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Biken im Bibelland

Die israelischen Freunde haben uns für verrückt erklärt. Mit den Mountainbikes durch die engen Gassen der Altstadt in Jerusalem? Unmöglich. Beim Treffen im Abraham-Hostel am Davidka-Platz wischt Amir Rockman die letzten Zweifel weg. Der 30-Jährige arbeitet hauptberuflich als Bike-Guide. Die Altstadt, sagt der gebürtige Jerusalemer, sei der absolute Höhepunkt dieser dreistündigen Fahrt auf gefederten Rädern durch die israelische Hauptstadt.

Wenig später sind wir auch schon mittendrin im Getümmel. Die meisten Geschäftsleute im Basar haben ihre Läden soeben geschlossen. Zum Glück, sonst wäre ein Durchkommen wohl unmöglich. Die Sonne ist längst untergegangen, das Licht in den Gassen schummrig. Es ist aber noch einiges los. Die behelmten Gäste sind Exoten unter den arabischen Kuttenträgern, den orthodoxen Juden, die zum Beten in Richtung Westmauer laufen, und den Touristen, die auf der Via Dolorosa pilgern.

Die von einer dicken Mauer umzäunte Altstadt mit den ungezählten verschachtelten Häusern sei für ihn wie ein einziges großes Gebäude, sagt Amir Rockman und tritt weiter in die Pedale. Dieser Mann hat sein Hobby zum Beruf gemacht.

Tempelplatz Im Sattel lassen sich die historischen Orte in der nur etwa einen Quadratkilometer großen Altstadt blitzschnell erreichen: die Grabeskirche und die Erlöserkirche, die Geißelungskapelle und die Verurteilungskapelle, der Tempelplatz, auf dem Radfahren freilich verboten ist, die kürzlich wiederaufgebaute Hurva-Synagoge und und und. Biker müssen allerdings aufpassen. Die uralten, ausgetretenen Wege aus großen Steinplatten sind stellenweise sehr rutschig. Wenn es regnet, dann werden die Gassen fast so glatt wie die Straßen in Nordeuropa nach einem Kälteeinbruch mit Schneefall.

»Jetzt rechts«, »hier links«, »Vorsicht: ein Bordstein« – der Touristenführer mit staatlicher Lizenz gibt alle paar Sekunden seine Kommandos. Besonders die Kunden aus den USA verlangten ganz genaue Anweisungen, sagt er beim Verlassen der Altstadt. Deshalb hat er sich angewöhnt, während der Radtour jede noch so kleine Besonderheit anzukündigen. Zudem erzählt Amir Rockman vielerorts Geschichten. Er kennt Jerusalem wie seine sprichwörtliche Westentasche. Es gibt vermutlich kaum eine Straße, einen Platz oder eine Gasse, die der ehemalige Zeitsoldat, der Mitglied bei den israelischen Grünen ist, noch nicht vom Fahrradsattel aus erkundet hat.

Exoten Angekommen im ehemaligen Niemandsland, in der Straße, die früher mitten in Jerusalem die Grenze zwischen Israel und Jordanien markiert hat – und wieder eine Anekdote: Hier sei einer alten Frau einmal ihr Gebiss aus dem Fenster gefallen. Es dauerte mehrere Tage und bedurfte einer Einschaltung der Vereinten Nationen, damit die Dame ihr Beißwerkzeug zurückbekommen konnte. Lange her.

Heute ist manches einfacher im nicht mehr geteilten Jerusalem – auch das Radfahren. Noch vor ein paar Jahren waren Biker für die meisten Israelis bestenfalls Exoten – oder Vollidioten. Seit ein paar Jahren ist Radfahren im Bibelland der Hit, auch im hügeligen Jerusalem. Rockman führt seine Kundschaft auch durch Nachlaot, einen urigen Stadtteil, den manche als Jerusalems Soho bezeichnen. Die Siedlung mit vielen kleinen Synagogen entstand im Laufe des 19. Jahrhunderts, Block für Block mit einer Mauer drum herum. Hier sind die Gassen fast so schmal wie in der Altstadt.

