Rotes geriebenes Kraut, braune Paste, ein halbes Ei, dazwischen einige grüne Kräuter und in der Mitte ein ganzer Stapel quadratischer Fladen. Interessiert werden die Schalen auf den Tischen beäugt, wird gerätselt, was die Speisen wohl zu bedeuten haben. Die Robert-H.-Smith-Fakultät für Landwirtschaft der Hebräischen Universität hat die Studenten ihres internationalen Programms zum Pessachfest eingeladen. Für die Gäste ist es der erste Seder ihres Lebens.
»Normalerweise dauert ein Sederabend lang. Manchmal etwas zu lang, sodass allen irgendwann der Magen knurrt«, scherzt die Programmkoordinatorin Nurit Ben-Aharon, die an diesem Nachmittag auf dem Campus von Rechovot durch den Seder führt. »Doch das Fest ist wichtig, weil es uns daran erinnert, wie bedeutsam die Freiheit ist.« Die Geschichte des Auszugs der Juden aus Ägypten wird auf Englisch an die Wand projiziert, Studenten und Professoren wechseln sich mit dem Vorlesen ab.
Die jungen Frauen und Männer stammen größtenteils aus Dritte-Welt-Ländern: Äthiopien, Malawi, Uganda, Nicaragua, Indien, Nepal, Sri Lanka, Nigeria und anderen. Sie alle haben bereits einen BA in der Tasche, gehören zu den besten Studenten in ihrer Heimat. Noa Schwarzwald, Leiterin des internationalen Masterprogramms, erklärt, dass die Studenten von der britischen Pears-Stiftung gefördert werden. »Sie könnten das Geld nicht aufbringen, um im Ausland zu studieren.« Jedes Jahr werden in Rechovot zwei der vier Bereiche angeboten: Pflanzen-, Tier-, Umwelt- und Ernährungswissenschaften. Es ist ein drei Semester dauerndes Intensivprogramm, einige der Kommilitonen bleiben im Anschluss für ein Doktorandenstudium.
Erfolg Adeoye Oyebade aus Nigeria taucht enthusiastisch seinen kleinen Finger in den Wein, ruft die Namen der Plagen und tropft den Wein auf den Teller vor sich. Der junge Mann ist begeistert von dem Programm. »Mein Spezialgebiet ist Milchwirtschaft, und es gibt kein besseres Land auf der ganzen Welt, um das zu lernen. Ich habe vor, das alles mit nach Nigeria zu nehmen und dort anzuwenden.« Außerdem ist er angetan von der Hilfsbereitschaft der Menschen, »die mich oft ganz fröhlich stimmt«.
Das finden auch die drei jungen Männer am Nebentisch: Indresh Kumar aus Indien, Chosé Aguyrre aus Nicaragua und Thilina Madusanka aus Sri Lanka, allesamt Tierwissenschaftler. Indresh hat vor seinem Aufbruch viel Negatives über Israel gehört. »Man sagte mir, da ist immer Krieg. Aber das stimmt natürlich nicht. Es gibt ein Bild von außen und eines von innen. Ich bin so froh, dass ich das richtige Bild sehen darf.«
Chosé lernt hier, wie Farmtechnologie das Leben der Menschen verbessern kann. Bei ihm zu Hause wird die Landwirtschaft größtenteils noch per Hand erledigt, erzählt er. »Viele Menschen schuften hart auf den Bananenplantagen, für nur einen Dollar am Tag, das habe ich selbst erlebt. Früher wollte ich reich werden und ein dickes Auto fahren. Jetzt möchte ich mit dem Know-how, das ich hier bekomme, die Zustände in Nicaragua verbessern.« Thilina sagt, er wollte das Geheimnis von Israels Erfolg kennenlernen, wie man in solch kurzer Zeit aus der Wüste ein hochmodernes Land erschaffen kann, und diesen Schlüssel in Sri Lanka anwenden.
Macher Nurit Ben-Ahraon bestätigt, dass viele Absolventen in ihre Länder zurückkehren und dort zu »Entscheidern und Machern« werden, die Denkanstöße mitbringen. Besonders durch den praktischen Bezug der Studien und deren Anwendbarkeit auf verschiedene Länder sei das Programm so erfolgreich. »Wir wollen Israels Expertise in der Landwirtschaft auf diese Weise mit der Dritten Welt teilen.« Dafür sei die Universität besonders den Geldgebern dankbar, »denn die machen das seit 1998 jedes Jahr möglich«. Die Pears-Stiftung gewährt neben den Stipendien für die Teilnehmer sogenannte »seed grants« von 5000 Dollar als Starthilfe für verschiedene Projekte.
Die Ernährungswissenschaftlerin Aliza Stark weiß, dass einige der ehemaligen Studenten heute die akademische Welt oder Regierungen mit ihrem erworbenen Wissen beraten und an Universitäten lehren. »Es ist unser Ziel, Möglichkeiten für ein besseres Leben in diesen Ländern zu schaffen. Auch mithilfe des Netzwerks der Teilnehmer untereinander, das das ganze Leben lang besteht.« Der Lehrbeauftragte Ilan Samish ist sicher: »All unsere Studentinnen und Studenten werden zu Botschaftern für Israel und verbessern gleichzeitig die Bedingungen in ihrer Heimat. Es ist diese Win-win-Situation, die das Programm so außergewöhnlich macht.«
Ava Xue aus China, die vorher in den USA studiert hat, sagt, sie habe sich für das Ernährungsprogramm beworben, weil sie »Abenteuer im Blut« habe. »Und dies ist das beste Abenteuer meines Lebens.« Auch sie hat nur Lob für Israel, das »so dynamisch und inspirierend« sei. Während in China und den USA nur zähle, welche höhere Bildung man genossen hat, habe hier auch Lebenserfahrung Wert. »Ich fühle mich so frei und ausgelassen – und das werde ich überallhin mitnehmen.«
Ava, Adeoye, Indresh, Thilina, Chosé und die anderen Studenten brechen die erste Mazze ihres Lebens, tauchen die Kräuter in das Salzwasser, heben ihre Weingläser und prosten einander zu: »L’chaim, auf das Leben – und auf die Freiheit!«