Benjamin Netanjahu

»Das Gerücht, dass ich den Krieg verlängere, ist falsch«

Benjamin Netanjahu Foto: IMAGO/ZUMA Press Wire

Es ist selten, dass Benjamin Netanjahu Print-Magazinen oder Zeitungen längere Interviews gibt. Er tritt lieber im Fernsehen auf, bevorzugt im amerikanischen, oder redet mit ihm wohlgesonnenen Medien wie der rechten Zeitung »Israel Hayom«, was viele Journalisten im eigenen Land auf die Palme bringt.

Anfang dieser Woche machte der Langzeit-Ministerpräsident (Netanjahu hat Israel mit Unterbrechungen schon fast 18 Jahre lang regiert) eine Ausnahme und gewährte »Time« ein ausführliches Interview, wofür ihn das US-Nachrichtenmagazin prompt auf das Cover der gedruckten Ausgabe hob.

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Vom Journalisten Eric Cortellessa wurde Netanjahu vor allem danach gefragt, inwieweit der brutale Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 auch auf Fehler seiner Regierung zurückzuführen gewesen sei. Warum er den Kataris erlaubt habe, die Hamas zu finanzieren, wollte Cortellessa wissen.

Netanjahu erwiderte, auch andere israelische Regierungen hätten das getan. Katar habe aber nicht die Hamas, sondern die zivile Verwaltung in Gaza unterstützt. »Wir wollten sicherstellen, dass der Gazastreifen eine funktionierende Zivilverwaltung hat, um einen humanitären Zusammenbruch zu vermeiden. Zum Beispiel, um Geld für die Abwasserentsorgung, die Wasserversorgung, das Bildungssystem und so weiter zu haben. Das Ganze hätte kollabieren und wir hätten Epidemien bekommen können.« Das Hauptproblem sei nicht das Geld aus Katar, sondern der Waffenschmuggel in den Gazastreifen über die ägyptische Grenze gewesen.

Das habe ihn aber nie daran gehindert, die Hamas wenn nötig auch mit militärischen Mitteln zu bekämpfen, sagte Netanjahu. Die komplette Zerstörung der islamistischen Terrororganisation sei nur mit einer umfassenden Bodenoffensive im Gazastreifen möglich. Darüber habe es vor dem 7. Oktober weder in der israelischen Bevölkerung noch innerhalb der Armeeführung einen Konsens gegeben. »Das Gerücht, dass ich den Krieg verlängere, ist falsch. Ich versuche, den Krieg so schnell wie möglich zu beenden«, sagte er.

Vom Interviewer mit einem angeblichen Zitat aus dem Jahr 2019 konfrontiert, demzufolge Netanjahu absichtlich die Hamas fördern wollte, um eine Zwei-Staaten-Lösung zu verhindern und die Palästinenser in Gaza zu isolieren, erwiderte der Ministerpräsident: »Das ist eine falsche Aussage. Das habe ich nie gesagt.« Das sei »eines der vielen falschen Zitate, die mir zugeschrieben werden«, behauptete er.

Den Gazastreifen will der Ministerpräsident nach dem Ende des Krieges entmilitarisieren und »entradikalisieren«. Israel werde »auf absehbare Zeit« die Aufgabe haben, ein Wiedererstarken der Hamas zu verhindern, »und zwar aus Sicherheitsgründen«. Er wolle aber eine zivile Verwaltung des Gazastreifens sehen, die von Palästinensern mit der Unterstützung regionaler Partner geführt werde. Bis dahin werde aber einige Zeit vergehen.

Netanjahu: »Haben das Unkraut gejätet«

»Ich habe immer gesagt, dass meine Vision einer langfristigen Vereinbarung mit den Palästinensern darin besteht, dass sie alle Befugnisse haben sollten, sich selbst zu regieren, aber keine Befugnisse, uns zu bedrohen. Das bedeutet, dass die Hauptverantwortung für die Sicherheit in den Händen Israels verbleibt«, sagte Netanjahu dem Magazin. Das sei »die einzige vernünftige Vereinbarung, die wir treffen können.«

Er habe nie Illusionen über die Hamas gehabt, so Netanjahu. »Wir haben das Unkraut gejätet, aber bis zum 7. Oktober sind wir nicht (nach Gaza) hineingegangen, um sie vollständig zu eliminieren.« Die Hamas-Massaker vor zehn Monaten hätten aber gezeigt, dass die israelische Politik der Abschreckung nicht erfolgreich gewesen sei.

Den Vorwurf, die israelische Gesellschaft mit seiner umstrittenen Justizreform gespalten zu haben und so die Abwehrbereitschaft des Landes gegen Angriffe von außen geschwächt zu haben, wies Netanjahu zurück. Die Pläne der Hamas für den  Oktober seien schon ein Jahr vor der Justizreform geschmiedet worden, sagte er.

Immerhin sei der Angriff aber »unter seiner Aufsicht« passiert, entgegnete Cortellessa. In seiner Antwort zog Netanjahu historische Parallelen: »Wissen Sie, wenn es in Ihrer Amtszeit passiert, vermute ich, dass ich dasselbe empfunden habe, was Präsident Roosevelt nach Pearl Harbor und Präsident George W. Bush nach dem 9/11 empfunden hat.« Natürlich überlege er, wie man den Angriff hätte verhindern können. Aber im Moment gebe es halt andere Prioritäten, nämlich den Krieg gegen die Hamas zu gewinnen und dafür zu sorgen, dass sich der 7. Oktober nicht wiederhole.

