Nachruf

Der letzte Gründer

Arieh Händler sel. A. mochte Gäste, und jeder war bei ihm in seiner kleinen Wohnung im Jerusalemer Stadtteil Kiryat Mos-
he willkommen. Stolz zeigte er die vielen kleinen Erinnerungen seines bewegten Lebens, das am 20. Mai 2011 nach 95 Jahren endete. Kürzlich erfolgte die Steinsetzung.

Vor allem Fotos mit König Hussein, Margaret Thatcher und Harold Wilson beweisen, dass sich der kleine Mann mit dem interessierten Blick für sein Land ein Leben lang eingesetzt hatte. Neben all den Prominenten findet sich auch ein SchwarzWeiß-Bild aus der Grundschulzeit.

Es ist Arieh Händlers erste Klasse in Magdeburg gewesen, wo er Kindheit und Jugend verbrachte. Der 1915 in Böhmen als Leo Händler geborene Sohn eines Kaufmanns schwärmte mit seinen leuchtend blauen Augen von jener Zeit, als die Welt noch in Ordnung war. »In Magdeburg habe ich mich ungeheuer wohlgefühlt. Ich war jung und hatte viele Freunde in meiner Schule. Es ging uns richtig gut.«

Diaspora Dennoch interessierte er sich frühzeitig für die Auswanderung nach Palästina. »Wir waren in unserer Jugend Zionisten. Wir sagten uns, um das jüdische Volk in der Diaspora zu erziehen, müssen wir einen Staat haben, um Juden zu jüdischen Bürgern zu erziehen, das war nicht leicht.«

Sein Cousin Menachem Pressler, der berühmte Pianist des Beaux Arts Trios und ebenfalls in Magdeburg aufgewachsen, erinnert sich an die gemeinsame Zeit. »Arieh war ein guter Lehrer und konnte uns stets für das Land, für Palästina begeistern.«

Schon 1933 war spürbar, was die Machtergreifung der Nazis bedeutete. Arieh Händler arbeitete zu dieser Zeit für das Palästinaamt in Magdeburg und später in Berlin. Mit Erlaubnis der Gestapo durfte er durch Europa reisen, um Visa für deutsche Juden auszuhandeln.

Eine kritische Beziehung, die aber über 8.000 Menschen das Leben rettete. »Die Gestapo gab mir einen Pass, wo kein J und kein Namenszusatz Israel stand. So konnte ich jederzeit ein- und ausreisen. Das war nicht jedem Juden erlaubt. Und so bin ich mit 20 Mark in der Tasche, mehr durfte ich nicht haben, nach Paris, London oder Stockholm gefahren.«

Ein- und Ausreise Dabei brachte sich Händler auch in Gefahr, denn die Nazis observierten ihn auch im Ausland auf Schritt und Tritt. In London wurde er zu Oberrabbiner Hertz eingeladen. »Ich war ungeheuer stolz, dass ich junger Bursche zum großen Rabbiner gebeten wurde.

Er dankte mir für mein Engagement, aber musste mich enttäuschen, er konnte mir keine Einreisegenehmigungen für England beschaffen.« Damit Arieh Händler nicht mit leeren Händen gehen musste, schickte er ihm 1.000 Bände seines neuen Pentateuchs nach Deutschland. Die Bücher fielen der Gestapo in die Hände und sie bestellte Arieh Händler umgehend ein.

»Ich wusste nicht, was passieren würde und fürchtete mich etwas. Aber ich bin dann hin, und man sagte mir: Du hast diesen schrecklichen Mann, Rabbi Hertz, besucht ohne etwas davon in deinem Bericht zu erwähnen, warum?« Kleinlaut sagte Händler, dass der Rabbiner ihm nicht helfen konnte und er ihn deshalb nicht erwähnt habe.

Visa Dann sprach der Gestapo-Mann noch die vielen Bücher an und sagte wortwörtlich: »Da müssen Sie sich keine Sorgen machen, die haben wir alle schon verbrannt.« Mit Schreck in den Gliedern verließ Händler die Gestapozentrale. Bis November 1938 konnte er so weiterreisen und nach Visa fragen, doch viele Länder lehnten ab. Drei Mal erlaubte ihm die deutsche Geheimpolizei nach Palästina zu fahren.

Im November 1938 hielt sich Arieh Händler schließlich in Jerusalem auf. »Ich war bereit zurückzufahren. Doch dann sprach mich Henrietta Szold an, eine Amerikanerin. Sie sagte, wir haben eine Nachricht von Dr. Bog, der übrigens später hier in Israel Innenminister wurde. Er vertrat mich in Berlin und schrieb nun: Komm jetzt nicht hierher, wenn du jetzt kommst, dann wird man dich sofort verhaften. Warum? Es hatte die berühmte Kristallnacht gegeben.«

Arieh Händler hörte auf seinen Freund und kehrte nicht nach Deutschland zurück. Er ging nach England und half, die Kindertransporte zu organisieren sowie die Mädchen und Jungen auf englischen Landgütern unterzubringen, wo sie für das Leben in Palästina vorbereitet wurden.

Nach dem Krieg kehrte er nach Palästina zurück. Er zählt zu den wenigen, die eine Einladung zur Staatsgründung erhielten. Stolz las er später gerne seinen Gästen daraus vor. »Wir haben die Ehre, dich einzuladen zu der Sitzung, während der die Staatsgründung erklärt wird. Sie findet statt am Freitag, den 14. Mai 1948 um 16 Uhr im Museum Tel Aviv. Wir bitten dich, diese Mitteilung geheim zu halten.«

zeitzeuge So durfte der Zionist Arieh Händler dabei sein, als Ben Gurion den Staat Israel ausrief. »Ich weiß heute noch, wie schnell es damals ging, als die Staatsgründung verkündet wurde. Danach sagte Ben Gurion zu mir: »Händler, du bringst jetzt Rabbi Fishmann (Maimon) in sein Hotel.«

Denn der Schabbat begann kurz darauf. Ich habe dann meine Pflicht getan, und als ich vom Hotel wiederkam, sah ich schon ägyptische Flugzeuge am Himmel.« Arieh Händler erlebte, wie sich der junge Staat gegen seine Angreifer wehrte. 47 Jahre später las er seine Einladung am Tag der Staatsgründung in der Knesset vor. »Ich muss sagen, dieser Brief ist für mich das Wichtigste in meinem Leben.«

Zurückblickend auf sein bewegtes Leben sagte Händler wenige Jahre vor seinem Tod: »Ich bin der Meinung dass mir Deutschland, meine Magdeburger Zeit, viel gegeben hat, es bleibt ein Teil meines Lebens, ebenso wie England und Israel.«

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