»Wir können es uns nicht leisten, den Kampf um Frieden aufzugeben. Auch wenn die Situation noch so furchtbar ist, so wie jetzt«, sagt Robi Damelin, die Sprecherin des israelisch-palästinensischen »Gesprächsforums für Eltern«, das seinen Sitz in Ramat Efal bei Tel Aviv und in Elram im Westjordanland hat. Die 70-Jährige nimmt damit Bezug auf die jüngste Gewalt in der Region und auf den Ruf nach Vergeltung von beiden Seiten, nachdem vier junge Männer ermordet wurden. Es sind Menschen wie Damelin, die hier die Hoffnung auf Versöhnung weitertragen trotz – oder gerade wegen – eigener leidvoller Erfahrungen.
Die in Südafrika geborene frühere Journalistin der »Jerusalem Post« teilt das gleiche Schicksal wie die Mütter der ermordeten Jugendlichen Naftali Frenkel, Eyal Yifrach und Gilad Shaar und von Mohammed Abu Khdeir, dem 16-jährigen Palästinenser, der vergangene Woche ermordet im Wald bei Jerusalem aufgefunden wurde. Und das von Eltern vieler anderer ungezählter Opfer auf beiden Seiten des Nahostkonflikts: Sie alle haben Kinder verloren.
Soldat Robi Damelins Sohn David wurde 2002 von einem palästinensischen Scharfschützen getötet, als er als Reserveoffizier an einem Checkpoint nahe der israelischen Siedlung Ofra, nördlich von Ramallah, Wache schob. Der Student der Erziehungswissenschaften war gegen seinen Willen dort. Bereits während seiner Zeit als Soldat hatte er sich zunächst geweigert, im Westjordanland Dienst zu tun. »Aber dann entschied er sich, daraus das Beste zu machen und die Palästinenser mit Respekt zu behandeln«, erinnert sich die Mutter. Sie habe ihre Kinder so erzogen. »Es gab bei uns keine Diskussion über den Glauben oder die Hautfarbe eines anderen.«
Robi Damelin teilt nicht nur den Verlust ihres Kindes mit den Müttern der jüngsten Opfer in der Region. Sie teilt auch deren Stärke, selbst in tiefster Verzweiflung noch gerecht zu bleiben: »Niemand darf irgendjemanden dafür im Namen meines Kindes töten«, hatte sie gesagt, als die Nachricht von Davids Tod eintraf.
Leid Ähnlich hatte Rachel Frenkel, die Mutter von Naftali, vergangene Woche reagiert, nachdem Teile der israelischen Gesellschaft, inklusive einiger Politiker, Rache für die Ermordung der drei Talmudschüler gefordert hatten. Frenkel war entsetzt über die Reaktionen: »Arabisches Blut und jüdisches Blut unterscheiden sich nicht. Mord ist Mord und kann in keinem Fall vergeben und gerechtfertigt werden«, sagte sie.
Der Verzicht auf Rache bedeute keineswegs, dass man auch vergeben könne, betont Robi Damelin. Sie habe Jahre dazu gebraucht. Der Tag, an dem der Scharfschütze gefasst wurde – zwei Jahre später –, war eine Herausforderung für sie: »Ich habe mich gefragt: Stimmt es, was ich dauernd über Versöhnung sage? Meine ich das wirklich?« Sie fühlte keine Befriedigung über seine Strafe – außer der Gewissheit, dass er nun nicht noch jemanden töten könne. »Rache ist sinnlos, und ich habe nie danach gestrebt.«
Man könne es nicht beschreiben, wie es ist, sein Kind zu verlieren, sagt Damelin. »Dein ganzes Leben hat sich für immer verändert. Ich bin zwar immer noch derselbe Mensch, aber voller Leid.« Diese Gefühle teilen auch die palästinensischen Eltern, die am Elternforum teilnehmen. Beide Seiten versuchen, sich einander anzunähern, indem sie von sich und ihrem Leben erzählen. Dabei tritt zutage, wie weit entfernt die beiden Völker in ihrer Wahrnehmung voneinander sind.
schock Als herauskam, dass rechtsextreme Israelis Mohammed Abu Khdeir aus rassistischen Motiven getötet haben, schrieb die »Times of Israel«: »Israel ist schockiert«. Die Politik reagierte entsprechend: Am Montag telefonierte Premier Benjamin Netanjahu mit Khdeirs Vater: »Das israelische Volk ist empört über den verwerflichen Mord.« Man werde die Verantwortlichen ihrer gerechten Strafe zuführen. Auch andere Politiker verdammten die Tat.
Abu Khdeir, der Vater des ermordeten Mohammed, und Naftali Frenkels Onkel Yishai haben ebenfalls kürzlich miteinander telefoniert und sprachen einander Trost zu. Und vor einigen Tagen besuchte Rabbiner Rafi Ostroff aus Gush Etzion mit einer Gruppe von Palästinensern aus Hebron und Umgebung die Familie Frenkel. »Es wird sich nur etwas zum Besseren wenden, wenn wir unser gegenseitiges Leid anerkennen«, sagte einer der Palästinenser anschließend. »Die Familie hat uns sehr warmherzig empfangen. Rachel Frenkel ist eine unglaubliche Frau.«
kondolenz Zahlreiche jüdische Israelis statten seit Anfang der Woche dem Trauerzelt für Abu Khdeir im Jerusalemer Ortsteil Schuafat Kondolenzbesuche ab. Das »Tag Meir Forum«, ein Zusammenschluss aus 39 israelischen Gruppen, organisierte am Dienstag einen Besuch bei der trauernden Familie. Unter den Trauergästen war auch Rabbiner Jossi Slotnik aus dem Kibbuz Maaleh Gilboa. »Das, was passiert ist, nennen wir Juden Hilul Haschem (Schändung des Namens Gottes). Ich bin hier, um dagegen zu protestieren und zu sagen: Wir wollen eine andere Art der Koexistenz«, so Rabbiner Slotnik.
Die Mitglieder der Familie Khdeir reichten den vielen jüdischen Gästen die Hände. Ein Palästinenser sagte aber auch, der Besuch sei ein Protest gegen die Siedlungspolitik und die israelische Aggression gegen das palästinensische Volk, was bei vielen Anwesenden für Unmut sorgte. Auch am Trauerzelt war am Dienstag der »Code Red«-Alarm zu hören – die Hamas hatte Raketen auf Jerusalem gefeuert.