Am Dienstag war es eindeutig: Der Alte ist der Neue. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu (Likud) wird zur Regierungsbildung der 21. Knesset aufgerufen. Sind seine Koalitionsverhandlungen erfolgreich, wird dies seine fünfte Amtszeit insgesamt und die vierte in Folge sein – trotz drohender Anklage wegen Korruption in drei Fällen. Eine Beschränkung der Amtszeit gibt es in Israel nicht.
Am Morgen hatten alle potenziellen Koalitionspartner Netanjahu in Beratungen mit Präsident Reuven Rivlin empfohlen. Damit wird Israels zukünftige Regierung höchstwahrscheinlich wieder eine Koalition aus rechten und religiösen Parteien sein. Netanjahu hat jetzt 28 Tage Zeit, diese aufzubauen.
Tiefpunkt Obwohl die herausfordernde Zentrumsunion Blau-Weiß bei den Parlamentswahlen mit 35 Mandaten genau so viele geholt hatte wie der Likud, war noch am selben Abend klargeworden, dass der Block aus rechtsgerichteten und religiösen Parteien stärker ist als der von Mitte-Links. Die Wahlbeteiligung hatte mit 67,9 Prozent 4,4 Prozent unter der von 2015 gelegen. Einen historischen Tiefpunkt hatte die extrem geringe Beteiligung der arabischen Wählerschaft markiert. Keine der beiden ins Parlament eingezogenen arabischen Parteien wollte einen Kandidaten für die Regierungsbildung vorschlagen.
Über die 60-Sitze-Grenze hatte Netanjahu die Union rechter Parteien gehoben.
Zum ersten Mal in der Geschichte Israels wurden die Beratungen des Präsidenten mit den verschiedenen Parteien öffentlich übertragen. Rivlin wollte damit sicherstellen, »dass alle Bürger einen transparenten Zugang zum Ausgang der Wahlen haben«. Am Wochenbeginn traf er sich zunächst mit dem konservativen Likud von Premier Benjamin Netanjahu und anschließend mit der Zentrumsunion Blau-Weiß von Benny Gantz und Yair Lapid. Rivlin hatte zuvor deutlich gemacht, er werde mit allen Parteien zusammentreffen, die es ins Parlament geschafft haben, ihre Empfehlungen anhören und erst am Ende der Beratungen das Knessetmitglied bestimmen, dem er die Bildung der Regierung überträgt.
Am zweiten Tag der Verhandlungen, nachdem sich der Präsident im Beit Hanasi mit acht der elf ins Parlament gewählten Parteien und Unionen getroffen hatte, stand fest: Netanjahu hat die Unterstützung von mindestens 61 Parlamentariern und damit die Mehrheit in der 120 Sitze zählenden Knesset. Benny Gantz von der Zentrumsunion Blau-Weiß indes konnte bislang nur 41 auf sich vereinen, aus seiner eigenen Union 35 und sechs Sitze der Arbeitspartei. Es wird erwartet, dass die Linkspartei Meretz (vier Mandate) ebenfalls Gantz vorschlagen wird. Doch auch dann würde es für eine Mitte-Links-Regierung nicht reichen.
Mehrheit Netanjahu indes kann sich auf die rechten und religiösen Stimmen verlassen. Neben seinem Likud (35 Sitze) werden zur Koalition die ultraorthodoxen Parteien Schas (8) und Vereinigtes Tora-Judentum (8), die Union rechter Parteien (5) sowie Kulanu (4) gehören. Über die 60-Sitze-Grenze hatte Netanjahu die Union rechter Parteien gehoben, ein Zusammenschluss aus dem Jüdischen Haus und den ultrarechten Kahane-Nachfolgern Otzma Jehudit. Unionsvorsitzender Rafi Peretz erklärte: »Die Menschen haben sich klar ausgedrückt, und wir repräsentieren sie. Deshalb schlagen wir Netanjahu vor.« Anschließend bestätigte der Präsident, dass daraufhin kein anderer Kandidat eine Mehrheit erreichen könne und der »Spielraum meiner Erwägungen fast vollständig ausgeschöpft ist«.
