Covid-19

Das große Warten

Kämpfer gegen Corona: Mitarbeiter von Magen David Adom in Jerusalem Foto: Flash90

Er sehe »Licht am Ende des Tunnels«, beteuert Premierminister Benjamin Netanjahu immer wieder. Das Rennen um den Impfstoff gegen das Covid-19-Virus hat auch in Israel begonnen. Nachdem die US-Biotech-Firma Moderna ankündigte, ihr Impfstoff gegen das Coronavirus sei zu 94,5 Prozent effektiv, steht die Welt Schlange, um ihn zu kaufen. Israel reiht sich mit ein. Der kleine Nahoststaat soll eines der ersten Länder sein, die beliefert werden.

Der medizinische Direktor für Moderna in Israel, Tal Zaks, bestätigte dies im israelischen Fernsehen. Da Israel zu den Ersten gehörte, die mit dem Unternehmen einen Vertrag abgeschlossen hatten, würde sich die Firma nun an ihren Teil der Vereinbarung halten. Die Lieferungen werden aus der europäischen Produktion kommen, die in der Schweiz angesiedelt ist. »Ich hoffe, dass es Anfang 2021 geschieht, aber es ist wirklich um die Ecke.«

»Das sind ausgezeichnete Nachrichten für den Staat Israel«, frohlockte Netanjahu am Wochenbeginn. »Unser Ziel ist es, den Bürgern so viele Impfstoffe wie möglich aus so vielen Quellen wie nötig zu bringen.« Sie würden allerdings nicht schon morgen ankommen. »Aber es geht hier nicht um Jahre, sondern um Monate.« Zur selben Zeit warnte Gesundheitsminister Yuli Edelstein: »Es wird nicht ausreichend Dosen von Moderna für alle Israelis geben.« Bestellt sind zwei Millionen Einheiten, die für eine Million Menschen reichen.

STUDIE Doch Jerusalem hat auch beim US-Pharmakonzern Pfizer Impfdosen bestellt. Die sollen nach Angaben der israelischen Regierung bereits im ersten Monat des kommenden Jahres ankommen. Das Unternehmen und sein deutscher Partner BioNTech waren die Ersten, die erfolgreiche Daten von einer umfassenden klinischen Studie veröffentlichten. Es wird erwartet, dass noch in diesem Monat eine Bestätigung der US-Behörde zur Überwachung von Lebens- und Arzneimitteln (FDA) beantragt wird.

Zuerst sollen Alte und Krankenhausmitarbeiter geimpft werden.

Netanjahu hatte gleich zweimal mit dem Geschäftsführer von Pfizer, Albert Bourla, telefoniert, um bürokratische Hürden zu beseitigen. Der Deal mit Pfizer umfasse Dosen für insgesamt vier Millionen Israelis, die im Laufe des Jahres 2021 geliefert werden sollen.

Der Premier wandte sich in einer Videoansprache an die Bürger: »Wir schauen uns um, damit wir auch von anderen Quellen Impfstoff erwerben können. Je mehr, desto besser.« Gleichzeitig bat er seine Landsleute inständig, weiterhin Vorsicht walten zu lassen und sich an die Beschränkungen wegen des Coronavirus zu halten. »Es wird in der ganzen Welt eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen. Bis dahin müssen wir uns an die Regeln halten.«

Pfizer und BioNTech bestätigten den Deal. »Wir sind sehr stolz, mit der israelischen Regierung zusammenzuarbeiten«, sagte Miron Livneh, Chef von Pfizer Israel. »Unser gemeinsames Ziel ist es, dem israelischen Volk so schnell wie möglich einen potenziellen Covid-19-Impfstoff zu bringen.«

Allerdings sei der Deal für das Unternehmen nicht verpflichtend, wie israelische Medien berichten. Der Wortlaut im Vertrag soll angeblich lediglich eine »Intention des Herstellers« beschreiben, »den Umständen entsprechend Impfstoffe an Israel zu liefern«. Dennoch geht Jerusalem mit 120 Millionen Schekel (30 Millionen Euro) in Vorkasse. Diese werden jedoch zurückerstattet, sollte Pfizer nicht liefern wollen oder können.

