Wer einen Eindruck davon bekommen möchte, wie Israel in Zukunft wohl aussehen wird, der sollte die zentralen Busbahnhöfe in Jerusalem oder Tel Aviv besuchen.
Denn genau wie an diesen Verkehrsknotenpunkten wird es bald überall in Israel ziemlich voll sein – und ethnisch sehr bunt zugehen. Die Zeiten, in denen Aschkenasim (Juden aus europäischen Ländern) den typischen Israeli verkörperten – möglichst als Pionier mit der Waffe in der einen und der Schaufel in der anderen Hand, der eine menschenleere Wüste urbar macht –, dürften wohl endgültig der Vergangenheit angehören. Längst können Israelis äthiopische oder asiatische Gesichtszüge haben, blond und blauäugig sein wie Skandinavier, dunkelhäutig wie Jemeniten – oder einfach irgendetwas dazwischen.
Zwar definieren sie sich mehrheitlich als Juden, doch auch darüber gibt es verschiedene Ansichten. Von betont weltlich, liberal über modern-orthodox bis hin zu ultraorthodox ist so ziemlich alles möglich. Dazu addieren sich die vielen israelischen Araber, Drusen, Beduinen sowie eine wachsende Zahl von nichtjüdischen Neu-Israelis mit Migrationshintergrund. Sie machen zusammen ungefähr ein Viertel der Bevölkerung aus.
Einwanderung Laut der nationalen Statistikbehörde gab es im April 2018 genau 8,8 Millionen Israelis. Zum Vergleich: Vor 70 Jahren lebten gerade einmal 806.000 Menschen im Land, davon rund 600.000 Juden. Aber bereits 1949 hatte man die Eine-Million-Marke geknackt, und 1958 waren es schon zwei Millionen Einwohner. Der Grund: Nach der Schoa und angesichts anhaltender Pogrome sahen vor allem im östlichen Europa Juden keine Zukunft mehr für sich.
Und die Gründung Israels im Jahr 1948 nahmen die Potentaten in der arabischen Welt zum Anlass, die in ihrem Herrschaftsbereich lebenden jüdischen Minderheiten zu drangsalieren und zu vertreiben, sodass in Ländern wie Algerien, Libyen oder dem Irak jüdische Gemeinden, die nicht selten auf mehrere Jahrtausende Geschichte zurückblicken konnten, verschwanden. Ihre Angehörigen flohen mehrheitlich in den neuen jüdischen Staat. Von den knapp 14,5 Millionen Juden auf der Welt leben heute mittlerweile mehr als 43 Prozent in Israel.
Während in den ersten Jahrzehnten des Bestehens des Staates die großen Einwanderungswellen dafür sorgten, dass die Bevölkerungszahlen kräftig zulegten – zuletzt nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion –, ist es heute eher die hohe Geburtenrate.
Geburtenrate Eine israelische Frau bekommt im Durchschnitt 3,11 Kinder. Unter den 35 Mitgliedsstaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ist das der Spitzenwert.
Auf 177.000 Geburten im Jahr 2017/18 kamen 41.000 Todesfälle, entsprechend wuchs die Bevölkerung jährlich um durchschnittlich 1,9 Prozent. Die Neueinwanderer hatten an der Entwicklung eher einen geringen Anteil, ihre Zahl hält sich seit den späten 90er-Jahren, nach dem Abebben der großen Einwanderungswelle aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion, ziemlich in Grenzen. Im selben Zeitraum übersiedelten rund 28.000 Juden aus der Ukraine, Frankreich oder Äthiopien nach Israel.
Und wie sieht die Zukunft aus? Laut Prognosen der nationalen Statistikbehörde wird es 2024 wohl zehn Millionen Israelis geben – eine Zahl, die sich bis 2065 noch einmal verdoppeln könnte. »Israel wird dann wohl die höchste Bevölkerungsdichte in der westlichen Welt aufweisen«, sagt dazu Sergio DellaPergola, einer der prominentesten Demografieforscher des Landes.
Entgegen aller Prognosen werden aber nicht die israelischen Araber die größte Minderheit im Land sein, sondern mit schätzungsweise 5,3 Millionen die Charedim. Denn während die Geburtenrate bei den Ultraorthodoxen mit 6,5 Kindern pro Frau nach wie vor sehr hoch bleibt, nimmt sie im arabischen Sektor allmählich leicht ab.
Aber es gibt noch andere Expertenschätzungen, die sogar von bis zu 36 Millionen Israelis für das Jahr 2050 ausgehen. So wie Professor Alon Tal von der Universität Tel Aviv, der mit seinem Buch The Land is Full: Addressing Overpopulation in Israel die meisten Prognosen als viel zu niedrig einschätzt und deshalb vor einer massiven Überbevölkerung mit all ihren Konsequenzen für die Umwelt und die Lebensqualität warnt.
Ballungszentren DellaPergola relativiert diese Kassandrarufe: »Auch wenn es in den Ballungsräumen um Tel Aviv oder Jerusalem voll wird, so gibt es immer noch reichlich Platz in der Peripherie. Israel verfügt über große Gebiete, die nur sehr spärlich besiedelt sind.« Deshalb sei Bevölkerungsdichte kein wirkliches Problem: »Nur muss die Regierung langsam mal eine Strategie dafür entwickeln.«
Gilad Malach vom Israel Democracy Institute sieht das ähnlich. »Eine hohe Bevölkerungsdichte sollte kein Unglück sein. Singapur oder Hongkong weisen eine deutlich höhere auf und sind trotzdem sehr erfolgreiche Volkswirtschaften.« Zum 100. Geburtstag Israels werden wir wissen, welcher Experte recht behielt.