Es könnte wieder Lieberman sein, mit dem die kommende Regierung steht, fällt – oder gar nicht erst zustande kommt.
Zurücklehnen kann sich Netanjahu jedoch noch nicht. Denn einer, der bis zum Ende gezögert hatte, war Avigdor Lieberman. Der hatte, trotz Vorhersagen, er würde es diesmal nicht ins Parlament schaffen, fünf Sitze erlangt. Schließlich schlug auch er Netanjahu für die Regierungsbildung vor. Allerdings mit Einschränkungen. Und damit könnte es wieder Lieberman sein, mit dem die kommende Regierung steht, fällt – oder gar nicht erst zustande kommt.
Armeegesetz Der neu gewählte Abgeordnete Yifgeni Suba von Israel Beiteinu, der die Partei in den Diskussionen mit Rivlin repräsentierte, unterstrich, dass man der Regierung nur beitreten werde, wenn Schlüsselbedingungen akzeptiert werden. Das allerdings könnte sich als extrem komplexes Unterfangen herausstellen. Denn Israel Beiteinu geht es dabei vor allem um das Armeegesetz. Das ist seit Jahren Streitpunkt in der Knesset und der Bevölkerung.
Seit der Oberste Gerichtshof 2012 entschieden hatte, dass es dem Gleichheitsgrundsatz widerspricht, wenn religiöse Männer nicht dienen müssen, und eine Reform des sogenannten Tal-Gesetzes gefordert hatte, geht es in Sachen Militär für Ultraorthodoxe hin und her. Denn die streng religiösen Parteien treten ihrerseits nur dann der Regierung bei, wenn Netanjahu versichert, ihre jungen Männer nicht einzuziehen. Bislang hatte er Wort gehalten und den Charedim immer neue Möglichkeiten verschafft, der Einberufung zu entgehen oder sie zumindest auf unbestimmte Zeit zu verschieben.
Die Mehrheit für Netanjahu könnte an Lieberman scheitern.
Liebermans Partei, dessen Wählerschaft sich größtenteils aus nichtreligiösen Juden aus der ehemaligen Sowjetunion zusammensetzt, sieht sich nach eigenen Angaben als »Beschützerin des säkularen Israel, die die Religiösen respektiert«. Im Wahlkampf hatte Lieberman mehrfach gegen die »religiöse Nötigung« Stimmung gemacht. »Wir haben gesagt, dass wir eine rechte Regierung unterstützen, und meinen, dass Netanjahu derjenige ist, der ihr vorsitzen sollte«, so Suba. »Das heißt aber nicht, dass wir ein Teil der Regierung sein werden.«
Charedim Drohung Lieberman selbst erläuterte später, dass er bei seinen Einstellungen zu Religion und Staat bleiben werde, und drohte: »Werden wir gezwungen, uns zu entscheiden, entweder die Einberufung der Charedim aufzugeben oder in die Opposition zu gehen, dann wird es neue Wahlen geben.« Denn die 60 Sitze, die Netanjahu bereits ohne Wenn und Aber zugesichert sind, reichen nicht aus. Er braucht Lieberman in jedem Fall. Eine andere Möglichkeit der Regierungsbildung gibt es nicht. Doch dass der nicht nur leere Drohungen macht, zeigte er bereits im November, als er, damals im Amt des Verteidigungsministers, die Koalition verließ, weil ihm die Gaza-Politik des Premiers als zu schwächlich erschien.
Auch Avi Gabbay, der neue Vorsitzende der Arbeitspartei, traf sich mit Rivlin. Die Awoda hatte bei den Wahlen das schlechteste Ergebnis seit ihrer Gründung mit nur sechs Sitzen geholt. Gabbay schlug Gantz für die Bildung einer Koalition vor, »weil es nicht gut ist, dass ein Premierminister für zehn Jahre oder sogar länger an der Macht ist«, wie er kommentierte. Gleichermaßen erkannte Gabbay an: »Die Israelis haben eine Entscheidung getroffen und für Netanjahu gestimmt. Doch das haben sie ganz sicher nicht getan, damit er unsere Demokratie einschränken kann.«