Wer Tel Aviv in sein Herz geschlossen hat, der muss diesen Ausblick lieben: Von der Hayarkonstraße schaut man hinunter aufs glitzernde Meer und das sattgelbe Küstenstück direkt vor der Stadt. Man kann sie förmlich hören, die »Ahs« und »Ohs« derer, die zum ersten Mal zu Besuch sind. Doch Halt! Irgendwie sieht es hier in diesem Sommer anders aus. Statt Sand nur gelbe, blaue, rote, weiße und grüne Tupfer, so weit das Auge reicht. Tel Avivs Strand ist von Nord bis Süd überzogen mit Stühlen und den dazugehörigen Sonnenschirmen.
Die Einwohner fragen sich: »Wo ist unser Strand hin?« Denn noch vor einigen Jahren gab es kaum Sitzgelegenheiten, und sogar in den letzten großen Ferien war die Anzahl deutlich geringer. Doch als in diesem Frühjahr die wärmeren Tage Einzug hielten, tauchten immer mehr Stühle aus farbigem Plastik auf, die nachts zu meterbreiten Reihen gestapelt werden. Die Küste vor der Stadt lädt dieser Tage eher zum Sitzen denn zum Liegen ein.
Motti Livneh sieht das mit Entsetzen. Der Städter ist sauer: »Will ich mich am Strand auf mein Handtuch legen, muss ich erst minutenlang suchen, um einen Quadratmeter Platz zu finden. Fast der ganze Sand wird von den Lokalen beansprucht.« Abends beim Joggen sei es noch schlimmer: »Dann muss ich um die Stühle und Tische herumlaufen, sie stehen teils sogar im Wasser. Das ist echte Chuzpe, schließlich ist das ein öffentlicher Strand, und der gehört nicht den Restaurants oder Bars, sondern den Bewohnern der Stadt.«
Slalom Tatsächlich kann ein Spaziergang am Wasser in diesen Tagen zum Slalom werden. Vor allem die Restaurants an der Herbert-Samuel-Promenade weiten ihre Sitzgelegenheiten zunehmend aus. Ob Banana Beach, Alma oder Lalaland: Es herrscht Hochsaison, und die hungrigen Strandgäste kommen in Scharen und wollen sich ihre Burger mit Pommes, einen großen Salat Kazutz oder den eisgekühlten Café Hafuch direkt am Meer schmecken lassen. Nicht selten schnappen die Gäste ihre leichtgewichtigen Stühle und schleppen sie selbst bis ans Wasser.
Wie Claire Caspy. Die Frau aus Paris ist zum zweiwöchigen Familienurlaub in Tel Aviv. Sie hat ihren Tisch am Banana Beach rund zwei Meter vom Wasser aufgestellt. »Ich finde es herrlich«, lobt sie die Atmosphäre und lugt über ihre dunkle Sonnenbrille. Als Jugendliche sei sie mit ihren Eltern oft hier gewesen, habe den Strand aber als langweilig in Erinnerung. »Es gab nichts außer Sand und Wasser. Umso mehr freut es mich, wie sich alles entwickelt hat. Jetzt ist richtig etwas los. Genau so muss ein Urlaubsort nach meinem Geschmack sein.« Los ist dieser Tage tatsächlich jede Menge.
Aus den überdimensionalen Boxen der Lokale dröhnen die neuesten Hits der Isra-Charts, die Matkot-Spieler dreschen mit ihren Holzschlägern auf den Gummiball ein, als gäbe es kein Morgen, und Tausende von Touristen aus aller Herren Länder geben sich beim Sehen und Gesehenwerden im heißen Sand ein Stelldichein.
»Lalaland« Das »Lalaland« am Gordonstrand ist eine Hochburg der Strandgänger mit Appetit. »Wir sind angewiesen, die Stühle und Tische nicht zu nah ans Wasser zu stellen«, bestätigt einer der Kellner, während er sein Tablett voller kühler Drinks barfuß durch den Sand balanciert. »Es müssen mindestens ein paar Meter Platz zum Wasser sein.«
Doch das sei gar nicht so einfach durchzusetzen, oft würden die Gäste das wasserfeste Mobiliar eigenhändig umstellen. Ohne Unterlass rufen die zahlreichen Gäste in dem Lokal: »Efschar lehasmin – Ich möchte bestellen!« Die Dutzenden junger Leute mit den T-Shirts des Lokals hasten von einem Gast zum nächsten, so schnell es nur geht. »Zu Stoßzeiten ist nie genug Platz für alle da«, so der Kellner weiter, »und die Gäste verlangen nach immer mehr Stühlen.«
Mindestens sieben Meter Abstand zur Meereskante müssten die Sitzgelegenheiten haben, erklärte ein Sprecher der Stadtverwaltung jüngst im Radio, nachdem Einwohner sich beschwert hatten. Alle Lokale seien instruiert, dieses Stück Strand nicht für ihre Zwecke zu benutzen. Städtische Inspekteure würden die Einhaltung regelmäßig kontrollieren und bei wiederholtem Nichtbeachten sogar Strafen aufbrummen.
An diesem sonnigen ersten Tag der Woche sind es weder sieben noch sechs oder fünf Meter. An manchen Stellen kann man kaum drei große Schritte zwischen Lokalbestuhlung und Meereswellen setzen. Wer sein Badelaken hier ablegen möchte, läuft Gefahr, dass ihm bei zu viel Wind ein Hauch von Salatsauce oder Ketchup über den geölten Körper weht.
Schlomo Angar sieht das gelassen. Auch er lebt in Tel Aviv und kommt regelmäßig zum Baden her. »Ich finde das eigentlich ganz nett«, sagt er. Schließlich sei dies die Küste einer Großstadt und keine unberührte Natur. »Hier passen Lokale mit den dazugehörigen Sitzen und Schirmen hin. Es sieht schön bunt aus, und sowieso mag ich viel lieber fröhliche Leute vor meiner Haustür als notorische Meckerer, die sich über alles aufregen.«