Raish aus Rumänien, Judith Solberg-van Dijk aus den Niederlanden, Professor Robert Bonfil aus Griechenland, Yefim Gimelshtein aus Minsk und Malka Freundlich-Rendel aus Ungarn entzündeten die Fackeln für die Erinnerung.
JERUSALEM Der Ministerpräsident erinnerte auch an das Schicksal von Benjamin Zeev Wurzberger, dessen gesamte Familie in den Todeslagern von den Nazis ermordet wurde. Die Wächter hätten ihm gesagt: »Du träumst von Jerusalem? Das wirst du niemals sehen.« Doch Wurzberger schaffte es nach Afula und schließlich nach Jerusalem. Vor eineinhalb Jahren starb er. »Glücklich, wie seine Familie berichtete. Denn er hatte es nach Jerusalem geschafft.«
»Wir müssen uns dieses einzigartigen Trimphs erinnern«, hob Netanjahu hervor. »In keinem anderen Land der Welt sind die Menschen aus der Asche von Todeslagern emporgestiegen.« Allerdings dürfe dieser Sieg nicht den Horror des Holocaust überdecken. »Denn die Narben der unendlichen Schmerzen werden für immer Teil von uns bleiben.« Auch könne kein Sieg in der Vergangenheit für Siege in der Zukunft garantieren. Daher müsse man »gegen alle, die uns töten wollen, einen unermüdlichen Kampf führen«.
Präsident Isaac Herzog erinnerte in seiner Rede an den jüdischen Widerstand während des Holocaust. »Sie hatten kaum Waffen oder sonstige Mittel. Doch sie hatten den menschlichen Geist.«
Einer der Anführer des Aufstandes, Yitzhak Zuckerman, besser bekannt unter seinem nom de guerre Antek, habe im Nachhinein gesagt: »Man muss diesen Widerstand nicht nach militärischen Maßstäben studieren und analysieren. Aber wenn es eine Akademie für den menschlichen Geist gibt, dann sollte er dort auf jeden Fall unterrichtet werden.«
»Die Überlebenden sind Helden, die uns durch ihren Mut und ihre Kraft zum Leben in Ehrfurcht versetzen, und zu denen wir alle aufschauen«.
präsident isaac herzog
Der Präsident erinnerte auch an die grausamen Taten der Nazis, die das »Museum der Knochen und Skelette einer ausgestorbenen Rasse« gründen wollten. 86 Frauen und Männer wurden dafür in der Nähe von Straßburg ermordet. »Einer von ihnen war Sigi Rosenfeld. Seine Frau Erna und sein Sohn Dani, erst drei Jahre und acht Monate alt, waren vorher in den Gaskammern getötet worden. Sigi war die Nummer 107933 in den Arm tätowiert worden«, berichtete Herzog.
HÖLLE »Diese Menschen wurden auf die brutalste blutrünstigste Weise umgebracht, ihre Körper zerstückelt für ein Museum von Knochen und Skeletten. Denn die Nazis dachten bereits an den Tag, an dem es keinen Juden mehr geben würde. Es war die Hölle auf Erden.« Doch viele Jahrzehnte später seien den Toten Namen zugeordnet worden. »Und aus den Nummern wurden wieder Personen. Menschen mit Geschichten.«
Herzog sprach die Überlebenden an, »diese Helden, die uns durch ihren Mut und ihre Kraft zum Leben in Ehrfurcht versetzen, und zu denen wir alle aufschauen«. Er rief die Israelis auf, in dieser Trauerwoche am Jom Haschoa und am Jom Hasikaron gemeinsam zu trauern und über jeglichem Disput zu stehen. »Lassen Sie uns zusammenkommen – in Partnerschaft, Trauer und Erinnerung.«
Shoshana Weiss ist eine dieser Heldinnen, die der Präsident erwähnte. Im wahrsten Sinne des Wortes. Sie war acht Jahre alt, als sie »Kommandantin« wurde. »Natürlich nicht in einer Armee. Aber in meiner Familie«. Als ihre Mutter und die vierjährige Schwester an Typhus erkrankten, musste das kleine Mädchen dafür sorgen, dass sie überlebten.
WIDERSTAND »Ich habe an die Türen von Fremden geklopft und die Dinge abgegeben, die wir noch hatten, alles für ein Stück Brot. Ich habe als Haushälterin gearbeitet, nur damit ich etwas Essen bekam.« Weiss berichtete von unerträglichen Zuständen rund um sie herum. Doch auch von Widerstand und unendlichem Mut. »Wie von dem Arzt, der mitten durch den Bombenhagel lief, um Juden zu retten. Immer wieder. Bis er selbst getroffen und getötet wurde.«
Auf diese Weise habe man sich »Funken der Humanität in unmenschlichen Bedingungen« erhalten, resümierte Shoshana Weiss. »Die Nazis haben versucht, uns auszurotten. Doch wir haben gewonnen, entgegen jeder Chance überlebt. Das ist der Sieg des menschlichen Geistes.«