Seit dem Beginn der verstärkten Raketenangriffe aus dem Gazastreifen war auch in Beer Sheva, mit knapp 200.000 Einwohnern die größte Stadt im Negev, zum ersten Mal seit zwei Jahren wieder Raketenalarm zu hören. Mehrere Raketen sind von dem Abwehrsystem »Iron Dome« abgefangen worden; einige landeten auf freiem Feld außerhalb der Stadt. Die Wüstenmetropole, in der auch zahlreiche Beduinen leben, verfügt über bedeutende Institutionen wie die 1966 gegründete Ben-Gurion-Universität des Negev und vier weitere akademische Einrichtungen, das Soroka-Hospital, ein Zentrum der Spitzenmedizin, das die gesamte südliche Region versorgt, sowie Theater, Bibliotheken, Museen und ein Konservatorium.
Versorgung Professor Jochanan Peiser ist stellvertretender Direktor des Soroka University Medical Center. Das Krankenhaus in Beer Sheva verfügt über rund 1000 Betten, es ist das zentrale Krankenhaus im Negev, in seinem Einzugsbereich leben rund eine Millionen Menschen, darunter auch viele Beduinen und Palästinenser. »Für uns macht es keinen Unterschied, welchen Hintergrund unsere Patienten haben. Hier werden alle gleich gut versorgt«, sagt Peiser.
Seit Tagen ist Beer Sheva unter Beschuss aus dem Gazastreifen. Am heutigen Mittwoch sei es bis zum Nachmittag noch weitgehend ruhig geblieben. Am Dienstagabend habe es ein paar Mal Alarm gegeben. »Zuvor war sehr viel mehr los. Daher mussten wir verschiedene Abteilungen in geschütztere Bereiche umziehen.«
Exodus Das Soroka hat 22 Operationssäle, davon sind acht nicht gegen Luftangriffe geschützt. »Diese Operationssäle mussten wir jetzt schließen, wir müssen uns da anders behelfen.« Auch eine Abteilung der inneren Medizin und der Orthopädie musste in sicherere Bereiche des Hauses umziehen, ebenfalls Teile der Neugeborenenstation. 34 Babys waren davon betroffen. »Das war ein richtiger Exodus«, beschreibt Peiser die Umzugsaktion vor zwei Tagen.
Seitdem gibt es auch ein besonderes Angebot für die Kinder der Mitarbeiter des Krankenhauses. In den Bunkern hat das Soroka Tagesbetreuungen, sogenannte Keitanot, für sie eingerichtet. »So wissen die Eltern, die bei uns arbeiten, dass ihre Kinder jetzt in den Schulferien betreut und vor allem beschützt sind.«
Der stellvertretende Krankenhauschef geht davon aus, dass diese Ausnahmesituation für Mitarbeiter und Patienten noch einige Zeit anhält. »Ich glaube nicht, dass sich die Sicherheitslage so schnell ändern wird.«
Normalbetrieb Mark H. Gelber ist Leiter des Zentrums für österreichische und deutsche Studien an der Ben-Gurion-Universität in Beer Sheva. Der Universitätsbetrieb sei durch die aktuelle Bedrohungslage kaum beeinträchtigt, sagt er. Es sei ohnehin seit knapp zwei Wochen vorlesungsfreie Zeit, daher sei der Campus nicht so voll wie während des Semesters. »Aber die Studenten haben weiterhin Prüfungen, obwohl diejenigen, die diese Woche stattfinden sollten, auf nächste Woche verschoben werden. Sie schreiben Semesterarbeiten oder Klausuren, gehen zur Sprechstunde bei Professoren.« Die Bibliothek sei offen und funktioniere ganz normal. »Beziehungsweise sie funktioniert nicht besonders gut, weil sie seit einiger Zeit renoviert wird«, fügt er schmunzelnd hinzu. Aber das sei nicht anders als im Rest des Jahres.
Und wenn der Raketenalarm ertönt, gingen Studenten und Mitarbeiter eben in die Schutzräume, blieben dort ein paar Minuten, und dann sei es wieder vorbei. »Es gibt keine Panik«, betont Gelber. »Hier in Beer Sheva haben wir etwa eine Minute Zeit zwischen dem Ertönen des Alarms und dem Einschlag der Rakete. Eine Minute ist viel Zeit, und das System funktioniert unwahrscheinlich gut. Wir sind daran gewöhnt.«
Kinder Es gebe genügend Schutzräume für alle, aber viele nutzten sie gar nicht. Sein eigenes Büro zum Beispiel liege im fünften Stock, sagt der Literatur- und Kulturwissenschaftler, aber er und seine Mitarbeiter »rennen nicht zu den Schutzräumen nach unten, obwohl wir genügend Zeit hätten. Wir gehen einfach ins Treppenhaus, da ist es auch ziemlich sicher«.
Gelber versichert noch einmal, dass der Forschungs- und Prüfungsbetrieb weitergeht, auch wenn die Raketen eine unangenehme Ablenkung darstellten. Probleme, fügt er noch hinzu, hätten vor allem jene Studenten und Mitarbeiter, die kleine Kinder haben. »Denn die Kindergärten und Sommercamps sind mittlerweile geschlossen. Wenn sie keinen Babysitter haben, wird es für sie etwas umständlich. Auch sind mehrere Studenten, die Reservisten sind, schon eingezogen worden.«