Wunschdenken oder Wahrscheinlichkeit? Avi Gabbay, Chef der Arbeitspartei Awoda, meint allen Ernstes, dass es im November in Israel Wahlen geben wird, aus denen er dann als Sieger hervorgeht. Doch er spricht nicht von 2019, wenn die Vorwahlen planmäßig anstehen. Gabbay redet tatsächlich von diesem Jahr, er glaubt an vorgezogene Wahlen. Die Koalition in Jerusalem steht nämlich auf wackligen Beinen, und zumindest das ist nicht nur aus der Perspektive der Opposition so.
Der Awoda-Vorsitzende ist überzeugt, es wäre zum Besten für das Land, »denn diese Regierung ist nur noch mit sich selbst und ihrem Überleben beschäftigt«. Während kaum jemand aus den eigenen Reihen öffentlich Kritik übt, dringen schon seit einer Weile immer wieder Gerüchte aus der Partei von Regierungschef Benjamin Netanjahu, dem Likud, nach außen. Im Dezember berichteten Medien sogar von einer »stillen Revolution innerhalb des Likud gegen den Vorsitzenden«. Doch selbst wenn man der Gerüchteküche keinen Glauben schenken mag, allein das Rechnerische gestaltet sich in dieser Koalition schwierig.
schiwa Das bewiesen die Verrenkungen, die die Regierung in den vergangenen Wochen vollführen musste, um eine Mehrheit bei Abstimmungen zu erlangen. Ist auch nur ein Mitglied abtrünnig oder nicht anwesend, wird es knapp. Es ging sogar so weit, dass Innenminister Arie Deri vor einigen Tagen Knessetmitglied Yehuda Glick drängte, die Schiwa für seine verstorbene Frau zu verlassen, um im Parlament seine Stimme für das sogenannte Schabbat-Gesetz abzugeben. Die Abstimmung wurde letztlich verschoben, doch das Kopfschütteln vieler Parlamentarier über diese pietätlose Aktion blieb.
Manchmal scheint es sogar, dass die Regierung ohne Drohungen keine Mehrheit mehr hat. Deri hatte gedroht, die Koalition zu verlassen, sollte das Schabbat-Gesetz nicht zur Debatte stehen. Als sich Sharren Haskel (Likud) jedoch gegen die Gesetzesänderung aussprach, durch die künftig der Innenminister und nicht mehr, wie bislang, die jeweilige Stadtverwaltung das letzte Wort bei der Ladenöffnung am Schabbat erhält, wurde ihr gar mit dem Rauswurf aus der Partei gedroht.
diskurs Koalitionsvorsitzender David Amsalem tönte, dass ihre Weigerung, sich dem Koalitionszwang zu unterwerfen, die Regierung zu Fall bringen könne. Haskel erklärte daraufhin erbost, man wolle sie wohl »zum Schweigen bringen«, und beklagte, ein »offener Diskurs in der Partei ist nicht mehr möglich«. Wütend blieb sie der Abstimmung trotzdem fern. Das Gesetz wurde am Dienstagmorgen mit 58 zu 57 Stimmen ganz knapp durch die letzte Lesung gedrückt.
Oppositionsführer Yoel Hasson von der Zionistischen Union nannte die Drohung gegen seine Parlamentarierkollegin das »Benehmen eines despotischen Diktators«. Vor mehr als 20 Jahren habe ein unbekannter Parlamentarier namens Benjamin Netanjahu gegen seine eigene Partei Likud gestimmt. Der damalige Premier Yitzhak Schamir habe ihn nicht herausgeworfen, teilt Hasson nun mit. »Denn Schamir wusste, dass es in einer Partei verschiedene Meinungen geben darf. Beim Imperator Netanjahu aber gibt es das nicht. Jeder muss unterwürfig sein. Es fühlt sich an, als seien wir im Iran aufgewacht.«
Auch die Vorabstimmung zum Gesetz zur Todesstrafe für Terroristen, eingebracht von Verteidigungsminister Avigdor Lieberman (Israel Beiteinu), verlief ähnlich holperig. Zwar sprachen sich letztendlich 52 gegen 49 Parlamentarier dafür aus, doch zuvor hatte es tagelang hitzige Debatten gegeben, Türenknallen inklusive. Auch könnte sich die umstrittene Anpassung in der Zukunft als Stolperstein erweisen, denn der Generalstaatsanwalt, die komplette Führung des Sicherheitsapparates und Rabbiner haben sich vehement dagegen ausgesprochen.
Eine andere Bedrohung der Koalition unter Führung von Netanjahu sind die andauernden »Märsche der Schande«, die am vergangenen Samstag zum sechsten Mal in Folge in Tel Aviv und anderen Städten veranstaltet wurden. Tausende von Israelis protestieren damit gegen die Korruption in der Regierung. »Geh nach Hause, Bibi!«, skandieren die Massen mit wöchentlicher Regelmäßigkeit. Seit Monaten ermittelt die Sondereinheit Lahav 433 gegen Benjamin Netanjahu wegen Betrugs in zwei separaten Fällen.
strip-club Der jüngste Skandal um seinen Sohn Yair, der am Montag bekannt wurde, dürfte ebenfalls kaum dazu beitragen, das Vertrauen zu stärken. Wie ein Audio-Mitschnitt dokumentiert, hat Netanjahu junior nach dem Besuch eines Strip-Clubs in Tel Aviv im Jahr 2015 damit geprahlt, dass sein eigener Papa dem Vater seines Freundes »zu 20 Milliarden Dollar verholfen und sogar in der Knesset dafür gekämpft« habe. Der Freund ist der Sprössling von Gas-Tycoon Kobi Maimon, Aktionär bei Isramco. Das Unternehmen hatte die Bohrrechte für das Naturgasfeld Tamar von der Regierung erworben.
Yoav Segalovitz, einstiger Leiter von Lahav 433 und Mitglied der Oppositionspartei Jesch Atid, äußerte sich vor wenigen Tagen zu dem Schweigen der Koalitionsmitglieder in Sachen Ermittlungen gegen ihren Chef: »Das gesamte Umfeld ist stumm, kein einziges Wort ist zu hören.« Nicht ein Einziger sage, dass es zu weit gehe. Segalovitz aber ist überzeugt: »Netanjahu ist unfähig geworden, sein Amt auszuüben.«