Wenig später passieren wir die Knesset, das israelische Parlament. Dann fahren wir mitten durchs Gerichtsviertel, vorbei am Rathaus und schließlich zurück in die Jaffastraße, die seit April eine Fußgängerzone ist. Nur die neue Straßenbahn und die Biker dürfen noch fahren. Bei der Rückkehr zum Abraham-Hostel nennt der Profibiker Rockman Jerusalem »eine Ansammlung von unterschiedlichsten Dörfern«. Wir haben diese Dörfer auf der Radtour fast alle kennengelernt.

Boom Nächster Tag, nächste Stadt: Tel Aviv ist das absolute Kontrastprogramm zum biblischen Jerusalem. Hier gibt es rund 4.000 Bauhaus-Gebäude, allein ihretwegen lohnt sich die Radtour. In Tel Aviv hat der israelische Radboom seinen Anfang genommen, die Straßen sind nämlich schon lange chronisch überfüllt mit Autos und Bussen. Seit ein paar Jahren schießen Radgeschäfte wie Pilze aus dem Boden. Wer während der Rushhour schnell vorankommen will, der steigt um auf den Drahtesel. Seit ein paar Monaten stehen an 150 Stationen in der Stadt Leihfahrräder bereit. In Tel Aviv gibt es keine Berge, nur ein paar Hügel. Es regnet kaum, und auch im Winter ist es meistens warm – die Stadt ist ein Dorado für Radler.

Amir Rockman wartet im Radgeschäft O-Fun in der Ben-Jehuda-Straße. Und los geht’s. Zunächst zum Wasser und dann an der breiten Strandpromenade entlang, immer in Richtung Süden – mit Blick auf das 4.000 Jahre alte Jaffa, das heute Teil der Stadt Tel Aviv-Jaffa ist. Rund um den alten Hafen von Tel Aviv, der 1964, nach der Eröffnung des Hafens in Aschdod, in einen Dornröschenschlaf verfallen war, pulsiert neues Leben. Gut gehende Bars, Restaurants und Boutiquen wurden hier eröffnet. Nur ein paar Minuten später sind wir schon im südlichen Stadtteil Adjami, in dem Juden und Araber zusammenleben. Nicht ohne Spannungen, wie Rockman erzählt. Wohl deshalb arbeitet hier das Peres-Friedenszentrum. In Adjami gibt es bei Abu Hassan den weit und breit angeblich besten Hummus. Ein Zwischenstopp gehört zum Pflichtprogramm.

Mit dem Rad kommen Ausflügler in Tel Aviv fast immer flott voran. Viele Radwege wurden gebaut und ausgeschildert, weitere sind geplant. Wir verlassen die Küste und radeln zum alten Bahnhof nach Neve Zedek, dem ersten jüdischen Stadtteil Jaffas, der 1887 gegründet worden ist. Rechts das erste Kino der Stadt. Das Art-Deco-Gebäude aus den 20er-Jahren hat kein Dach – und schon bessere Tage gesehen. Immobilien in Tel Aviv sind sündhaft teuer. Viele Gebäude wurden aufwendig saniert, andere warten noch auf finanzkräftige Investoren.

Geschichte Den Rothschild-Boulevard mit den vielen Hochhäusern der Banken und den schmuck restaurierten Altbauten bezeichnet Amir Rockman als »unser Unter den Linden«. Im Gebäude mit der Nummer 16 hat David Ben Gurion 1948 den Staat Israel ausgerufen. Heute ist ein Museum in dem kleinen Haus untergebracht. In Tel Aviv erzählen viele Orte von der jüngsten israelischen Historie, beängstigende Kapitel und glorreiche. Der Rabin-Platz beim Rathaus sei der wichtigste in der Stadt, sagt der Radreiseführer. Hier fanden schon viele Großveranstaltungen statt.

Auf dem Platz, der früher nach den Königen Israels benannt war, ist 1995 der damalige Ministerpräsident Yitzhak Rabin während einer Friedensdemonstration von einem jüdischen Rechtsextremisten erschossen worden. »Ich war damals 15 Jahre alt und bei der Demo dabei«, erzählt der Bike-Guide, »das ganze Land war komplett geschockt«. Die Radtour durch Tel Aviv endet bei einem Gebäude, das an bessere Zeiten erinnert: vor dem ehemaligen Wohnhaus des großen Staatsgründers David Ben Gurion.

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