Zwei Sätze – eine Ansage: »Barak, du musst ins Rennen. Netanjahu zerstört das Land.« Wie von Geisterhand waren in der Nacht zum Dienstag riesige Kampagnenposter für den einstigen Premier Ehud Barak an verschiedenen Orten im Zentrum von Tel Aviv aufgetaucht. Zeitgleich präsentierte eine Umfrage von Kanal Zwei ein überraschendes Ergebnis: Yair Lapid wäre nächster Regierungschef – würde heute gewählt. Hat das Rennen um den Posten des Ministerpräsidenten schon begonnen, obwohl die Wahlen noch in ferner Zukunft liegen?
Wenn es nach der Stimmung im Land geht, definitiv. Praktisch ohne Unterlass wird diskutiert, wer den amtierenden Premier Benjamin Netanjahu ersetzen könnte. Zwar werden die Bürger erst am 5. November 2019 wieder an die Urnen gerufen. Doch vorgezogene Wahlen sind nichts Außergewöhnliches: Die zur 19. Knesset fanden 2013 statt, und nur zwei Jahre darauf gaben die Israelis schon wieder ihre Stimmen ab. Dass Netanjahu nach sieben Jahren, die er ununterbrochen an der Macht ist, von einem Großteil der potenziellen Wähler abgelehnt wird, ist längst kein Geheimnis mehr.
Signal Jetzt bestätigen es auch die Zahlen: Die Umfrage des Institutes Midgam zeigte zum ersten Mal, dass die Zentrumspartei von Lapid, Jesch Atid, Netanjahus Likud mit 24 zu 22 Mandaten überholen würde. Bei den letzten Wahlen erhielt die Partei des einstigen Journalisten und Nachrichtensprechers gerade einmal zwölf Sitze. In der Regierung der 19. Knesset hatte er unter Netanjahu als Finanzminister gedient.
Die Arbeitspartei schnitt bei der Umfrage mit 13 Sitzen viel schlechter ab als im Jahr zuvor, wo sie noch 24 Sitze auf sich vereinen konnte. Obwohl sich Schelly Jachimowitsch über das desaströse Abschneiden ihrer Partei ärgerte und dem Vorsitzenden Isaac Herzog die Schuld gab, konnte sie der Umfrage dennoch etwas Positives abgewinnen: »Sie zeigt, dass Netanjahu nicht unschlagbar ist.« Ihre Kollegin Michal Biran pflichtete ihr bei: »Verzweiflung ist keine Option. Und diese Ergebnisse zeigen, dass die Nation Netanjahu abwählen will.«
Die Umfragen sehen Lapid also derzeit auf dem Sessel des Premiers. Er selbst indes hält sich bedeckt. Keine großen Botschaften, keine Fernsehauftritte nach den Ergebnissen. Sich im Hintergrund zu halten, scheint Lapids Leitmotto zu sein, seit er nicht mehr Teil der Regierung, sondern in der Opposition ist. Es hat ganz den Anschein, als zahle sich das für ihn aus.
Stattdessen meldeten sich nach den Nachrichten Lapids ärgste Widersacher, die ultraorthodoxen Parteien, zu Wort. Sie wollen sich das Szenario – ein Lapid an der Spitze Israels – offenbar nicht vorstellen. Denn Lapid ist erklärter Säkularer, der sich durch seinen Einsatz für die Armeereform, durch die Ultraorthodoxe Militärdienst hätten ableisten müssen, keinen guten Namen in der Gemeinschaft gemacht hat. Vehement machte daher der ultrafromme Gesundheitsminister der Partei Vereinigtes Tora-Judentum, Yaakov Litzman, klar: »Lapid wird nicht Regierungschef. Ich habe nicht mit ihm gesprochen, und ich werde nicht mit ihm sprechen.«
Gerüchte Auch Innenminister Arie Deri will sich nicht mit dem ultra-säkularen Politiker auseinandersetzen müssen. Er solle seinen Anzug noch nicht schneidern lassen, hörte man ihn sagen. »Ich gebe nicht viel auf Umfragen, die eine bestimmte Stimmung widerspiegeln.« In jedem Fall würde seine Schas-Partei dem Präsidenten wieder vorschlagen, Netanjahu eine Regierung bilden zu lassen – und nicht Lapid.
Zugleich reißen die Gerüchte um Ehud Barak nicht ab. Der ehemalige Ministerpräsident und Verteidigungsminister unter Netanjahu taucht zusehends wieder in der Öffentlichkeit auf, obwohl er sich Ende 2012 eigentlich aus dem politischen Leben zurückgezogen hatte. Jüngst kritisierte er den Ministerpräsidenten auf einer Konferenz in Tel Aviv aufs Schärfste und meinte, Netanjahu unterminiere die Sicherheit des Staates. Auf die anschließenden Fragen von Journalisten, ob er ein Comeback plane, gab er sich kryptisch: »Lasst es doch einfach bei dem, was ich eben gesagt habe.« Er fügte nichts hinzu.
Auch zu den Postern in Tel Aviv gab es von Barak keinen Kommentar. Manche mutmaßen, dass er sie sogar selbst in Auftrag gegeben haben könnte, um sein Comeback auf dem politischen Parkett anzukündigen.
experten Und es könnten auch noch andere mitmischen im Rennen um den begehrten Posten. Zum einen ist da der ehemalige Verteidigungsminister Mosche Yaalon, der Netanjahu die Stirn geboten hatte, als der sich in die Belange der Armee einmischte. Yaalon kostete das seinen Job. Manche Experten rechnen ihm Chancen aus, vor allem, wenn er sich mit anderen Politikern zu einer Liste zusammentun würde. Wie übrigens auch weitere hochrangige Militärs in der Bevölkerung großen Respekt genießen, vor allem die ehemaligen Stabschefs Benny Ganz und Gabi Aschkenasi. Doch zwischenzeitlich hört man von Yaalon nicht viel, das Gerücht allerdings, dass er in einem kleinen Büro in Tel Aviv sitzt und dort sein politisches Comeback plant, hält sich hartnäckig.
Und wer weiß, vielleicht hat ja auch Oren Hazan etwas in die Waagschale zu werfen. Der Knessetabgeordnete des Likud, der eher für seine Vergangenheit als Casinochef in Bulgarien denn für effektive parlamentarische Arbeit bekannt ist, erklärte jetzt in einem Radiointerview, dass Netanjahu gut darüber nachdenken solle, wie es zu einem derartigen Ergebnis bei einer Umfrage kommen konnte. Dann fügte er süffisant hinzu: »Wer weiß, vielleicht sähe es anders aus, wenn ich mich für das Amt zur Verfügung stellen würde ...«