Die Reise ist schön. Und unbeschwert. Doch erst, als der Rückflug ansteht, beschleicht Walter Greim das leise Gefühl, dass es vielleicht eine ganz besondere Tour ist. Hinter dem Mannschaftskapitän von Bayern Hof und seinem Team liegt eine zweiwöchige Israel-Rundfahrt. Am 12. Juli 1969 hat das Team aus Bayern zunächst gegen Nahariya und zwei Tage später gegen Hapoel Petah Tikwa gekickt. »Wir haben die Zeit genossen, vor allem vor und zwischen den Matches«, erzählt Greim, den alle »Waldi« rufen, in die Kamera des Filmemachers Götz Gemeinhardt. Auf der Reise von Bayern Hof durch Israel fand das erste Spiel einer deutschen Fußballmannschaft im jüdischen Staat statt. Gemeinhardt hat darüber den Dokumentarfilm 08397B gedreht, der jetzt in Berlin uraufgeführt wird.
frauen Die 14 Tage im Juli 1969 sind für Bayern Hof das, was man heute als eine ausgelassene Saisonabschlussfahrt bezeichnen würde. Die Spieler haben sich diese Belohnung redlich verdient. Die anstrengende Saison der Regionalliga Süd, damals war das die zweite Liga, hat die Mannschaft als Tabellendritter abgeschlossen. Anschließend mussten sie noch im Alpenpokal ran, eine Art Vorläufer des UEFA-Cups für Klubs aus dem Alpenraum.
Dann endlich geht es nach Israel. Die Stimmung ist ausgelassen, das Wetter sonnig und heiß, das Essen schmeckt. Das Mittelmeer ist immer in Reichweite, die Frauen Israels sind ebenso schön wie uner- reichbar, und ausreichend Bier gibt es in diesem fernen Land für die deutschen Fußballer auch noch. Die beiden Fußballspiele meistert der Besuch aus Hof ganz gut. Dem 2:0-Erfolg in Nahariya gegen eine Auswahl Nordisraels folgt zwar eine 0:3-Schlappe gegen Hapoel Petah Tikwa. Aber der Verein war damals schließlich gemeinsam mit Maccabi Tel Aviv israelischer Rekordmeister, hatte bis 1969 sechs israelische Meisterschaften gewonnen und zahlreiche Nationalspieler in seinen Reihen.
witze Fast am Ende dieser fröhlichen Reise, das erzählt »Waldi« Greim im Film, fährt er mit seinem Team noch einmal im Bus durch Tel Aviv. Die Spieler reißen Witze, vielleicht eine Spur zu laut. Aber wen soll das hier stören? Ein Israeli lacht sogar mit, das sieht Greim aus dem Augenwinkel. Der Mann umfasst mit seinen Händen fest die Stange oben im Bus, um in den Kurven Halt zu finden. Seine Hemdärmel hat er hochgekrempelt. Da erkennt der Fußballer Greim aus Hof eine eintätowierte Nummer am Unterarm des Israelis. »Ich dachte, was für ein Mann. Der kann über unsere Witze lachen. Der muss doch eigentlich denken, jetzt bin ich schon so weit weg, und nun kommen die Deutschen auch noch hier hin«, erinnert sich Greim.
Götz Gemeinhardt, Journalist aus der bayerischen Kleinstadt Hof, hat einen halbstündigen Dokumentarfilm über diesen besonderen Fußballausflug gedreht. Im vergangenen Jahr ist Gemeinhardt zusammen mit dem damaligen Vereinspräsidenten von Bayern Hof, Franz Anders, und »Waldi« Greim nach Israel gereist. Sie sind die Strecke von 1969 noch einmal abgefahren, haben die Schauplätze von damals besucht, die Städte, die Strände, die Hotels und die Fußballstadien. Sie haben sich mit ihren damaligen Gegenspielern und Schiedsrichter Abraham Klein, der die Spiele leitete, getroffen (vgl. das Interview auf dieser Seite). Beim Drehen merkten sie plötzlich: Wir haben vor 40 Jahren Fußballgeschichte geschrieben. Das war am Samstag, dem 12. Juli 1969, um 16.30 Uhr im Stadion von Nahariya.
