Vor einigen Tagen hat er es zum ersten Mal offiziell zugegeben: »Israel agiert hin und wieder in Syrien.« Diese Worte von Regierungschef Benjamin Netanjahu bestätigten das, was man im Land schon eine Weile vermutet hatte. »Wir verhindern auf diese Weise, dass eine neue Front gegen Israel eröffnet wird«, sagte Netanjahu auf der Galiläa-Konferenz in der vergangenen Woche. Die Sorge bei vielen israelischen Bewohnern der Golanhöhen, die an Syrien grenzen, wächst täglich.
»Wir werden das auch weiterhin tun«, führte der Premier aus, »um eine weitere Terrorfront zu stoppen, die der Iran versucht, auf dem Golan aufzubauen, und um den Transfer tödlicher Waffen von Syrien in den Libanon zu unterbinden.« Bislang hatte Jerusalem stets zu den vermeintlichen Angriffen – vor allem solchen gegen Waffenlieferungen an die Hisbollah-Miliz, die Israel zugeschrieben wurden –, geschwiegen.
Sicherheitsbedürfnisse Auch Verteidigungsminister Mosche Yaalon bestätigte, dass »wir selbstverständlich die chemischen Waffen Syriens und die Möglichkeit, dass die Hisbollah sie erhält, im Auge haben«. Der Minister machte deutlich: »Wir handeln entsprechend unserer Sicherheitsbedürfnisse.«
Trotz des seit mehr als vier Jahre andauernden Bürgerkrieges im Nachbarland zieht es die Israelis aus dem ganzen Land auf den Golan. Besonders im Winter ist die bergige Region im Nordosten beliebt wegen ihrer gemütlichen Dörfer und Kibbuzim sowie der intakten Natur. Und wenn Schnee fällt, pilgern die Touristen zu Zehntausenden in das Ski- und Rodelressort auf dem Berg Hermon.
Jahrzehntelang waren die Höhen eine der ruhigsten Gegenden in ganz Israel. Doch diese Zeit scheint vorbei. Langsam, aber sicher wird vielen Bewohnern mulmig zumute. Nach den Jahren des Krieges vor ihrer Haustür und dem kompletten Zerfall des Nachbarlandes haben viele Angst um ihre persönliche Zukunft und Sicherheit in der Region. Allerdings wollen sich die wenigsten dieser Tage darüber äußern. Denn die Menschen hier leben vor allem vom Tourismus. Und die potenzielle Gefahr, die hinter dem Grenzzaun hervorlugt, ist denkbar schlecht fürs Geschäft.
Chaos Ein Winzer, der seine Reben rund zehn Kilometer von der Grenze zu Syrien entfernt bestellt, gibt zu: »Am Anfang des Bürgerkrieges haben wir gedacht, das ist eine recht schnelle Sache, bald wird es wieder vorbei sein und Ruhe einkehren. Aber wir haben uns gehörig getäuscht. Das Chaos, das hinter dem Zaun herrscht, können wir nur erahnen. Und nein, gut fühlt sich das, was sich da zusammenbraut, sicher nicht an.«
Der Mann bezieht sich auf die verschiedenen Terrormilizen, die neben den Soldaten des syrischen Noch-Präsidenten Baschar al-Assad und den Rebellen nach Angaben von israelischen Sicherheitsexperten auf dem Golan aktiv sind. Angeblich sind größere Verbände des Islamischen Staats (IS) noch mindestens 80 Kilometer vom israelischen Territorium entfernt, doch ganz sicher kann sich da niemand sein.
Ein Video des selbst ernannten Kalifats vom vergangenen Monat machte unmissvertändlich klar: Der IS hat es auch auf Israel abgesehen. »Nicht ein einziger Jude wird in Jerusalem bleiben«, drohte ein vermummter Mann in schwarzer Kampfkluft auf Hebräisch. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit eines Angriffs – in erster Linie wegen der herausragenden Sicherheitsmaßnahmen und Geheimdienstarbeit – in naher Zukunft gering ist, so glauben doch viele, es sei lediglich eine Frage der Zeit, wann IS einen Angriff auf Israel versuchen wird. »Und sei es allein wegen der Werbewirkung, die eine ›Attacke gegen die Zionisten‹ haben könnte«, schreibt Kommentator Anshel Pfeffer in der Tageszeitung Haaretz.
Dschihadisten Neben der Bedrohung durch den IS machen Experten auf die Auswirkungen aufmerksam, die das Machtvakuum beim Nachbarn für den jüdischen Staat hat. »Syrien ist ein toter Staat. Israel muss das verstehen und sich entsprechend vorbereiten«, warnte Amos Gilad vor wenigen Tagen auf einer Konferenz. Gilad ist Leiter der politischen Sicherheitsabteilung im Verteidigungsministerium. »Assad verliert die Führung über das Land mehr und mehr, es ist praktisch ohne Regierung.« Dadurch, so Gilad, würden immer größere Teile Syriens in die Hände von Oppositionellen fallen, darunter auch Dschihadisten-Gruppen. Außerdem hängt Assad zunehmend von seinen Verbündeten Iran und Hisbollah ab. »Und beide sind eingeschworene Feinde Israels.«
Viele Bewohner der idyllischen Region sind dieser Tage daher mehr mit Sicherheitsanliegen beschäftigt als mit der Zukunft ihres schönen Fleckchens Erde. »Immer wieder haben wir in den letzten Jahrzehnten von verschiedenen Friedensinitiativen mit Syrien gehört, bei denen unser Land hätte zurückgegeben werden sollen. Das ist jetzt natürlich völlig vom Tisch«, erläutert die Betreiberin mehrerer Gästezimmer in der Nähe des Berges Hermon. »Würde sich Israel zurückziehen, stünde der IS ja praktisch vor den Toren von Tel Aviv. Und natürlich würde keine Regierung das zulassen.«
Ob sie trotzdem im Golan bleiben will? »Ich lebe hier seit 20 Jahren und werde sicher nicht morgen meine Koffer packen. Denn alles, was wir uns aufgebaut haben, ist hier«, sagt die Frau und zuckt mit den Schultern. »Aber die Gefahr ist real. Und was passiert, wenn die Terroristen zu uns über den Zaun spähen, weiß ich wirklich nicht.«