Designerlampen mit gedämpftem Licht, Tische aus Massivholz, an der Rückseite des Raumes eine Theke voller Brötchen im Mini-Format, Gemüsesticks, Kanapees. Die Studenten hier trinken ihren Kaffee aus silbernen Edelstahlbechern. Alles ist perfekt durchgestylt. Dozent Yariv Ben Naim spricht über die Genetik beim medizinischen Cannabis. Doch seine Vorlesung findet nicht im Hörsaal statt, sondern bei WeWork in Tel Aviv. Die Hochschule Bar-Ilan wird neuerdings zur Pop-up-Uni und bringt ihren Lehrstoff unter die Leute.
Es ist der Pilotversuch einer neuen Strategie, um akademische Inhalte einem breiten Publikum zugänglich zu machen. WeWork, das Büroflächen und Co-working für Firmen und Selbstständige anbietet, ist optimal für den Auftakt der Aktion. Rund 900 Mitglieder zählt der hochmoderne Komplex an der Serem-Straße. Junge, innovative Leute gehen ein und aus, immer neue Ideen wabern durch die Luft.
Die Veranstaltung findet bei »WeWork« in Tel Aviv statt.
Ben Naim vom Institut für Biowissenschaften ist bekannt in der Szene der Cannabis-Anbauer und -Interessierten. Seine internationale Forschung zur Entwicklung von schädlingsresistenten Pflanzen wird von vielen geschätzt. In einem 70 Quadratmeter großen speziell geschützten Gewächshaus auf dem Gelände der Universität in Ramat Gan baut er Cannabis an und forscht dann direkt an der Pflanze. Eine Gruppe von Unternehmern, angeführt vom einstigen Schin-Bet-Direktor Yaacov Peri, hat in Ben Naims Vorhaben investiert.
FRAGEN Während der Vorlesung dürfen die Anwesenden Fragen stellen. »Ist es besser, drinnen oder draußen zu pflanzen?«, fragt ein bärtiger Mann. »Reichen die gängigen Anweisungen des Gesundheitsministeriums für den Anbau aus, um gesunde Pflanzen zu kultivieren?«, ein anderer. »Wieso darf Cannabis in Israel nicht auf dem Boden gepflanzt werden?«, möchte eine junge Frau wissen, die in diesem Bereich tätig ist.
Medizinisches Cannabis ist dieser Tage Topthema unter israelischen Agrarunternehmern und solchen, die es werden wollen. Doch so schnell die Pflanzen wachsen, so schnell breiteten sich auch die Krankheiten aus, erläutert Ben Naim in der Vorlesung. »Und die meisten haben leider nur wenig Ahnung, wie sie damit umgehen sollen.« Zu viele Anbauer hätten von der Regierung eine Genehmigung erhalten – »und die haben bereits die Millionen im Visier«, wüssten jedoch oft nur wenig von den Pflanzen und der Aufzucht.
In jüngster Zeit wurde in abgepacktem Cannabis für den medizinischen Gebrauch Schimmel gefunden. Und das nicht nur einmal. Ben Naim weiß: »Wenn die Sporen in der Tüte sind, kommt es bereits krank aus dem Anbau.«. Dann würden die Menschen verdorbenes Cannabis konsumieren. »Und das ist wirklich nicht Sinn der Sache«, macht er klar. »Wir müssen dringend Lösungen für Cannabis finden«, sagt der Erfinder des schimmelresistenten Basilikums.
GENETIK Ben Naims Spezialgebiet ist die Genetik. »Und das ist nun wirklich kein leichter Stoff, den man mal eben einem breiten Publikum in einer Stunde vorstellt«, gibt er nach der Veranstaltung schmunzelnd zu. »Ich hatte wirklich Sorge, dass viele es nicht verstehen würden.« Dennoch ist er angetan von dem neuen Konzept: »Wir können uns so mit verschiedenen Gruppen und Leuten verbinden, uns kennenlernen, Wissen austauschen und vielleicht sogar gegenseitig helfen.« Wenn man zu Kongressen oder Konferenzen reise, sehe man immer dieselben Experten und höre Gleichgesinnte. »Dieser Austausch aber öffnet uns als Uni für ganz verschiedene Leute aus den unterschiedlichsten Bereichen. Forschung trifft auf die Industrie und Geschäftswelt.«
Auch die Dozenten sollen im Austausch mit der Öffentlichkeit lernen.
Für die Universität sei dieser Austausch ganz sicher positiv, ist der Dozent überzeugt. »Denn wir forschen nicht nur für die Wissenschaft. Jede Forschung sollte am Ende auf die reale Welt anwendbar sein. Dafür müssen wir die akademischen Wände einreißen.« Außerdem bekomme die Hochschule öffentliche Gelder, »also sollten wir uns der Öffentlichkeit auch weiter zuwenden«.
STUDENT Das will Bar Ilan tun. Denn auch Arie Zaban, der Präsident der Universität, hält das Projekt für einen guten Weg: »Als Unternehmer und Akademiker glaube ich an interdisziplinäre Zusammenarbeit. Denn Wissen kennt keine Grenzen. Ich glaube, dass es im digitalen Zeitalter, in dem wir leben, die Rolle der Universitäten ist, Forschung zugänglich zu machen und Wissen zu teilen. Dadurch erweitern wir unseren Einfluss auf die Gesellschaft.« Von jedem derartigen Treffen, ist Zaban überzeugt, würden beide Seiten profitieren. »Denn ebenso, wie die Zuhörer lernen, sind auch die Wissenschaftler neuen Einflüssen ausgesetzt.«
WeWork, gegründet 2010 in New York von Miguel McKelvey und dem Israeli Adam Neumann, hat mittlerweile 485 Standorte in 105 Ländern. Fast eine halbe Million Mitglieder teilen sich nicht nur Büro- und Gemeinschaftsflächen, sondern auch Wissen sowie physische und digitale Dienste. Und dazu gehören in Tel Aviv jetzt auch die Vorlesungen der Pop-up-Uni.
Yaron Lotan, der ein Stockwerk höher in einer PR-Firma angestellt ist, hat sich auf Anraten seines Chefs die Vorlesung angehört. »Ich habe mit diesem Bereich überhaupt nichts zu tun, aber es ist interessant, über etwas Neues zu lernen.« Nach der Vorlesung füllt er seinen Edelstahlbecher mit frischem Kaffee und geht zurück an seinen Rechner, um Kunden zu betreuen. »Aber beim nächsten Mal bin ich wieder dabei. Es ist ein bisschen so, wie noch einmal Student sein.«