»Es tut mir sehr leid, das so etwas passiert ist«

Warum sich die Chefs von Armee und Inlandsgeheimdienst entschuldigt hätten, er als Ministerpräsident die Verantwortung hingegen auf erstere abgewälzt habe, wurde Netanjahu gefragt. Seine Antwort: »Ich habe gesagt, dass es nach dem Ende des Krieges eine unabhängige Kommission geben wird, die alles untersuchen wird, was vorher passiert ist, und dass jeder, auch ich, einige harte Fragen beantworten muss.«

Im Krieg sei eine solche Untersuchung nicht möglich. Dann kam doch noch eine Entschuldigung: »Es tut mir sehr leid, dass so etwas passiert ist. Man blickt immer zurück und fragt sich: Hätten wir etwas tun können, um es zu verhindern?«

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Nach den Tötungen eines Hisbollah-Kommandeurs in Beirut (zu der Israel sich bekannte) und des Hamas-Auslandschefs Ismail Haniyeh in Teheran (die laut Recherchen von »New York Times« und »Telegraph« der Mossad geplant haben soll) ist laut dem Regierungschef die Chance auf die Freilassung der israelischen Geiseln in Gaza sogar gestiegen. Denn, so Netanjahu: »Einige der extremeren Elemente, die gegen einen Deal sind, sind nicht mehr unter uns.«

Er sehe die Zerstörung der Hamas und die Freilassung der Geiseln als »komplementäre Ziele« an, so Netanjahu. »Je mehr militärischen Druck wir ausüben, desto mehr kommen wir beiden Zielen näher.« Einen Deal, in dem alle Geiseln freikommen würden und die Hamas weiterhin den Gazastreifen beherrsche, sei mit ihm und der Mehrheit der israelischen Bevölkerung nicht zu machen, so der 74-Jährige. Denn dann würde es weitere Geiselnahmen und einen zweiten 7. Oktober geben und »noch viel schlimmere Dinge«.

Auch zu den Opferzahlen in Gaza äußerte Netanjahu sich. Es sei zwar schwer, zivile und militärische Opfer auseinanderzuhalten, aber auf jeden getöteten Hamas-Terroristen komme ein ziviles Opfer, so der Ministerpräsident. »Es ist ungefähr halb und halb. Unsere beste Einschätzung ist eins zu eins. Interessanterweise ist die Zahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung in Rafah rapide gesunken, und der Ort, an dem die Verluste unter der Zivilbevölkerung am geringsten waren, ist Rafah.«

Entgegen der Warnungen aus dem Ausland habe es dort keine humanitäre Katastrophe gegeben. Israel habe unter unmöglichen Bedingungen »eine beispielhafte Anstrengung unternommen, um zivile Opfer zu vermeiden oder zu minimieren«, so Netanjahu. Das gelte auch für die humanitäre Versorgung des Gazastreifens. Viele Märkte dort seien »voll mit Lebensmitteln«. Netanjahu räumte aber ein, dass es Engpässe bei der Versorgung mit Lebensmitteln gegeben habe. Schuld daran sei aber die Hamas.

Verfehlungen auf israelischer Seite, insbesondere die mögliche Misshandlung palästinensischer Gefangener, will Netanjahu rechtsstaatlich untersuchen lassen. Alle Israelis müssten sich an die Gesetze halten, auch er selbst genieße keine Immunität. »Das bedeutet, dass alle Übertretungen untersucht und gegebenenfalls strafrechtlich verfolgt werden müssen. Das ist keine Frage.«

Israel habe ein unabhängiges Justizsystem. »Das Argument, dass wir das nicht untersuchen würden, ist also lächerlich«, so Netanjahu. Niemand dürfe sich in die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden einmischen. Auch ein möglicher Prozess gegen ihn könne nur in Israel stattfinden und nicht vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag.

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Sein Ziel sei es, »mit demokratischen Mitteln« eine jüdische Mehrheit in Israel zu behalten.Die Palästinenser im Westjordanland könnten aber nicht als Bürger Israels betrachtet werden. Eine Annexion der Palästinensergebiete lehne er ab. »Ich denke, dass dort eine Lösung möglich ist. Es bedeutet, dass sie ihr eigenes Leben führen sollten, für ihre eigenen Institutionen stimmen. Sie sollten ihre eigene Selbstverwaltung haben. Aber sie sollten nicht die Macht haben, uns zu bedrohen.«

Er fügte hinzu: »Wir herrschen nicht über ihr Land. Wir herrschen nicht über Ramallah. Wir regieren nicht Dschenin. Aber wir greifen ein, wenn es darum geht, Terrorismus zu verhindern.« Es werde »eine Teilung der Macht geben müssen«, so der Ministerpräsident. Ins Detail ging er nicht.

Wie lange er selbst noch regieren wolle, fragte Cortellessa Netanjahu auch. »Ich werde so lange im Amt bleiben, wie ich glaube, dass ich dazu beitragen kann, Israel in eine Zukunft der Sicherheit, der dauerhaften Sicherheit und des Wohlstandes zu führen.« Man sei auf dem Weg zum Sieg über die Hamas. Letztendlich sei das aber in jedem Fall die Entscheidung des Volkes. mth

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