Interview

»Dann zog er ein Messer«

Iman Sefati

Herr Sefati, Sie berichten als Videoreporter für die »BILD«-Zeitung regelmäßig von israelfeindlichen und antisemitischen Demonstrationen in Berlin. Nun wurden Sie vor Ihrer Haustür von einem »propalästinensischen« Aktivisten mit einem Messer bedroht. Was genau ist passiert?
Am Freitag habe ich in Berlin-Neukölln über die Dyke-Demonstration für lesbische Sichtbarkeit berichtet und einige Videoaufnahmen gemacht. Während der Kundgebung haben wir festgestellt, dass wir ständig von mindestens einer Person verfolgt wurden. Darauf hatte mich eine Kollegin vom »Jüdischen Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus« mehrmals hingewiesen. Ich habe mir nichts weiter dabei gedacht, weil es leider normal ist, dass wir als Pressevertreter auf sogenannten propalästinensischen Demonstrationen angegriffen, bedroht, beleidigt oder manchmal auch verfolgt werden. Am späten Abend haben wir uns auf den Heimweg gemacht.

Wie ging es dann weiter?
Gegen 23 Uhr bat mich meine Frau, mit den Hunden Gassi zu gehen. Als ich das Wohngebäude durch den Haupteingang verließ, bemerkte ich einen schwarz gekleideten Mann. Ich erkannte ihn sofort als einen Demonstranten, den ich schon einmal auf einer »Pro-Palästina-Demo« gesehen hatte. Ich war schockiert und hatte etwas Angst, daher reagierte ich nicht sofort. Nach ein paar Augenblicken entschied ich mich, mit meinen Hunden in seine Richtung zu gehen.

Wie reagierte der Mann?
Jetzt kam er ein paar Schritte auf mich zu. Er zog ein Messer aus seiner Hosentasche oder Tasche. Meine Hunde fingen an zu bellen. Meine Nachbarin wurde durch das Bellen auf uns aufmerksam. In dem Moment bemerkte ich es nicht, aber später stellten wir fest, dass eine Blumenvase von einem Balkon gefallen war. Auch dadurch geriet er wohl in Panik und bewegte sich schnell in Richtung Hinterhof. Es war dunkel, und ich versuchte, ihm aus sicherer Entfernung zu folgen.

Die »BILD« berichtete, dass es eine Komplizin gegeben haben soll ...
Ja, als ich das Gebäude verließ, um ihm zu folgen, sah ich eine junge Frau mit kurzen Hosen und schwarzem Oberteil. Sie hatte blonde, kurze Haare und ein Tattoo am Arm. Ich bemerkte sofort, dass die beiden zusammengehörten. Ich sprach sie an, holte mein Handy heraus und begann zu filmen. Ich wollte ihr Gesicht unbedingt auf der Kamera haben, deshalb stellte ich ihr einige Fragen. Aber sie drehte sich weg, um nicht gefilmt zu werden, und rannte schließlich weg. Ich rannte hinterher, weshalb sie versuchte, die Aufmerksamkeit der Passanten auf mich zu lenken. Sie schrie: »Hilfe, Hilfe, er verfolgt mich! Er will mich vergewaltigen!« Passanten, die in einer Bar saßen, versuchten, mich aufzuhalten. Danach konnte ich sie nicht mehr ausfindig machen. Inzwischen war auch die Nachbarin auf der Straße und unterstützte mich. Wir riefen die Polizei. Innerhalb weniger Minuten waren die Polizeibeamten vor Ort.

Wie geht es Ihnen jetzt, knapp anderthalb Tage nach dem Vorfall?
Momentan etwas besser. Samstagfrüh war ich extrem schockiert von dem, was nachts passiert ist. Ich konnte die gesamte Nacht nicht schlafen. Am Anfang habe ich nicht verstanden, wie ernst die Lage war. Ich hätte nie gedacht, dass diese Menschen so weit gehen würden. Ich habe es unterschätzt und war so naiv zu glauben, dass auch sie eine rote Linie haben.

