Antisemitismus

Der Krieg ist fern - der Konflikt ganz nah

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Es steht in fetten roten Buchstaben auf einem Plakat an einer Wand der Universität Northeastern in Boston: »Urge Northeastern to divest from genocide«. Damit, fordert eine pro-palästinensische Studentenorganisation, soll die US-amerikanische Uni gedrängt werden, die Zusammenarbeit mit israelischen Hochschulen und Unternehmen zu beenden. Alle die mit Israel kooperieren, seien »Beisteher eines Völkermordes«.

Ob New York, Boston oder Kalifornien: Jüdische und israelische Studenten werden für die Lage in Nahost persönlich verantwortlich gemacht und fühlen sich an ihren Hochschulen nicht mehr sicher. Der Krieg in Nahost ist weit weg – der Konflikt ganz nah.

Jetzt reagierten die Präsidenten der führenden israelischen Universitäten und luden Studenten wie Lehrkräfte ein, an ihren Hochschulen zu studieren. »Wir werden unser Bestes tun, um diejenigen zu unterstützen, die an israelischen Universitäten studieren und ein einladendes akademisches und persönliches Zuhause finden möchten«, schrieben sie in einem offenen Brief.

Universitätsleiter bringen Besorgnis zum Ausdruck

»Wir, die Präsidenten der Forschungsuniversitäten in Israel, bringen unsere tiefe Besorgnis über den jüngsten Anstieg schwerer Gewalt, Antisemitismus und antiisraelischer Stimmung an zahlreichen führenden Universitäten in den Vereinigten Staaten zum Ausdruck. Diese beunruhigenden Ereignisse werden oft von palästinensischen Gruppen organisiert und unterstützt, darunter auch solche, die als Terrororganisationen gelten«, schrieb Professor Arie Zaban, Präsident der Bar-Ilan-Universität und Vorsitzender des Verbandes der Universitätsleitungen in seinem und den Namen der Kollegen.

»Diese besorgniserregende Entwicklung hat zu einem Klima geführt, in dem sich israelische und jüdische Studenten und Fakultätsmitglieder gezwungen fühlen, ihre Identität zu verbergen oder den Campus aus Angst vor körperlicher Verletzung ganz zu meiden.«

»Es hat zu einem Klima geführt, in dem israelische und jüdische Studenten und Fakultätsmitglieder ihre Identität verbergen oder den Campus ganz meiden.«

Prof. arie Zaban (präsident bar-ilan-universität)

Man würdige die Bemühungen der Kollegen in diesen Institutionen und verstehe die Komplexität. Meinungsfreiheit und Demonstrationsrecht seien für das Funktionieren jeder Demokratie und insbesondere im akademischen Umfeld von entscheidender Bedeutung, so der Brief weiter. Doch zu diesen Freiheiten gehöre nicht das Recht, Gewalt auszuüben, Drohungen gegen Gemeinden auszusprechen oder die Zerstörung des Staates Israel zu fordern, so die Uni-Präsidenten.

Offener Antisemitismus wird bei den Protesten oft als »Meinungsfreiheit« verkauft. Und die hat nicht nur in den USA allgemein, sondern speziell an Colleges eine große Bedeutung. Mehrere Hochschulen, die etwas gegen hassschürende Organisationen unternahmen, sahen sich noch größeren Protesten ausgesetzt – beispielsweise den sogenannten Gaza-Encampments (Zeltlager für die Solidarität mit Gaza). Es begann mit der Eliteeinrichtung Columbia in New York und schwappte über an viele andere Hochschulen. Auch an die Bostoner Northeastern.

Hier studiert Daphna Levy. Sie wollte nach ihrem Bachelorabschluss auch den Master an der Northeastern machen. Doch nach den jüngsten Entwicklungen überlegte sie es sich anderes und hat dies nun in Jerusalem vor. »Ich möchte nicht an eine Uni gehen und Angst haben oder verstecken müssen, dass ich jüdisch bin. So kann und will ich mein Studentenleben nicht verbringen.«  

Nahost-Konflikt auf geeignete Weise unterrichten

Dass das offene Diskutieren großgeschrieben wird und zum Lernprozess gehört, findet auch Levy wichtig. »Schließlich ist es eine Periode in unserem Leben, in der Meinungen geformt werden.« Dass der Krieg in Nahost aber zu derartigen gewalttätigen Entwicklungen führt, dass jüdische Studenten bedroht werden und Antisemitismus überall präsent ist, kann sie nicht hinnehmen.

