Während es im von der palästinensischen Terrororganisation begonnenen Krieg in Israel und Gaza nach monatelangem Gezerre um eine Feuerpause Anzeichen für eine Annäherung gibt, gerät der jüdische Staat immer mehr unter Druck.
Medienberichten vom Sonntag zufolge soll sich Israel bei den indirekten Verhandlungen in Katar bereiterklärt haben, auf die Hamas zuzugehen und im Austausch für 40 israelische Geiseln Hunderte mehr palästinensische Häftlinge freizulassen als bisher zugestanden worden war. Die Rede ist nun von 700 und gar bis zu 800 Häftlingen. Unter den freizulassenden Palästinensern wären 100 Gefangene, die wegen terroristischer Straftaten zu lebenslangen Strafen verurteilt wurden.
Ein israelischer Regierungsbeamter erklärte gegenüber der Zeitung »The Times of Israel«, die Wahrscheinlichkeit für eine Einigung liege bei 50 Prozent. Am Wochenende hatte ein israelischer Insider erklärt, es gebe nicht wirklich Fortschritte bei den indirekten Verhandlungen, obwohl die Amerika den Status entsprechen dargestellt hätten.
Während eine Antwort der Hamas in den nächsten beiden Tagen erwartet wird, will der UN-Sicherheitsrat an diesem Montag über einen Resolutionsentwurf abstimmen, der eine »von allen Seiten respektierte sofortige Waffenruhe« fordern würde. Am selben Tag beginnt Bundesaußenministerin Annalena Baerbock in Ägypten neuerliche Krisengespräche, anschließend geht es weiter nach Israel.
Konsequenzen bei Rafah-Offensive
Die US-Regierung schließt Konsequenzen nicht aus, sollte Israels Armee im Zuge einer Bodenoffensive tatsächlich in die zurzeit mit Hunderttausenden palästinensischen Flüchtlingen überfüllte Stadt Rafah an der Grenze zu Ägypten einmarschieren. »Ich schließe nichts aus«, entgegnete US-Vizepräsidentin Kamala Harris in einem am Sonntag ausgestrahlten TV-Interview auf eine entsprechende Frage.
»Wir haben in mehreren Gesprächen und in jeder Hinsicht deutlich gemacht, dass jede größere Militäroperation in Rafah ein großer Fehler wäre.« Details zu möglichen Konsequenzen nannte sie nicht.
Unterdessen brach Israels Verteidigungsminister Joav Galant in die USA auf, wo er unter anderem seinen Amtskollegen Lloyd Austin treffen will. Zeitgleich wird eine weitere israelische Delegation in Washington erwartet. Die US-Regierung will den Besuchern Wege aufzeigen, wie die Hamas auch ohne eine Rafah-Offensive bezwungen werden kann.
Baerbock verlangt Einlenken
Auch Baerbock hatte am Donnerstag im Bundestag ihre Bedenken gegen den vom israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu angekündigten Angriff auf Rafah bekräftigt. Sie äußerte Zweifel, ob bei einer möglichen Offensive der Schutz von Zivilisten überhaupt ermöglicht werden könne.
Schließlich könnten sich 1,5 Millionen Menschen »nicht einfach in Luft auflösen«, betonte sie zum wiederholten Mal. Israel hatte mehrfach erklärt, die Binnenflüchtlinge in Rafah würden vor einer Offensive in der Stadt evakuiert.
Baerbock will am Montag nach Gesprächen in Ägypten die Palästinensischen Gebiete besuchen und in Ramallah Palästinenserpräsident Mahmud Abbas und Außenminister Riad Malki treffen. Am Dienstagvormittag trifft sie ihren israelischen Amtskollegen Israel Katz.
Abstimmung über Resolution
»Nur eine sofortige humanitäre Feuerpause, die zu einem dauerhaften Waffenstillstand führt, hält die Hoffnung auf Frieden am Leben – für Palästinenserinnen und Palästinenser wie Israelis«, sagte Baerbock im Vorfeld.
Bei der Sitzung des UN-Sicherheitsrats zur Lage im Nahen Osten soll am Montag über eine Resolution abgestimmt werden, die angesichts des islamischen Fastenmonats Ramadan eine sofortige Feuerpause fordert und die zu einer »dauerhaften und nachhaltigen Waffenruhe« führen soll, wie es in der am Freitag bekannt gewordenen Beschlussvorlage heißt.
Zudem wird darin die sofortige und bedingungslose Freilassung aller Geiseln gefordert und die Notwendigkeit betont, die Hilfslieferungen für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen auszubauen.
Hoffnung auf Erfolg
Die Resolution wird von nichtständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats vorangetrieben. Ein Diplomat erklärte am Sonntag, es gebe Hoffnung, dass die aktuellste Version des Textes nach intensiven Verhandlungen, besonders mit der Vetomacht USA, tatsächlich Erfolg haben könnte.
Israels Streitkräfte (ID) drohten derweil mangels einer ersichtlichen Strategie von der Hamas in einen endlosen Guerilla-Krieg verwickelt zu werden, wie das »Wall Street Journal« schreibt. Die israelischen Streitkräfte kämpften an immer mehr Orten im Gazastreifen, die sie eigentlich zuvor eingenommen und aus denen sie sich zurückgezogen hätten, berichtete die US-Zeitung am Sonntag. Dies zeige, wie sehr Israel darum kämpfe, die Hamas-Terroristen zu neutralisieren.
Den IDF geht es darum, weitere Attacken der Hamas auszuschließen - zur Sicherheit der Bevölkerung Israels. Auch eine Befreiung der mehr als 100 in der Gewalt der Hamas befindlichen Geiseln gehört zu den Kriegszielen.
»Ohne ersichtliche Strategie«
Die israelische Armee hatte nach eigenen Angaben am Sonntag einen neuen Militäreinsatz in Chan Junis im Süden des Gazastreifens begonnen. Bei einem weiteren Einsatz im Al-Schifa-Krankenhaus in der Stadt Gaza im Norden wurde demnach ein israelischer Soldat getötet. Die Armee war an diesen Orten bereits in den vergangenen Monaten in Gefechte verwickelt und hatte erklärt, die Hamas-Verbände in diesen Gebieten seien besiegt und aufgelöst worden.
Auch US-Außenminister Antony Blinken warnte Israel einem Medienbericht zufolge davor, den Krieg ohne ersichtliche Strategie fortzuführen. Israel brauche einen schlüssigen Plan, ansonsten verheddere es sich in einem Aufstand, den es nicht in den Griff bekommen werde, habe Blinken vergangene Woche bei einem Treffen mit Netanjahu und dessen Kriegskabinett gesagt, berichtete das Nachrichtenportal »Axios«.
Verlaufe der Krieg weiter wie bisher, würde die Hamas die Kontrolle im Gazastreifen behalten oder es würde Anarchie ausbrechen, die noch mehr Terror zur Folge hätte. Netanjahu habe geantwortet, dass »wir auf Jahrzehnte alle Hände voll zu tun haben werden«, berichtete das Nachrichtenportal. dpa/ja