Inwiefern?
Ich dachte, dass Privatleben und private Wohngebäude für sie tabu wären. Das ist offensichtlich nicht der Fall. Es ist ein abartiges Gefühl, wenn man sich in den eigenen vier Wänden nicht mehr wohlfühlt. In der Wohnung, in der man die meiste Zeit verbringt. Vor allem ist man nicht nur selbst gefährdet, sondern auch geliebte Personen.

Sie hatten erwähnt, dass Sie dem Täter zuvor schon begegnet sind. Können Sie etwas über die Hintergründe sagen?
Ich habe einen der Täter sofort erkannt. Er war definitiv auf »propalästinensischen« Demonstrationen, bei der antisemitische Parolen gerufen und die Existenz Israels infrage gestellt wurden. Der Angriff hat definitiv mit meiner Tätigkeit in den letzten Monaten zu tun. Beide Täter sind meiner Überzeugung nach aus dem linksradikalen Spektrum, das sich in den letzten Monaten auf Israel-Hass und antisemitische Demonstrationen konzentriert und diese Großveranstaltungen organisiert hat. 

Sie dokumentieren seit dem 7. Oktober viele der israelfeindlichen Demonstrationen in Berlin. Wie nehmen Sie diese wahr?
Ein bisschen muss ich korrigieren. Solche Demos begleite ich schon seit 2016, ich habe immer wieder Al-Quds-Demonstrationen in Berlin beobachtet, mit Menschen gesprochen und die Interviews auf YouTube veröffentlicht. Seit dem Hamas-Massaker im Oktober vergangenen Jahres beobachte ich die Israel-Hass-Demos noch intensiver als zuvor. Diese Kundgebungen sind von Hass auf den Staat Israel geprägt, Hass auf Juden ist dort an der Tagesordnung, ich dokumentiere regelmäßig antisemitische Parolen.

Stellen Sie seit dem 7. Oktober Änderungen in der Durchführung und im Ablauf der Kundgebungen fest?
Die Demonstrationen und ihre Organisatoren haben sich - im negativen Sinne - weiterentwickelt. Zumindest die Anmelder wissen inzwischen, wie man Gesetze umgeht, zum Beispiel, indem sie verbotene Parolen anders formulieren. Ich habe mit vielen Demonstranten gesprochen und kann gesichert sagen, dass die meisten Israel-Hasser sind, die die Existenz Israels nicht akzeptieren - und alles dafür tun wollen, dass dieses Land vernichtet wird.

Gibt es auch Ausnahmen?
Es gibt hier und da auch tatsächlich säkulare Stimmen, die zum Beispiel eine Zweistaatenlösung befürworten, aber das ist sehr selten. Wenn solche Leute mit mir sprechen, wollen sie aus Angst vor der Kamera nichts dazu sagen. Die Demonstrationen und Demonstranten haben sich extrem radikalisiert. Es kommen zwar immer weniger Menschen zu den Demos, aber der harte Kern ist geblieben. Viel öfter als zuvor werden jetzt auch Flaschen auf Polizisten und Pressevertreter geworfen, allein gestern viermal. Ein Kollege vom Jüdischen Forum ist nur knapp einer Verletzung  entgangen. Er hatte großes Glück.

Wie geht es nun weiter?
Ich werde weiter berichten. Ich lasse mich nicht einschüchtern. Wir genießen in Deutschland Pressefreiheit. Das ist ein extrem hohes Gut. Ich weiß, wovon ich spreche. Vor rund 25 Jahren ist meine Mutter mit mir vor den Mullahs nach Deutschland geflüchtet – mein Papa war von den Islamisten hingerichtet worden, weil er gegen die Unterdrückung der Frauen demonstrierte und also als Staatsfeind galt. Ohne freie Presse ist alles nichts. Zum Glück habe ich mit Axel Springer die nötige Unterstützung und Solidarität. Ich habe das Gefühl, dass ich nirgendwo anders eine so große und effektive Unterstützung erhalten hätte.

Das Interview mit dem Reporter führte Philipp Peyman Engel.

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