Viele Lehrkräfte suchen nach Wegen, um das Thema auf geeignete Weise anzugehen. Eine von ihnen ist die Professorin Panagoula (Youly) Diamanti-Karanou. Sie unterrichtet den israelisch-palästinensischen Konflikt seit Jahren in ihrem Kurs »Internationale Konflikte«. Als Teil des Unterrichts müssen die Studentinnen und Studenten die unterschiedlichen Parteien »beraten« und dafür lernen, alle Perspektiven zu verstehen – auch die der anderen Seite. »Da dieser Kurs eingerichtet wurde, um die Komplexität internationaler Konflikte zu erforschen, ist es natürlich, auch den Nahostkonflikt im Kontext des jeweiligen Kurses zu diskutieren«, erklärt Diamanti-Karanou.

»Da dieser Kurs eingerichtet wurde, um die Komplexität internationaler Konflikte zu erforschen, ist es natürlich, auch den Nahostkonflikt zu diskutieren.«

Prof. Youli diamanti-karanou

Die Northeastern Universität hat viele internationale Studenten. Ben Rosenberg kommt aus Israel. Er hat den Kurs »Internationale Konflikte« belegt. Auch von ihm wird erwartet, Emotionen draußen zu lassen. »Das ist nicht immer leicht, aber ich wollte den Nahostkonflikt in einem Umfeld diskutieren, in dem man seine Meinung äußern kann.« Angesichts der momentanen politischen Lage und der Art, wie sich die Universitäten durch ihr Schweigen und ihre Untätigkeit auf dem Campus zeigten, gebe es nicht viele andere Möglichkeiten dafür, findet er.

Professorin Diamanti-Karanou ist sich der außergewöhnlichen Schwierigkeiten in dieser Zeit bewusst. »Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern ist der hartnäckigste unserer Zeit, und seit dem Kriegsausbruch am 7. Oktober ist es noch viel komplizierter geworden, diesen zu unterrichten. Es handelt sich um einen Konflikt, der zu einem Krieg mit enormen menschlichen Verlusten eskaliert ist. Selbstverständlich erhöht diese Situation die emotionalen Reaktionen unter den Studentinnen und Studenten.«

Daher gehe es in ihrem Kurs vor allem darum, objektiv zu sein. Doch das gelinge nicht immer, weiß sie. Ein zusätzlicher Faktor, der das Unterrichten dieses Konflikts erschwert, ist die Unsicherheit über die Zukunft: »Die aktuellen Ereignisse haben eine mögliche Lösung noch komplexer gemacht. Die gravierende Verschlechterung der Lage in den letzten Monaten hat zu großer Unsicherheit geführt und der Ungewissheit, ob es je Frieden geben wird.«

Abkommen, das beide Seiten in Betracht zieht

Ben Rosenberg findet trotzdem, dass es die ideale Zeit sei, den Konflikt aus akademischer Sicht zu studieren. Gemeinsam mit Kommilitonen arbeitet er an einem Projekt, bei dem er nicht die israelischen, sondern die palästinensischen Behörden beraten muss, um ein Abkommen mit Israel zu finden, das beide Interessen in Betracht zieht.

Außerdem meint Rosenberg, »ist es heute wichtiger denn je, mich in die Lage versetzen zu können, die Situation aller Beteiligten zu verstehen«. Der Student möchte sein Fachwissen und seine Sichtweise als Israeli und Jude an andere weitergeben. »Auch wenn manche Situationen oder Gespräche unangenehm sind, ist das Reden über den Konflikt aus meiner Sicht das Mindeste, was ich für meine Familie in Israel und die Armee, die für uns kämpft, tun kann.«

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