Pessach in Israel

Den wenigsten ist nach Feiern zumute

Leil Ha Seder steht bevor. Der Seder, an dem jüdische Israelis den Auszug aus der Sklaverei in die Freiheit feiern, wird am Montagabend begangen. Doch den wenigsten im Land ist derzeit zum Feiern zumute. In diesem Jahr nennen viele den ersten Abend der Pessachwoche »Leil Ha Sedek« – die Nacht der Spaltung.

Nach dem grauenvollen Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 in südlichen Gemeinden Israels mit mehr als 1200 Toten und 253 Geiseln, sind noch immer 133 Menschen in der Gefangenschaft der Terrororganisation im Gazastreifen.

Von Freiheit kann keine Rede sein – und der Riss innerhalb der israelischen Gesellschaft ist deutlich spürbar. Tausende machten ihrem Unmut darüber nach dem Ende des Schabbats im ganzen Land Luft. Sie protestierten gegen die rechtsreligiöse Regierung, verlangten Neuwahlen und die Freilassung der Geiseln, unter anderem vor der Residenz von Premierminister Benjamin Netanjahu in Jerusalem.

Bei Demonstrationen ist das Wort »Chofesch« rot durchgestrichen.

Viele brachten die Botschaft des Pessachfestes mit zu der Kundgebung. Auf Schildern war etwa eine zerbrochene Sederplatte abgebildet, darüber standen die Worten »Leil Ha Sedek«. Auf anderen Plakaten war das Wort »Chofesch« (Freiheit) in Rot durchgestrichen.  

Auch Proteste in Tel Aviv, Haifa und vielen weiteren Orten spiegelten das Pessach-Thema wider. In Tel Aviv schlossen sich viele Anti-Regierungsdemonstranten mit Angehörigen der Geiseln zusammen. In den vergangenen Wochen bereits war es zu einer zunehmenden Vermischung der Proteste der Familien mit den Demos gegen die Regierung gekommen, die in den Monaten vor Kriegsbeginn jede Woche nach dem Ausgang des Schabbats stattgefunden hatten. Mittlerweile werfen einige der Familien Netanjahu persönlich vor, einen Deal aus politischen Gründen zu blockieren.

Kurz vor dem Beginn der Proeste hatten Angehörige der Geiseln einen Brief an die Mitglieder des Kriegskabinetts geschickt, in dem sie ein dringendes Treffen mit ihnen forderten – noch vor dem Sederabend. Sie schrieben: »In diesem Jahr wird der Feiertag der Freiheit im Staat Israel nicht gefeiert, da wahre Freiheit unmöglich ist, wenn 133 unserer Leute weiterhin von der Hamas gefangen gehalten werden. Die Freiheit wurde nicht nur ihnen, sondern auch uns, ihren Familien, entrissen – und zudem Millionen von Israelis, die sich dauerhaft quälen und nicht verstehen können, wie der Staat seine Bürger am 7. Oktober im Stich ließ und die Geiseln anschließend mehr als ein halbes Jahr lang vernachlässigt.«

Die Familien fragen: »Sind die Verhandlungen noch im Gange?«

»Viele Wochen lang« heißt es weiter »mussten wir uns mit bloßen Informationsfragmenten aus den Medien zufriedengeben, vagen Leaks aus unbekannten Quellen in Fernsehprogrammen und inoffiziellen Kanälen, die Aktualisierungsfetzen weitergaben. Täglich werden wir anhand von Berichten aus der Region Zeuge des mangelnden militärischen Fortschritts im Gazastreifen«. »Jetzt, vor Pessach, erwarten wir, Sie nach vielen Monaten ohne offizielle Versammlung wiederzusehen! Wir fordern, direkt und ohne Zwischenhändler von Ihnen zu hören, was die Prioritäten der israelischen Regierung sind – ein halbes Jahr nach Kriegsbeginn: Sind die Verhandlungen noch im Gange? Wann wird erwartet, dass unsere Lieben aus dieser Hölle kommen, und was tun Sie jeden Tag, jede Stunde, um ihre Freilassung zu erreichen?«

Roee und Ofir Angrest, die jüngeren Brüder der Geisel Matan Angrest, einem israelischen Soldaten, sprachen auf einer Kundgebung in Tel Aviv: »Du hattest dem Staat am 7. Oktober 2021 die Treue geschworen. Zwei Jahre lang hast du den Eid aufrecht gehalten und warst ein Schutzschild des Staates.« Der Staat aber habe Matan und alle anderen Geiseln noch am selben Tag im Stich gelassen, klagten die Angerest-Brüder. »Und er lässt Euch mit jedem Tag, der vergeht, weiter im Stich.«

Zu Pessach werde der Familie noch deutlicher bewusst, dass jede Chance genutzt werden müsse, um diejenigen zu retten, die noch gerettet werden können. Und fügten dann in einem verzweifelten Aufschrei hinzu: »Wenn überhaupt noch jemand gerettet werden kann...»Das Forum der Familien von Geiseln und Vermissten ruft die Israelis in diesem Jahr auf, am festlichen Sedertisch einen Stuhl freilassen, »nicht für den Propheten Eliajuh, wie sonst, sondern für eine Geisel«. 

Die Rabbinerin Anat Sharbat erklärt dazu: »Dieses Jahr werden wir beim Seder sitzen und die Geschichte des Auszugs aus Ägypten erzählen. Doch es werde eine andere Geschichte sein als die, die man bisher gelesen habe. »In diesem Jahr werden wir ausführlich über das Leiden der männlichen und weiblichen Geiseln sprechen, die Geschichte der Trauer über den Fall unserer Helden erzählen. Und wir werden den Traum unserer Erlösung weben«, so Rabbi Sharbat. »Ich bin Mutter von vier Töchtern. Dieses Jahr werden wir bei unserem Seder leiden, weinen und singen. Wir werden offenbaren, und wir werden viele Fragen stellen.«

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