Atemmasken vor Mund und Nase sieht man in Israel nicht besonders häufig. Selbst dieser Tage nicht, da die Bedrohung durch das Coronavirus an die Pforten des Staates klopft. Die Regierung in Jerusalem verhängte ein Einreiseverbot für Touristen, die innerhalb der vergangenen zwei Wochen in China waren. Flüge von dort dürfen nicht landen, und die einheimische Linie EL AL beteiligt sich an der Aktion anderer Gesellschaften, Reisen von und nach China zeitweilig zu stoppen.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erklärte den Ausbruch des Coronavirus zum »Welt-Notfall« und mahnte Regierungen, sich auf eine »heimische Ausbruchskontrolle« vorzubereiten, wenn die Krankheit in ihrem Land ankommt.
In einem Artikel der »New York Times« erläuterten Experten, dass das Virus zu einer Pandemie werden könne. In den vergangenen drei Wochen ist die Zahl der bestätigten Fälle von 50 innerhalb Chinas auf mehr als 17.000 in mindestens 23 Ländern gestiegen. Mehr als 360 Tote sind gemeldet.
FORSCHUNG Am Wochenanfang leitete der israelische Premier Benjamin Netanjahu eine Sitzung zur Bereitschaft im Land mit Teilnehmern aus dem Gesundheits-, Finanz-, Justiz-, Innen- und Transportministerium. Es sei unvermeidbar, dass das Virus auch in Israel ankomme, man könne die Tore nicht komplett verriegeln, erklärte Netanjahu. Stattdessen bereite man sich vor, was zu tun sei, wenn das Virus ausbricht. Er habe das Institut für biologische Forschung angewiesen, einen Impfstoff vorzubereiten, »und Israel könnte weltweit als Erstes Erfolg haben«.
Die Tageszeitung »Haaretz« schrieb daraufhin: »Israel ist Jahre davon entfernt, einen Impfstoff herzustellen«. Netanjahus Aussage sei nichts weiter als »leeres Gerede«. Die Aufgabe des Instituts sei der Schutz vor biologischen und chemischen Waffen und nicht die Impfstoff-Produktion. Zwar stimme es, dass die Wissenschaftler führend in ihren Bereichen seien, »doch die Einrichtung ist mit 300 Angestellten klein und arbeitet mit begrenztem Budget, verglichen mit Instituten in westlichen Ländern, Russland und China«.
Bisher haben auch israelische Forscher noch keinen Impfstoff gefunden.
Bis Redaktionsschluss gab es in Israel noch keinen bestätigten Fall. Ein chinesischer Arbeiter wurde vor einigen Tagen ins Barzilai-Krankenhaus in Aschkelon eingeliefert, mittlerweile jedoch mit Entwarnung entlassen. Alle Menschen, die in den vergangenen zwei Wochen aus China angekommen sind, müssen sich nach Angaben des Gesundheitsminiseriums in Quarantäne begeben, dürfen weder öffentliche Orte aufsuchen noch zur Arbeit gehen. Tourismusminister Yaakov Litzman warnte Arbeitgeber davor, diese Angestellten dennoch aufzufordern, zur Arbeit zu kommen. »Das ist illegal.«
TOURISMUS Verschiedene Gruppen chinesischer Touristen, die vor den Beschränkungen der Regierung in Israel ankamen, touren dieser Tage von Nord nach Süd. Mehrere Reiseleiter berichteten im israelischen Fernsehen, dass Einheimische manchmal einen großen Bogen um sie machen. Auch hätten einige Restaurants die Reservierungen für die Gruppen spontan storniert.
Zwar sei es noch zu früh, die Folgen für die Wirtschaft zu ermessen, doch Experten warnen, dass es, sollte der Ausbruch nicht innerhalb der nächsten zwei Wochen eingedämmt sein, zu spürbaren Auswirkungen kommen würde. »Wir wissen noch nicht, wie lange diese Episode dauern wird«, doch Gil Buffman, leitender Ökonom bei Bank Leumi, ist sicher, dass zunächt die Bau- und Tourismusbranchen betroffen sein werden, wenn auch nicht sofort. Sollten chinesische Arbeiter nicht einreisen dürfen, habe das sicherlich negative Effekte. Viele Gastarbeiter stammen aus China.
Auch für den Tourismus haben die Beschränkungen Folgen. Zwar beträgt der Anteil der Touristen aus China nur 3,5 Prozent, doch sie fehlen natürlich. Einen viel größeren Effekt auf die Märkte hat nach Buffmans Auffassung allerdings »die generelle Sorge vor Ansteckung, die die Menschen in der ganzen Welt davon abhalten könnte, in andere Länder zu reisen«.
WIRTSCHAFT Je länger die Bedrohung andauert, desto größer seien logischerweise die Auswirkungen. »Nach einigen Wochen kann es zu einer Unterbrechung der Lieferungen aus China kommen, darunter Kleidung, Schuhe und Produktionsmaterialien.« Die Wirtschaftszeitung »Marker« berichtete, dass israelische Produzenten bereits heute Preissteigerungen ankündigen, vor allem bei Haushaltswaren, Elektronik und Modeartikeln, denn »die Lager könnten bald geleert sein«.
Viele Unternehmen, vor allem Start-ups, befürchten Lieferengpässe.
Einige spüren die Folgen schon heute, vor allem kleinere Start-ups, die in China ihre Produkte oder Prototypen fertigen lassen. Ein Angestellter erzählt, dass er seinen Produzenten in Shenzhen gefragt hat, wie die Situation bei ihnen aussieht. »Wir haben fast kein Essen mehr im Haus, denn wir dürfen nicht raus«, antwortete der Hersteller per WhatsApp. »Also habe ich vor drei Tagen die Behörde gefragt, ob ich Brot kaufen gehen darf. Ich warte noch auf die Genehmigung der Regierung.« Niemand gehe arbeiten, die Straßen der Zwölf-Millionen-Metropole sind verwaist. Aus Sorge vor Repressalien gegen die chinesischen Kollegen bat die israelische Firma, dass ihr Name nicht erwähnt wird.
Wie so oft nehmen die Israelis die Bedrohung mit einer gehörigen Portion Galgenhumor auf. Sie posten in den sozialen Netzwerken Bilder mit Atemschutzmasken. Einer hat sie sich über die Augen gezogen: »Wenn ihr das Coronavirus nicht seht, könnt ihr es auch nicht bekommen.« Ein anderer stellte ein Foto von seinem asiatischen Freund mit einem Bier der gleichnamigen mexikanischen Marke in der Hand ins Netz und schrieb dazu: »Chinese mit Corona auf dem Carmelmarkt«.