Eine ganze Staffel Flugzeuge saust durch die Lüfte und landet sicher auf dem Boden. Nachum, Nathanel und Janella lachen laut. »Gut gebaut«, rufen sie in perfektem Hebräisch und rennen, um ihre Papierflieger einzusammeln. Auf zur nächsten Runde. Die drei sind Kinder in Israel. Hier geboren und hier zu Hause. Doch Nachum, Nathanel und Janella sind Sprösslinge ausländischer Arbeiter und damit illegal im Land. Sie gehören zu den etwa 1.200 Mädchen und Jungs, deren Schicksal seit Wochen Schlagzeilen macht. Am Sonntag begann der landesweite Registrierungsprozess, der vielen das Bleiberecht garantieren soll. Jedoch nicht allen.
bleiberecht Die Kinder spalten die Nation. Ginge es nach Eli Yishai, würden alle 1.200 samt ihrer Familien deportiert. »Die Fremdarbeiter untergraben den jüdischen Charakter des Staates, bringen Krankheiten ins Land«, meint der Innenminister von der sefardischen Schas-Partei. Dennoch beschloss das Kabinett eine Regelung, die es einem Teil von ihnen ermöglichen soll, in Israel zu bleiben. Die Kinder müssen Hebräisch sprechen, in eine israelische Schule gehen, außerdem müssen ihre Eltern mindestens fünf Jahre hier leben und dürfen nicht illegal gekommen sein. Allerdings bleiben ihnen nur 21 Tage Zeit, den Antrag zu stellen. All jene, die diese Kriterien nicht erfüllen, sollen innerhalb eines Monats in ihre Heimatländer deportiert werden.
Die Zahlen, wie viele es tatsächlich sein werden, schwanken. Medien sprechen von 400, Menschenrechtsorganisationen gehen von etwa 700 Kindern aus. Dabei sind die meisten ihrer Eltern einst nicht nur legal ins Land gereist, sondern geholt worden. Israelische Agenturen bringen monatlich hunderte Frauen und Männer, meist aus den Philippinen, nach Israel, um in der Altenpflege zu arbeiten. Jobs, die Israelis kaum machen wollen. »Das Problem«, erläutert Sigal Rozen, Pressesprecherin der Hotline für die Rechte von Fremdarbeitern, werde »sich auch nicht auflösen, weil Israel nach wie vor jeden Monat um die 600 weitere Leute aus dem Ausland bringt.« Jane Delacruz reiste vor zehn Jahren ein, zwei Jahre später lernte sie einen Mann kennen, wurde schwanger. »Und damit war ich automatisch illegal.« Das sei tatsächlich so, erklärt Rozen. »Diesen Frauen wird automatisch Arbeits- und Aufentaltserlaubnis aberkannt.« 80 bis 90 Prozent der »Familien« der 1.200 Kinder sind alleinerziehende Mütter, weil die Väter bereits deportiert sind.
Kritik Immer mehr Politiker, darunter Verteidigungsminister Ehud Barak und Bildungsminister Gideon Saar, sprechen sich dafür aus, alle bleiben zu lassen. Nun wandte sich das Zentrum der Organisationen der Holocaust-Überlebenden in einem Brief an Premierminister Benjamin Netanjahu: »Die Entscheidung haben wir schockiert zur Kenntnis genommen. Wir sind durch die Schoa gegangen und haben die Selektion sowie Trennung von Kindern und ihren Eltern erlebt. Daher können wir nicht gleichgültig im Angesicht von Kindern zusehen, die nicht schuld sind an ihrer Situation.«
Andere gehen weiter: Itzik Peri, Präsident der Vereinigung israelischer Sozialarbeiter, schrieb in einem offenen Brief an seine Mitarbeiter: »Ein Staat, der viele weitreichende Gesetze für den Schutz von Kindern erlassen hat, verkommt mit dieser jämmerlichen Entscheidung. Befolgt also die Order zur Deportation nicht!« Dennoch heißt es bislang: Wer die Kriterien nicht erfüllt, wird zurück ins Heimatland geschickt.
»Aber meine Heimat ist doch Israel«, sagt Nardos. »Und die meiner Kinder sowieso.« Seit 16 Jahren ist die 36-Jährige, die eigentlich aus Äthiopien stammt, hier, mit ihrem Ehemann und den beiden Söhnen lebt sie in Jerusalem. Heute sind alle nach Tel Aviv gekommen, um die Papiere einzureichen. Sie haben sich schick gemacht, man will Eindruck machen, niemand soll denken, dass man der Gesellschaft zur Last fällt. Nardos hat nicht einmal einen Akzent, alle sprechen untereinander nur Hebräisch. Warum? »Wir wollen uns anpassen, leben ja hier, nicht in Äthiopien.«
Eigentlich erfüllt die Familie alle Kriterien, um Bleiberecht zu erhalten, doch für die Beantragung benötigt Nardos einen aktuellen Pass ihres ursprünglichen Heimatlandes. Und den hat sie nicht mehr. Die äthiopischen Behörden benötigen für die Ausstellung mindestens zwei Monate, und die Israelis geben lediglich drei Wochen Zeit. Nardos schlägt die Hände vors Gesicht: »Daran darf es nicht scheitern, daran nicht.«
Klage Menschenrechtsorganisationen haben Klage vor dem Obersten Gerichtshof eingereicht, die Frist auf 90 Tage zu verlängern. Nardos kann also hoffen. Und sie ist trotz aller Unsicherheiten voller Zuversicht. »Wir leben so gern hier, in Äthiopien haben wir nichts. Keine Familie, keine Bildungsmöglichkeiten, meine Kinder haben keine Zukunft. Hier aber haben sie eine gute.« Sie schaut auf Nachum und Nathanel, die in ihren schicken T-Shirts noch immer eifrig Papierflieger bauen. »Bitte, lasst uns doch bleiben.«