Iran

Der nächste Schachzug

Präsidenten unter sich: Wladimir Putin, Hassan Rohani und Recep Tayyip Erdogan (v.l.) beim Gipfeltreffen Iran-Russland-Türkei im September 2018 Foto: imago/Russian Look

Die Zeit der Geheimhaltung ist vorbei. Ganz offen bekannte sich Israel zu den letzten beiden Angriffen auf iranische Ziele in Syrien. Der bevorstehende Abzug der US-Truppen aus dem Nachbarland, die Einmischung der Russen und natürlich die Aktionen des Teheraner Regimes bereiten der Regierung in Jerusalem Sorgen. Die Botschaft der geänderten Taktik: Wir sehen nicht tatenlos zu, während Teheran seine Präsenz vor unserer Haustür ausbaut.

Der Angriff folgte als Vergeltung für eine iranische Rakete.

Zwar hatte Jerusalem schon immer betont, keine Lieferungen hoch entwickelter iranischer Waffen an die Schiitenmiliz Hisbollah im Libanon zuzulassen, doch konkret zum Beschuss der Transporte geäußert hatte man sich nicht. Bis jetzt. Den ersten der beiden Angriffe am 11. Januar bestätigte Premierminister Benjamin Netanjahu persönlich. Und auch für den zweiten übernahm die Regierung die Verantwortung. Dabei sei eine große Anzahl syrischer Raketenabschussstationen zerstört worden. Der Angriff folgte als Vergeltung für eine iranische Rakete, die auf die israelischen Golanhöhen gefeuert und vom Abwehrsystem Eiserne Kuppel abgefangen wurde.

RUSSLAND Viele sind überzeugt, dass es bei der plötzlichen Offenheit weniger darum geht, den Iranern als vielmehr den Russen etwas mitzuteilen. Vor Kurzem traf sich Netanjahu mit zwei hohen russischen Regierungsmitgliedern. Während es in der Woche zuvor aus Russland noch hieß, dass Israel seine »willkürlichen Angriffe auf Syrien unterlassen« solle, so sagte Vize-Außenminister Sergey Vershinin jetzt: »In keiner Weise unterschätzen wir die Bedeutung der Maßnahmen, die die Sicherheit Israels garantieren. Dies ist eine unserer obersten Prioritäten.«

Wie verlässlich diese Beteuerungen sind, darüber gehen die Ansichten auseinander. Der Iran-Experte Menahem Merhavy vom Truman-Forschungsinstitut an der Hebräischen Universität Jerusalem bezweifelt allerdings nicht, dass Israel die Botschaft an Moskau und die ganze Welt senden wolle, dass die russische und iranische Präsenz in Syrien den Nahen Osten in keiner Weise stabilisiere. So ergibt es Sinn, dass der jüdische Staat aus seinen Anstrengungen, aktiv gegen die iranische Präsenz in Syrien vorzugehen, kein Hehl mehr macht.

Bei den Feiern in Teheran zum 40. Jahrestag der islamischen Revolution drohte Yadollah Javani.

Bei den Feiern in Teheran zum 40. Jahrestag der islamischen Revolution drohte Yadollah Javani von den Revolutionären Garden: »Die USA haben nicht den Mut, auch nur eine Kugel in unsere Richtung zu schießen, trotz ihrer militärischen Stärke. Doch sollten sie uns angreifen, dann werden wir Tel Aviv und Haifa dem Erdboden gleichmachen.« Netanjahu konterte, dass er die Drohungen aus dem Iran zwar nicht ignoriere, sich jedoch auch nicht von ihnen einschüchtern lasse. »Wenn das Regime einen solch schrecklichen Fehler machen und versuchen würde, Tel Aviv und Haifa zu zerstören, wird es keinen Erfolg haben. Es wäre aber auch der letzte Feiertag der Revolution, den es zelebrieren könnte.«

SYRIEN Der Iran ist aktiv an vielen Fronten, die Israel bedrohen. Beim Nachbarn Syrien, vollgepackt mit hoch entwickelten Waffen, sitzt er praktisch vor der Haustür. Seine aktuellen ballistischen Raketentests brachten jüngst auch die Europäische Union zu einem Einspruch. Und Cyberattacken kommen nach Angaben der israelischen Armee nahezu täglich. Doch ist die Bedrohung für Israel tatsächlich akut?

