Wer war Ismail Haniyeh?
Der 1962 oder 1963 - beide Jahreszahlen werden immer wieder genannt - in dem al-Shati-Flüchtlingslager im Gazastreifen geborene Ismail Haniyeh war seit Mai 2017 Vorsitzender der Hamas. Als zentrale Figur im Politbüro der Terrororganisation galt er als einer der wichtigsten Akteure in den Gesprächen über die Freilassung der von der Hamas am 7. Oktober verschleppten Israelis oder um einen möglichen Waffenstillstand. Er war verheiratet und hatte dreizehn Kinder. Seit 2016 residierte Haniyeh in Katar, wo er und seine Familie einen luxuriösen Lebensstil pflegten. Drei seiner Söhne sowie vier seiner Enkel wurden bereits am 10. April bei einem gezielten Angriff der Israelis im Gazastreifen getötet.
Wie sah seine politische Biografie aus?
In den Jahren 1985 und 1986 agierte Haniyeh, der an der Islamischen Universität von Gaza arabische Literatur studiert hatte, als Anführer einer Studentengruppe, die den islamistischen Muslimbrüdern nahestand. Auf diese Weise kam er während der Ersten Intifada in Kontakt mit der gerade neu entstandenen Hamas, deren ideologische Wurzeln ebenfalls bei den Muslimbrüdern zu suchen sind. Mehrfach wurde Haniyeh von den Israelis wegen seiner Aktivitäten in diesen Jahren verhaftet und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. 1992 schob Israel ihn gemeinsam mit anderen prominenten Hamas-Akteuren wie Abdel Aziz al-Rantisi, Mahmoud Zahhar oder Aziz Duwaik in den Libanon ab.
Nach 1997 galt Haniyeh als rechte Hand des Hamas-Anführers Ahmed Yassin, eine Position, die er in den Jahren der Zweiten Intifada weiter ausbaute, weshalb er auch zunehmend ins Visier der Israelis geriet. Nach den palästinensischen Parlamentswahlen von 2006 wurde er kurzzeitig Ministerpräsident der Palästinensergebiete. Ab 2007, als es zum Bruch zwischen Hamas und al-Fatah kam, galt Haniyeh als Hamas-Chef im Gazastreifen. Sein Nachfolger sollte Yahya Sinwar werden. 2017 schließlich übernahm er die Führung der gesamten Hamas von Khaled Meshaal.
Wie gingen die USA mit dem Terroristen um?
Haniyeh wurde 2018 explizit vom US-amerikanischen Außenministerium als Terrorist gelistet. Die Begründung damals lautete: »Ismail Haniyeh ist der Führer und Präsident des Politbüros der Hamas, die 1997 als ausländische terroristische Organisation und 2001 als SDGT (Specially Designated Global Terrorist) eingestuft wurde. Haniyeh hat enge Verbindungen zum militärischen Flügel der Hamas und ist ein Befürworter des bewaffneten Kampfes, auch gegen Zivilisten. Berichten zufolge war er an Terroranschlägen gegen israelische Bürger beteiligt. Die Hamas ist für schätzungsweise 17 bei Terroranschlägen getötete Amerikaner verantwortlich.« In Israel galt er schon lange davor als Terrorist, weil er als Mitglied des Politbüros der Hamas zahlreiche Anschläge auch auf israelische Zivilisten mitverantwortete.
Welche Rolle spielte er konkret in dem Hamas-Netzwerk?
Haniyeh gilt als einer derjenigen, die die Verbindungen der sunnitischen Hamas zu den schiitischen Mullahs initiiert und intensiviert hatten. Das beweist auch seine Anwesenheit in Teheran, wo er dann auch getötet wurde, nach der Vereidigungszeremonie des neuen iranischen Präsidenten Massud Peseschkian. Auf diese Weise sicherte er der Hamas finanzielle Unterstützung und Waffen aus dem Iran. Zudem war er derjenige, der weitere Geldquellen erschloss, beispielsweise durch eine an die Hamas abzuführende Steuer in Höhe von 20 Prozent auf alle Waren, die in den Gazastreifen geschmuggelt wurden, und das Anlageportfolio der Terrororganisation, das laut amerikanischen Einschätzungen bis zu einer Milliarde Dollar schwer sein soll und über viele Länder, unter anderem Katar und der Türkei verteilt ist, kontrollierte.
Inwieweit wird die Tötung Haniyehs die Verhandlungen um die israelischen Geiseln beeinflussen?
Diese Frage lässt sich im Moment nicht eindeutig beantworten. Haniyeh war auf jeden Fall derjenige, der in den Gesprächen der vergangenen Monate eine zentrale Rolle spielte. Immer wieder hatte er sich unter anderem mit Vertretern von Ägypten oder Katar, die beide eine Vermittlerrolle bei den Waffenstillstandsgesprächen übernommen hatten, getroffen. Oder aber Rücksprache mit Teheran gehalten. Sein Tod dürfte die Verhandlungen um die israelischen Geiseln kurzfristig unterbrechen, muss aber nicht deren Ende bedeuten. Zudem ist noch offen, wer auf Haniyeh an der Spitze der Hamas folgen wird, sodass über die weitere Taktik der Hamas in dieser Angelegenheit nur spekuliert werden kann. Entweder wird sie auf ihre Forderungen nach einem Waffenstillstand und Rückzug noch mehr beharren als zuvor. Oder man könnte sich unter dem Eindruck der Haniyeh-Tötung etwas kompromissbereiter zeigen. Das werden erst die nächsten Wochen zeigen.