Listig »Der Sport war vor den Diplomaten da«, sagt der Kölner Historiker Manfred Lämmer in dem Film. Dabei hatte es der deutsche Fußball in den 60er-Jahren kaum leichter als die deutsche Politik, in Israel Fuß zu fassen. Ein früherer Spieler von Bayern Hof, der jüdische Unternehmer Oskar Weissmann, machte dem Präsidenten Franz Anders den Vorschlag, es doch einfach mit Israel zu versuchen. Anders, dessen Großmutter Paula Jakoby 1941 die letzte lebende Jüdin der Stadt Hof war und die Schoa überlebte, gefiel die Idee.
Er ersann eine List und schickte gleichzeitig einen Brief an den israelischen Fußballverband und einen an das Bundesministerium des Inneren. Den Israelis schrieb der gewitzte Fußballfunktionär, dass die geplante Reise vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) unterstützt werde. Dem Innenministerium versicherte Anders, dass eine Einladung aus Israel vorliege; was fehle, sei lediglich die finanzielle Unterstützung.
Der Plan ging auf: Am 5. Juli 1969 setzte sich das Team von Bayern Hof in eine El-Al-Maschine von München nach Tel Aviv. Im Gepäck eine Einladung des israelischen Fußballverbandes für zwei Freundschaftsspiele. Die gut gefüllte Reisekasse spendierte das deutsche Innenministerium.
gefühle »Sie waren echte Pioniere, und wir wussten überhaupt nicht, wie wir mit denen umgehen sollten«, erinnert sich der Hapoel-Petah-Tikwa-Spieler Schimon Harusch in Gemeinhardts Film. »Vielleicht hatten sie sogar Eltern oder Großeltern, die in der SS oder Wehrmacht waren«, schildert der Fußballer seine Gefühlslage vor dem ersten Aufeinandertreffen seiner israelischen mit der deutschen Mannschaft.
Gemeinhardts Film – warum der Titel 08397B lautet, will der Regisseur nicht vorab verraten – schildert eindrucksvoll, wie höchst unterschiedlich die Interessenlagen der Fußballer im Juli 1969 sind. Auf der einen Seite stehen die deutschen Kicker aus Bayern, die sich als »unpolitisch« verstehen, ihren Saisonabschluss unbeschwert genießen wollen und für die Israel ein mehr oder weniger normales Reiseland ist. Nur 24 Jahre nach Befreiung der Konzentrationslager haben die Kicker nicht viel mehr im Sinn als Fußball und Strand.
ängste Auf der anderen Seite die Israelis. Die Fußballer und auch Schiedsrichter Abraham Klein zermartern sich schon Tage vor dem Anpfiff das Hirn: Wie soll man den Deutschen in diesen »Freundschaftsspielen« gegenübertreten. Mordechai Spiegler, damals Israels Spitzenspieler und extra ausgeliehen vom Erstligisten Maccabi Netanya, schildert in dem Film genau, welch große emotionale Anstrengung ihn das Match gegen Hof kostete – abseits des Platzes.
Waren es am Ende aber vielleicht doch nur zwei Fußballspiele in einer anderen Zeit? Nein, denn sie wirken bis heute. Am Ende des Films wird noch einmal Mordechai Spiegler gezeigt. Er legt da fast zärtlich einen Bayern-Hof-Fanschal über seine und Anders’ Schultern. »Ist es nicht wunderbar, wie wir damals gegeneinander Fußball gespielt haben und 40 Jahre später wieder hier als Freunde zusammensitzen?«, fragt Spiegler. Dann will der Israeli noch etwas von Franz Anders wissen: »Wunderbar, so heißt es doch auf Deutsch, oder?« »Ja, das sagt man so. Wunderbar!«, antwortet Anders.