Vor mehr als drei Jahren begannen in Israel die großen Sozialproteste – Anlass war eine Preiserhöhung für Hüttenkäse. Nun liefert ausgerechnet Schokoladenpudding made in Germany den Anlass für eine erneute Diskussion über die Lebenshaltungskosten in Israel: Eine Einkaufsquittung aus einem Supermarkt im Berliner Stadtteil Wedding ist innerhalb kurzer Zeit zu einem Hit bei israelischen Facebook-Nutzern geworden. Über 9000 User mögen den Eintrag auf dem Account von »Olim le-Berlin« (»Wir wandern nach Berlin aus«).
Darin wird für das billige Leben in der deutschen Hauptstadt geworben – auf dem Beleg stehen Schokomilchpudding mit Sahnehaube, der in dem Weddinger Supermarkt nur 19 Cent kostet, oder das Brötchen für 13 Cent. Gleichzeitig wird die Auswanderung von Israelis nach Europa propagiert: »Gemeinsam werden wir Hunderttausenden von Israelis helfen, den hohen Lebenshaltungskosten in Israel zu entfliehen«, heißt es in einem Post.
Der israelische Finanzminister Yair Lapid nahm in einem Interview des Armeesenders am Dienstag bereits Bezug auf die Facebook-Aktion – und erklärte, die Regierung habe das Thema in ihrem neuen Haushaltsplan berücksichtigt und werde hohe Lebensmittelpreise nicht weiter dulden.
Anonymer Zionist Urheber der Aktion ist ein 25-jähriger Israeli, der anonym bleiben will. Der Jüdischen Allgemeinen sagte er lediglich, er lebe in Berlin, habe in Israel als Offizier in der Armee gedient, besitze einen französischen Pass und sei durchaus Zionist. »Ich liebe Israel, ich würde lieber in Tel Aviv als in Berlin wohnen«, behauptete der Mann.
Die Gründe, warum junge Israelis ihr Land verließen, seien nicht politisch: »Das Problem sind nicht die Raketen. Wir können als junge Menschen nicht in Israel leben, weil es zu teuer ist.« Für die junge Generation werde es zunehmend unmöglich, eine Familie zu gründen oder eine Wohnung zu kaufen: »Die Preise in Israel sind wie in der Schweiz, aber die Gehälter sind nicht entsprechend.«
kritik Bei einigen israelischen Journalisten stieß die Aktion auf wenig Gegenliebe. Ben Caspit empörte sich etwa in der Zeitung »Maariv«, dass »75 Jahre nachdem Berlin unter den Nazi-Stiefeln, den Märschen der Sturmabteilung und der Hitler-SS gezittert hat, Israelis dorthin drängen, als ob nichts geschehen wäre«. Man könne doch den zionistischen Traum nicht fahren lassen, »der nach 2000 Jahren Exil wahr geworden ist, weil der volle Einkaufswagen zu teuer kommt«.
In anderen Medien gab es mehr Verständnis. Auf »ynet« wird das Thema heiß diskutiert – illustriert mit einem riesigen Bild der Berliner Puddingcreme mit Sahnehaube. Dutzende von Interviewpartnern beschweren sich über die hohen Kosten für Lebensmittel in Israel. »Ich beneide den jungen Mann, der Schokoladenpudding für 87 Agurot kaufen kann«, sagte etwa David, Vater von zwei Kindern: »Unser Konto ist schon seit drei Jahren nicht mehr im Plus, und meine Frau hat sich schon lange nichts Neues zum Anziehen gekauft. Ich bin 36 Jahre alt, und ich sehe hier keine Zukunft.«
Alija Dass sich die Facebook-Gruppe ausgerechnet »Olim le-Berlin« nennt, ist wohl kein Zufall – das Wort »Olim« bedeutet auf Hebräisch wörtlich »Aufsteiger«. Gemeint ist ursprünglich der »Aufstieg« nach Israel – die Einwanderung oder Alija. Wahrscheinlich ist die Wortwahl kein Zufall, denn der anonyme Israeli verfolgt nach eigenen Angaben ehrgeizige politische Ziele: Er möchte Deutschland, Frankreich und England dazu bewegen, 200.000 vorübergehende Arbeitsvisa für Israelis auszustellen.
Langfristig wünsche er sich aber, dass sein Land die jungen Leute wieder zurückholt. »Die einzige Art, die israelische Regierung unter Druck zu setzen, ist, ihnen klarzumachen, dass eine ganze Generation auswandern wird, wenn sich in Israel nichts ändert«, sagte er. In Berlin leben derzeit etwa 20.000 Israelis.