Während Israels Bodentruppen im Süden des Gazastreifens mit Angriffen gegen Kämpfer der islamistischen Terrororganisation Hamas vorrücken, hält sich deren Chef Jihia al-Sinwar weiter versteckt. Er wird in Israel mit dem ehemaligen Anführer des Terrornetzwerkes Al-Kaida, Osama bin Laden, verglichen - in Anspielung auf den Drahtzieher der Terroranschläge in New York vom 11. September 2001.
Der Hamas-Anführer in Gaza steht ganz oben auf der Abschussliste der Armee. Der 1962 in einem Flüchtlingslager von Chan Junis geborene Sinwar gilt gemeinsam mit Mohammed Deif, Kommandeur des bewaffneten Arms der Hamas, als Planer des beispiellosen Massakers in Israel vom 7. Oktober, in dessen Folge rund 1200 Israelis ermordet und rund 240 Menschen nach Gaza verschleppt wurden.
Sinwar, ein drahtiger, bärtiger Mann mit kurz geschorenem weißen Haar und tief liegenden Augen unter buschigen dunklen Brauen, gehört zur Gründergeneration der Hamas. In den Anfangsjahren der islamistischen Bewegung war er für den Kampf gegen mutmaßliche Kollaborateure mit Israel in den eigenen Reihen zuständig.
»Schlächter von Chan Junis«
Dabei ging er so brutal vor, dass er als »Schlächter von Chan Junis« bekannt wurde. Wegen des Mordes an vier mutmaßlichen Kollaborateuren und zwei israelischen Soldaten verbrachte er mehr als zwei Jahrzehnte in israelischer Haft. Die nutzte er, um Hebräisch zu lernen und - nach eigenen Angaben - um den Feind zu studieren.
2011 kam Sinwar frei - als einer von mehr als 1000 palästinensischen Häftlingen im Gegenzug für den israelischen Soldaten Gilad Schalit. Im selben Jahr wurde Bin Laden in Pakistan von US-Spezialkräften getötet. Wie dieser, so versichert Israels Regierung, sei auch Sinwar ein todgeweihter Mann.
Nachdem israelische Soldaten das Haus des Gaza-Chefs in Chan Junis umstellt hatten, sagte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am Mittwochabend: Jihia al-Sinwar könne fliehen, »aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir ihn finden«.
Schlüsselrolle innerhalb der Hamas
Doch selbst wenn die israelische Armee Sinwar aufspüren und töten sollte, bedeute das nicht notwendigerweise, dass es die Hamas zu Fall bringen werde, sagte Harel Chorev vom Moshe Dayan Center für Nahost- und Afrikastudien an der Tel Aviv University dem US-Sender CNN. Grund sei, dass Sinwar zwar eine Schlüsselrolle innerhalb der Hamas habe, aber nicht die einzige Führungsfigur sei.
»Die Hamas kann auch dann noch gestürzt werden, wenn Sinwar am Leben bleibt«, so Chorev. Hierzu bedürfe es der Zerstörung einer »kritischen Masse« an Machtzentren. Sinwar sei nur eines dieser Zentren. Die Tageszeitung »Jediot Achronot« schrieb am Freitag, Israel habe noch nicht den Punkt erreicht, an dem die Hamas »genug« sage.
Dies könne mit der Tötung von Leuten wie Sinwar oder Deif geschehen, »aber es ist noch nicht geschehen«. Nur, indem die Armee den militärischen Druck in Sinwars Geburtsstadt Chan Junis aufrechterhalte, könne die Hamas dazu gebracht werden, einen weiteren Deal zur Freilassung weiterer Geiseln einzugehen, schrieb das Blatt. dpa