Die große internationale Bühne scheint Wirtschaftsminister Nir Barkat zu beherrschen. So kam es am Montag auf einer Konferenz der Welthandelsorganisation (WTO) in Abu Dhabi zu einer Begegnung mit dem saudischen Handelsminister Majid bin Abdullah Al-Qasabi, die für viel mediale Aufmerksamkeit sorgte.
»Israel ist an Frieden mit Ländern interessiert, die Frieden suchen, und wir können gemeinsam Geschichte schreiben«, erklärte Barkat seinem Gegenüber in einem spontanen Gespräch, das laut israelischem Wirtschaftsministerium in freundlicher Atmosphäre stattgefunden haben soll.
Geschichte würde Barkat gerne noch in einem ganz anderen Kontext schreiben. Denn der 64-Jährige, der zwischen 2008 und 2018 Bürgermeister von Jerusalem war, gilt als potenzieller Herausforderer von Benjamin Netanjahu an der Spitze des Likud. Dass er diesen Posten anstrebt, ist kein Geheimnis. Bereits Anfang Dezember hatte Barkat erklärt, dass Bibis Tage in der Partei gezählt seien.
Viele befürchten, dass der Premier die Partei in einen Abwärtsstrudel reißen könnte.
»Ich werde Netanjahu nicht mehr unterstützen«, sagte er gegenüber Parteifreunden in Kiryat Gat. »Nach dem Krieg müssen wir uns an die Menschen wenden und ihr Vertrauen zurückgewinnen. Der Likud braucht einen Wechsel.« Und da denkt Barkat wohl an sich selbst.
In der Partei rumort es
In der Partei rumort es gewaltig. Nicht wenige befürchten, dass Netanjahu sie in einen Abwärtsstrudel reißen könnte. Seine Weigerung, für das, was am 7. Oktober geschehen konnte, Verantwortung zu übernehmen, sein Agieren in der Geiselfrage und die Tatsache, dass seine rechtsextremen Koalitionspartner weiterhin politisches Porzellan zerschlagen, haben die Umfragewerte für den Likud in den Keller gedrückt.
Ständen jetzt Wahlen an, würde die Partei mehr als ein Drittel der aktuell 32 Sitze in der Knesset verlieren. Da macht sich der eine oder andere im Likud schon mal Sorgen um seine Zukunft. Doch noch traut sich niemand aus der Deckung und will als »Königsmörder« in Erscheinung treten.
Das gilt ebenfalls für Barkat, der zwar keinesfalls mit Kritik an Netanjahu spart, den Schritt zur offenen Rebellion gegen ihn aber noch nicht gewagt hat. Sehr wohl kommt es aber zu Seitenhieben, beispielsweise in der Frage, wie mit der US-Forderung nach einer Zweistaatenlösung umzugehen ist. »Wer auch immer daran denkt, den Palästinensern nach dem 7. Oktober eine Belohnung in Form eines Staates zu geben, wird feststellen, dass er keine Regierung hat«, sagte Barkat in einer Kabinettssitzung Ende Januar. Das wurde als Drohung aufgefasst.
Auch wäre der Wirtschaftsminister nicht der Einzige, der als potenzieller Herausforderer Netanjahus gilt. Und genau das ist sein Problem. Denn sowohl Verteidigungsminister Yoav Gallant als auch dem früheren Knessetsprecher Yuli Edelstein und Ex-Mossad-Chef Yossi Cohen werden gleichfalls Ambitionen für den Vorsitz im Likud nachgesagt. Das macht es nicht einfacher – im Gegenteil. Keiner würde dem anderen den Posten gönnen, und Netanjahu, der im Ruf steht, in Machtfragen ein hervorragender Taktiker zu sein, könnte sie alle gegeneinander ausspielen.
Für Bibi kann es eng werden
Trotzdem kann es für Bibi eng werden. »Die Mitglieder des Likud schauen sehr genau auf die Umfragen und haben verstanden, dass Netanjahu zu einer Belastung geworden ist«, so Binyamin Lachkar, ein ehemaliges Mitglied des Likud-Zentralkomitees, gegenüber dem Nahost-Online-Portal »The Media Line«. Wenn der Krieg einmal vorbei sein sollte, könnte sich so mancher in der Partei von Netanjahu distanzieren, glaubt der Experte. Andere dagegen würden weiter standhaft zu ihm halten, was für den Likud zu einer Belastungsprobe werden könnte.
Fakt ist, dass der Likud in mehreren Umfragen deutlich besser abschneiden würde, wenn der Spitzenkandidat nicht Netanjahu hieße. Laut einer Meinungsumfrage des Fernsehkanals 13 von Ende Januar käme die Partei unter einem Vorsitzenden Nir Barkat auf 21 Sitze in der Knesset. Bliebe es bei Netanjahu, so wären es lediglich 16.
Laut einer Anfang Februar von der Tageszeitung »Israel Hayom« veröffentlichten Umfrage des Maagar Mochot Institute käme der Likud mit Barkat oder Netanjahu gleichermaßen auf 19 Abgeordnete in der Knesset. Mit Yossi Cohen als Parteivorsitzendem wären es dagegen 22 Abgeordnete.
Das zeigt, wie schwierig auch für Barkat die Rolle als parteiinterner Netanjahu-Herausforderer ist. Denn zum einen sieht es nicht so aus, als ob dieser mit dem Gedanken spielt, freiwillig den Parteivorsitz abzugeben, geschweige denn vorzeitig von seinem Amt zurückzutreten. »Wahlen haben ein klares Datum«, so Barkats Antwort angesichts immer lauter werdender Rücktrittsforderungen. Weil die nächsten Wahlen erst im Oktober 2026 anstehen, schlägt Barkat vor, »dass wir uns während des Krieges keine Gedanken darüber machen«.
Neuwahlen während eines Krieges
Dabei sind Neuwahlen während eines Krieges durchaus möglich – das bewiesen am Dienstag die Kommunalwahlen. Die Frage ist nur, wie der Weg dahin zustande kommt. Mehrere Optionen wären möglich. Entweder platzt Netanjahus Koalition, weil seine rechtsextremen Partner Bezalel Smotrich und Itamar Ben-Gvir mehr Schaden anrichten, als sie ihm Nutzen bringen. Oder aber der Rückzug von Benny Gantz sowie Gadi Eizenkot aus dem Kriegskabinett, die Proteste auf der Straße und der Druck aus den Vereinigten Staaten zwingen ihn eines Tages dazu.
Ein konstruktives Misstrauensvotum könnte ebenfalls einen Wechsel an der Regierungsspitze einleiten, und das sogar ohne Neuwahlen. Denn laut israelischer Rechtslage kann im Prinzip jeder in der Knesset, der mindestens 61 der 120 Abgeordneten hinter sich weiß, zum Ministerpräsidenten ernannt werden. Für eine Person aus den Reihen der Opposition wäre das ein waghalsiges Unterfangen. Denn wer es versucht, müsste, um Erfolg zu haben, 19 Abgeordnete aus dem jetzigen Regierungslager auf seine Seite bringen.
Noch schwieriger wird das für einen Abweichler aus dem Likud, weil dieser neben mindestens 19 Parteigenossen auch die jüdischen Oppositionsparteien auf seiner Seite wissen müsste. Deshalb wird es wohl auch Barkat kaum wagen, Netanjahu auf diese Weise herauszufordern. Doch eines ist sicher: Er dürfte der Erste sein, der sich in Stellung bringt, wenn Bibi schwächeln sollte und sich eine realistische Chance ergibt, den Parteivorsitz zu erobern.