Für viele ist der Anblick etwas ungewöhnlich. An der Strandpromenade in Tel Aviv stehen dieser Tage Dutzende ultraorthodoxer Familien und schmeißen etwas ins Meer. Säkulare Israelis und Touristen bleiben stehen und schauen verwundert, wenn die strenggläubigen Juden bei der Taschlich-Zeremonie symbolisch ihre Sünden ins Wasser werfen. Jom Kippur, der Tag der Sühne, steht vor der Tür.
Der höchste Feiertag im Judentum beginnt am Dienstag mit dem Sonnenuntergang und dauert 25 Stunden bis zum Mittwochabend an. Nach einer aktuellen Umfrage der israelischen Online-Zeitung Ynet in Zusammenarbeit mit dem Bina-Institut gibt die Mehrheit der Israelis an, fasten zu wollen.
Synagoge Im Durchschnitt 61 Prozent werden demnach komplett auf Speisen und Getränke verzichten, wie es das jüdische Gesetz, die Halacha, vorschreibt. Bei traditionellen Juden sind es 89 Prozent, bei ultraorthodoxen sogar 97 Prozent. Während rund 39 Prozent erklären, den Tag in der Synagoge zu verbringen, geben 43 Prozent zu, dass sie »einfach entspannen wollen«. Fast genauso viele israelische Männer und Frauen haben vor, »ein gutes Buch zu lesen«.
In einigen säkularen Gemeinden und Kibbuzim hilft die religiöse Organisation Panim el Panim (Von Angesicht zu Angesicht), Gottesdienste an Jom Kippur zu organisieren. Damit wolle sie die jüdische Identität stärken. Der stellvertretende Leiter Yair Ganz erklärt, dass das Programm eine Lösung für säkulare Gemeinden bietet, die an dem höchsten Feiertag eine bedeutende Erfahrung erleben möchten. »Das Erbe des jüdischen Volkes ist durch die Generationen weitergegeben worden. Und obwohl sich zu mancher Zeit einige davon lösten, gibt es jetzt wieder eine steigende Nachfrage, dazuzugehören.«
Inline-Skates Andere säkulare Israelis sind nicht am Gebet interessiert: Da so gut wie keine Fahrzeuge auf den Straßen unterwegs sein werden – mit Ausnahme von Polizei oder Rettungskräften –, holen Familien, Kinder und Jugendliche im ganzen Land traditionell ihre Fahrräder, Roller, Dreiräder oder Inline-Skates hervor und düsen auf den Straßen herum, ohne sich auch nur einmal umzusehen. Selbst die Autobahnen sind an diesem Tag den nicht motorisierten Zweirädern vorbehalten.
Die israelische Armee gab am Montag bekannt, dass sie die Palästinensergebiete Westjordanland und den Gazastreifen für den Feiertag abriegeln werde. Nach dem Anschlag von Jerusalem am Sonntag mit zwei Toten und fünf Verletzten sei die Terrorgefahr zu groß. Humanitäre Ausnahmen würden gemacht. Außerdem gelten besondere Sicherheitsvorkehrungen für Jerusalem, hieß es vonseiten der Polizei. Jedes Jahr zu Jom Kippur pilgern Tausende Menschen zum höchsten Heiligtum des Judentums, der Kotel.