ABKOMMEN Netanjahu gab sich entrüstet, dass Details des Deals an die Öffentlichkeit gelangten. »Teile dieses Abkommens sind vertraulich – und ich will die Lieferungen nicht durch eine Veröffentlichung gefährden«, machte er klar. Er betonte auch, dass es ein guter Deal für Israel sei. »So wie die führenden Nationen der Welt beliefert werden, so werden auch wir beliefert.«

Das Land befindet sich nach wie vor in einem zweiten nationalen Lockdown, der am 18. September begonnen hatte und nur nach und nach gelockert wird. Am Montag wurden 903 neue Fälle vom Gesundheitsministerium gemeldet, die höchste Zahl seit Oktober. Die Positivrate der Covid-19-Infektionen stehe derzeit bei zwei Prozent. In den Krankenhäusern werden derzeit 320 Patienten mit schweren Symp­tomen behandelt, insgesamt sind 2734 Menschen an den Folgen einer Erkrankung mit dem Coronavirus gestorben.

Währenddessen erklärte das Jerusalemer Krankenhaus Hadassah, dass es 1,5 Millionen Einheiten Impfstoff aus Russland bestellt habe. Das Mittel mit Namen »Sputnik V« befinde sich noch in der Testphase III, zeige jedoch bereits eine Wirksamkeit von bis zu 92 Prozent. Es ist in Russland bereits Zehntausenden von Menschen verabreicht worden und wird vom Gamaleya-Institut hergestellt. »Die Sicherheitsergebnisse, die wir aus Russland bekommen haben, sehen sehr gut aus«, so Krankenhausleiter Zeev Rotstein. Der Kauf werde von einer Investorengruppe finanziert und belaste das Krankenhausbudget nicht.

Auch Netanjahu zeigt Interesse am Mittel aus Moskau. In einer Pressekonferenz am Montag erklärte er, dass er bereits mit Präsident Wladimir Putin gesprochen habe. Man habe die Möglichkeiten diskutiert, Impfstoff aus Russland zu erwerben oder ihn sogar in Israel produzieren zu lassen.

VERTEILER Wenn die Pakete ankommen, stellt sich jedoch noch immer die Frage der Aufbewahrung und Verteilung. Der Impfstoff braucht besondere Kühlung und einen speziellen Transport. Pfizers Mittel beispielsweise muss bei minus 70 Grad Celsius gelagert werden und hält lediglich einige Tage. Es ist nicht klar, ob das Land darauf vorbereitet ist oder sich derzeit darauf vorbereitet.

Außerdem steht die Frage im Raum, wer die Spritze zuerst erhält. In internationalen Kreisen wird davon ausgegangen, dass an erster Stelle das Gesundheitspersonal steht und dann die alten und kranken Bürger geimpft werden sollen. Für den israelischen Physiker und Israelpreis-Gewinner Shlomo Havlin ergibt das keinen Sinn. In seinen Augen sind die »sozialen Schmetterlinge« eine viel bessere Zielgruppe.

Er erklärt: »Es wäre viel effektiver, die potenziellen Virusverteiler zu immunisieren. Dann würden sie keine anderen Menschen mehr infizieren, und die Pandemie wäre schneller vorbei.« Das sei der beste Weg zu einer Herdenimmunität, so der 78-Jährige. »Es kann sein, dass die Idee nicht besonders gut ankommt und dass sie für mich als ältere Person nicht von Vorteil ist. Doch tatsächlich würden alle davon profitieren.«

Havlin belässt es nicht bei Annahmen. Er entwickelte ein Modell, das demnächst im Magazin »National Science Review« veröffentlicht wird. Weltweit sehe man, dass ein großer Anteil der Infektionen von sogenannten Superspreadern ausgehe, die sich viel bewegen. Würden die zuerst geimpft, erhielten die Gesellschaften durch die ersten Lieferungen des Impfstoffs eine dreimal so hohe Wirkung, als wenn Alte und Kranke zuerst versorgt würden, erläutert er. »Wenn man nicht ausreichend Impfstoff hat, aber alle schützen will, ist dies der einzige Weg, es zu tun.«

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