»Kurzfristig ist sie eher gering«, meint Merhavy. Das Nuklearprogramm werde nur mehr halbherzig verfolgt. Das Regime in Teheran habe andere lokale Probleme wie Arbeiterstreiks und Unzufriedenheit in der Peripherie, größtenteils von Minderheiten bewohnt, die die Wirtschaftssanktionen am meisten treffen. »Eigentlich ist es genau anders herum als gedacht«, so der Experte. »In den westlichen Medien werden oft die Rufe nach Freiheit und Reformen so porträtiert, als stünde der Wandel kurz bevor. Tatsache ist aber, dass diese relativ unbedeutend sind und das Regime nicht bedrohen. Die Streiks und Proteste der Minderheiten indes bergen Potenzial für größere Schwierigkeiten. Gleichwohl ist der Iran sehr weit von einer Revolution entfernt.«

SCHIITEN Die langfristige Bedrohung allerdings sehe anders aus. Vor ungefähr einem halben Jahr habe Teheran eingesehen, dass Israel keine iranischen Militärstellungen direkt an der Grenze dulden wird. »Deshalb ziehen sie weiter nach Norden und bauen sich dort auf«, erklärt Merhavy. »Der Iran ist sehr flexibel, denn er plant langfristig.« Dazu gehörten religiöse Konversionsprogramme. »Sie öffnen Studienhäuser für den schiitischen Islam und versuchen, die Menschen im Land dafür zu gewinnen. Ja, sie gründen eine regelrechte Schiiten-Gemeinde in Syrien. Es geht vom Spirituellen zum Politischen und wieder zurück.« Dazu sei auch die schiitische Hisbollah hilfreich. »Sie ist der lange Arm des Iran und Teil der Strategie in der Region.«

Der Iran setzt auf schiitische Missionierung in Syrien.

Auch auf dem Gebiet der digitalen Angriffe ist der Iran umtriebig. In einem Interview beschrieb der Kommandant der Cyberverteidigungseinheit der IDF, Noam Shaar, die Lage: »Es gibt permanente Anstrengungen des Iran, Cyberattacken gegen Israels wichtige Infrastruktur auszuführen, militärisch und zivil. Meist richtet es sich gegen die fragilen Bereiche der IDF. Daher haben wir eine Vielzahl von Methoden, um dem zu begegnen.« Ein Angriff richtete sich gegen das Raketenalarmsystem, das Warnungen vor ankommenden Geschossen sendet. Er wurde von der Einheit abgewehrt, weil diese eine Cybergruppe der Revolutionären Garden permanent im Visier hat. Der Iran habe definitiv Möglichkeiten im Bereich der Cyberangriffe, ist auch Merhavy überzeugt, »doch Israel ist fortschrittlicher und mächtiger auf diesem Gebiet«.

Wie sich die Lage auf dem Boden in der nahen Zukunft entwickele, hängt nach seiner Meinung vor allem vom russischen Einfluss ab. Es sei unklar, was Präsident Putin tun werde. »Zwar drängt Israel Moskau, den Iran aus Syrien zu verdrängen, doch es nicht klar, ob das Wirkung hat.« Dass der Abzug der rund 2000 US-Soldaten an der Situation etwas Bedeutendes verändern werde, glaubt Merhavy nicht. Besonders im Hinblick auf den Iran hätten die Amerikaner keinen besonders tiefgreifenden Einfluss gehabt.

OPFER Für den Experten ist klar, dass Israels Aktionen gegen den Iran auch symbolischen Charakter haben. »Jerusalem will auf jeden Fall eine Grenze ziehen und unterstreichen: bis hierher und nicht weiter. Teheran soll sich in Syrien und im Libanon nicht heimisch fühlen.« Doch der Iran, fasst er zusammen, plane langfristig und sei daher bereit, vorerst Opfer zu bringen. Entgegen anderen Auffassungen ist Merhavy sicher, dass der Iran nicht mit einem Massenaufgebot von Soldaten andere Länder in der Region einnehmen will.

Iran, fasst er zusammen,
plane langfristig und sei daher bereit,
vorerst Opfer zu bringen.

»Teheran wird kein Vietnam veranstalten.« Stattdessen, meint er, »bringt Teheran nur wenig Militär mit und eine massive Propagandamaschinerie. Die soll die Herzen der Menschen in der Region gewinnen.« Das allerdings gelinge nicht immer. Vor einigen Jahren scheiterte ein solcher Versuch in Gaza kläglich, als Propagandisten aus Teheran von der Hamas mit wehenden Fahnen davongejagt wurden. Der Iran zog sich zumindest vorerst zurück.

Und Israel? »Wenn jemand vor einigen Jahrzehnten gesagt hätte, dass sunnitische Staaten Verbündete Jerusalems werden und an einem gemeinsamen Strang ziehen, hätte man ihn für verrückt erklärt. Doch heute ist es die Realität. Und das«, so Merhavy, »ist jetzt Israels große Stärke«.

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