Alle Jahre wieder … »Für mich ist es schon Tradition, im Dezember nach Europa zu fliegen«, gibt Arielle Cohen unumwunden zu. »Ich probiere jedes Jahr ein anderes Land aus.« Während man in Israel in den Wintermonaten Kislew und Tewet Chanukka begeht, zelebriert man auf dem europäischen Kontinent den ganzen Dezember über Weihnachten. Und immer mehr Israelis feiern mit. Es ist ein regelrechter Trend.
In den Tagen, in denen Europäer gern Israel besuchen, um sich an den milden Temperaturen zu erfreuen, lassen sich Hunderttausende Israelis vom Glanz der Weihnachtsdekorationen in europäischen Metropolen berauschen. »Für mich sind es die Liebe zum Detail und die Sorgfalt, mit der die Europäer ihre Städte zur Weihnachtszeit schmücken. Ich bin immer wieder verzückt, wenn ich es sehe«, sagt Cohen, die in einer Start-up-Firma als Programmiererin arbeitet.
SPITZENREITER Mit Religion habe es für sie überhaupt nichts zu tun. »Ich feiere genauso Chanukka wie andere Juden auch, zünde acht Tage lang Kerzen an und verspeise jede Menge Fettiges. Ich liebe unser Lichterfest. Und wenn gerade Chanukka ist, wenn ich auf Reisen bin, dann zünde ich die Chanukkia eben im Hotel an. Aber in Sachen Dekoration und Atmosphäre sind die Europäer unschlagbar. Davon könnten wir uns an Chanukka wirklich ein paar Scheiben abschneiden.«
Für sie sind die Deutschen eindeutig Spitzenreiter beim Weihnachtsmarktgestalten. »Ich habe Städte in Italien besucht, war in Amsterdam, London und Prag. Aber als ich im vergangenen Dezember zum ersten Mal den Christkindlesmarkt in Nürnberg sah, war ich für eine Stunde sprachlos und bin mit offenem Mund an den Ständen entlanggelaufen. Es war so ziemlich das Schönste, was ich je gesehen habe.«
Arielle Cohen ist begeistert vom Nürnberger Christkindlesmarkt.
Die 28-Jährige nimmt jedes Jahr andere Leute mit. Mal sind es ihre Mutter und Schwester, ein anderes Mal geht ihr Freund mit zum Bummeln. Am liebsten aber fährt sie mit einer ganzen Freundesgruppe. »Damit wir beim Glühweintrinken auch ordentlich Spaß haben.« Der Urlaub ist erst einige Tage her, doch der nächste schon geplant. Auch die Sicherheitslage – nach den Schüssen auf dem Weihnachtsmarkt in Straßburg – wird sie nicht abhalten.
ATMOSPHÄRE Auch Efrat Bar-Lew hat ihren Favoriten: Wien. Besonders angetan hat es ihr die große Eislaufbahn. »Für mich gibt es nichts Romantischeres, als abends mit Schlittschuhen Runden zu drehen, während die Lichter ringsherum leuchten. Kalte Ohren, dicke Jacken und Schals sind für mich der Inbegriff von Romantik. Ich habe mich beim letzten Urlaub in Wien wieder neu in meinen Mann verliebt, als er mir heiße Getränke und geröstete Mandeln kaufte – und dabei sind wir schon 15 Jahre verheiratet.«
Ihrer Mutter, einer Holocaust-Überlebenden aus Ungarn, gefallen die Ausflüge der Tochter allerdings nicht sonderlich. »Wenn wir reisen, erzähle ich ihr nachher alles ganz genau. Aber meine Affinität für Weihnachtsmärkte lasse ich aus. Als ich ihr vor einigen Jahren davon erzählte, wie schön ich die Atmosphäre finde, rümpfte sie die Nase. Sie mag das einfach nicht.«
Dass Weihnachten auch Konsum und Kommerz bedeutet, stört die 55-Jährige nicht. »Auch ich nutze die Besuche zum Shoppen in Europa. Ganz ehrlich, wenn alles so schön geschmückt ist, macht es noch einmal so viel Spaß, durch die Geschäfte zu schlendern. Aber man muss es ja nicht tun. Schließlich wird niemand zum Einkaufen gezwungen.«
NAZARETH Obwohl Israel das Heilige Land ist, können die hiesigen Weihnachtsdekorationen mit den europäischen in Sachen Opulenz noch nicht mithalten. Zwar werden auch in Haifa, Nazareth, Bethlehem und Jaffa Buden aufgebaut, doch es ist keine althergebrachte Tradition der meist arabisch-christlichen Gemeinden, Basare zu veranstalten. Allerdings wollen sie aufholen. Beim Weihnachtsmarkt in der Altstadt von Nazareth, eröffnet 2010 auf Initiative des Bürgermeisters und der lokalen Tourismusvereinigung, nimmt die Zahl der Buden jedes Jahr zu. Angeboten werden handgefertigte Produkte, Speisen und Getränke der Region sowie jede Menge weihnachtliche Dekorationen. Und auch die Zahl der Besucher aus dem In- und Ausland wächst stetig.
Für Familie Biton aus Pardes Channa ist das keine echte Alternative. »Wir fahren natürlich nach Nazareth, es ist bei uns um die Ecke«, sagt Chana Biton. »Aber trotzdem muss Europa sein.« Und zwar jedes Jahr. »Nachdem wir zufällig in Berlin über einen Weihnachtsmarkt gestolpert sind, als wir in den Chanukka-Ferien unterwegs waren, konnten wir uns kaum losreißen«, erzählt sie. »Eigentlich wollten wir Museen anschauen, haben aber stattdessen jeden Tag einen anderen Markt besucht. Das ist sieben Jahre her, und es wird sicher die kommenden Jahre so weitergehen. Europa ist groß – und es gibt schließlich noch viel Weihnachtliches zu sehen.«