Sagit Emmet schreibt einen Brief. Darin stellt sie sich vor, wie das Baby, das von den Terroristen der Hamas aus Israel nach Gaza verschleppt wurde, von einer arabischen Frau versorgt wird. Der Brief ist die Hoffnung auf etwas Menschlichkeit jenseits des Zaunes in den dunkelsten Stunden, die Israel seit Langem durchlebt.
Die Kinderbuchautorin hat ihren Brief der jüngsten israelischen Geisel gewidmet: Kfir Bibas, dem neun Monate alten Baby mit dem »flammend roten Haar«. Es wurde zusammen mit seiner Mutter Shiri, Vater Yarden und seinem vierjährigen Bruder Ariel am 7. Oktober entführt.
Auf den Videos der Hamas sieht man Yarden schwer verwundet, während Shiri Bibas ihre beiden kleinen Kinder an sich drückt, im Blick unbeschreibliche Angst. Der Brief wurde in der Tageszeitung Yediot Acharonot und der Website Ynet veröffentlicht.
Das Haus ist jetzt ein Gefängnis
Darin heißt es: »Ich kann mir vorstellen, wie es passiert – ein junger Mann, vielleicht zwei, mit angestrengtem Atem, die mitten in der Nacht an Deine Tür klopfen. Du hast sie erwartet. Jemand, ein entfernter Verwandter, hat Dich im Voraus darüber informiert, dass Du eine Rolle zu spielen hast, eine wichtige Rolle. Das Haus, sagen sie, sei jetzt ein Gefängnis (dieses kleine Hinterzimmer, das in die Wand gegraben wurde), ein Versteck für den entführten Feind, sie eine Gefängniswärterin.
Dies ist eine dunkle Stunde. Als Du die Tür öffnest, taucht ein Mondsplitter aus der Dunkelheit auf. Sie schleichen sich hinein und werfen Dir ein leichtes Paket an die Brust. Es ist ein kleines Kind, das merkt man. Ein Baby, wird Dir in Panik bewusst. Damit hast Du nicht gerechnet, aber Dein Gesicht unter dem schwarzen Tuch verrät nichts.«
»Niemand wird es hören. Nicht einmal die Nachbarn. Du schwörst, nicht einmal Deine eigenen Kinder, die Schwiegertöchter, niemand.«
»Wie lang?«, fragt sie. »Solange es dauert«, antworten sie. Ihre Kinder sind bereits erwachsen. Sie wissen nichts über die Rolle, die sie übernommen hat. Der kleine Feind in Deinen Armen ist regungslos, still, und für einen Moment bist Du nicht sicher, ob er noch lebt. Du tust, was nötig ist. Deine Bewegungen schwanken von dem Blick desjenigen, der in einer Hand ein Messer hält, während der andere Dich mit seinen Lippen zum Schweigen bringt. Ooskoot!, droht er.
FEIND Niemand darf es herausfinden. Du versprichst, zu schweigen. Der zionistische Feind wird in dem Raum eingeschlossen bleiben. Niemand wird es hören. Nicht einmal die Nachbarn von nebenan. Du schwörst, nicht einmal Deine eigenen Kinder, die Schwiegertöchter, niemand.
Ich stelle mir vor, wie sich Dein Körper vor diesen verschwitzten Boten des Satans versteift«, beschreibt Emmet. »Junge Männer mit vor Hass brennenden Augen. Du bist ihnen gegenüber stark und zäh. Erst nachdem sie gegangen sind und sich die Tür geschlossen hat, betrittst Du den Raum und legst Deinen Gefangenen auf die zuvor vorbereitete Matratze. Du siehst ihn zum ersten Mal an.«
Du kümmerst Dich um dieses Kind wie die Tochter des Pharao
»Du bist eine Frau. Ich erinnere mich tausendmal am Tag daran«, so die Autorin. »Du bist selbst Mutter. Es gibt Kräfte in der Natur, denen keine Mutter standhalten kann, das weiß ich. Zum Beispiel Angst in den Augen eines Kindes. Zum Beispiel kleine Finger, die sich um Deinen Daumen legen.«
KÖRPER Sie müsse einfach glauben, dass »Du Dich um dieses Kind kümmerst wie die Tochter des Pharaos«, steht in dem Brief, »wie die Mutter, die Du bist. Ich muss glauben, dass Du Dich über ihn beugst und ihm erlaubst, sich auf Deinem Schoß zusammenzurollen. Dass Du Stunden mit ihm in diesem kleinen Raum verbringst und seinen winzigen Körper an Deinen kuschelst«.
»Ich muss wissen, dass Du die Wange dieses kleinen Feindes mit dem flammend roten Haar streichelst – und dass Du ihm das Weinen wieder beibringst.«