Verteidigungsminister Ehud Barak übernahm heute die »volle Verantwortung« für Israels Angriff auf das Schiff »Mavi Marmara«. Eine Flottille von Booten unter türkischer Flagge hatte am 31. Mai versucht, die israelische Blockade des Gazastreifens zu durchbrechen. Als die IDF die Schiffe stoppen wollte, kam es zu einer extrem gewalttätigen Konfrontation, bei der neun pro-palästinensische Aktivisten getötet und zahlreiche Beteiligte auf beiden Seiten verletzt wurden. Barak steht Rede und Antwort vor der Turkel-Kommission, benannt nach dem Vorsitzenden, dem ehemaligen Obersten Richter Yaakov Turkel. Die israelische Untersuchung geht der Investigation der UN voraus, die ebenfalls heute ihre Arbeit aufnehmen will. Jerusalem hatte vor einigen Tagen angekündigt, mit dem internationalen Team zusammenzuarbeiten.
Der UN-Ausschuss besteht aus vier Mitgliedern, darunter ein israelisches und ein türkisches, den Vorsitz hält der einstige Premierminister von Neuseeland, Geoffrey Palmer. Derweil kursiert das Gerücht, dass Jerusalems Bedingung für die Mitarbeit gewesen sein soll, dass keine Soldaten zu dem Vorfall im Mittelmeer befragt werden. Ban Ki-Moon, Generalsekretär der Vereinten Nationen, sagte vor Journalisten in New York jedoch, es habe überhaupt keine »Deals mit der israelischen Regierung hinter den Kulissen gegeben«. Die hauptsächliche Arbeit des Ausschusses werde sein, die Berichte der inländischen Kommissionen zu untersuchen und sie dann mit den Behörden abzustimmen. Was darüber hinaus benötigt wird, werden sie mit den nationalen Regierungen diskutieren müssen, so Moon weiter.
Paint-Ball-Munition Doch zunächst einmal sind die obersten israelischen Regierenden dran, ihre Sicht der Dinge zu schildern. Gestern war es Premierminister Benjamin Netanjahu, heute Barak. »Ich trage die Verantwortung für alles, was im System unter meinem Befehl stattgefunden hat, für die Anordnungen auf der Ebene der Politik«, sagte dieser. Er erklärte, dass die Soldaten mit Paint-Ball-Munition auf das Schiff gekommen seien und erst dann scharf geschossen hätten, als ihr Leben in Gefahr gewesen sei. Er machte klar, dass der politische Entscheidungsprozess jedoch nicht Grund für die Realität gewesen sei, die sich am Ende der Operation gezeigt hätte. Fünf Tage vor dem Eingreifen sei ein Entwurf der Aktion dem inneren Kabinett, dem sogenannten »Zirkel der Sieben«, vorgelegt worden. Mit dabei Beschreibungen einer Reihe von Szenarien, darunter auch »extreme«. Nach einer gründlichen Untersuchung der Möglichkeiten sei die Entscheidung, die Flottille zu stoppen, schließlich getroffen worden – vom Premier und den sieben Ministern, so der Stabschef. »Die Regierung hat das Potential für Gewalt vorhergesehen.«
Damit widerlegte Barak die Aussage Netanjahus vom Vortag. Der hatte betont, dass sich die Diskussionen im Vorfeld des militärischen Eingriffs hauptsächlich um die Auswirkungen auf die öffentliche Meinung gedreht hätten, während die Wahrscheinlichkeit einer gewalttätigen Konfrontation lediglich »zwischen Tür und Angel« besprochen worden sei. Netanjahu befand sich während des Zwischenfalls auf Staatsbesuch in Kanada. Am nächsten Tag war ein Treffen mit US-Präsident Barack Obama geplant; dies sagte er jedoch ab und flog zurück nach Israel. Auf die Frage, ob seine Abwesenheit eine Rolle beim Ausgang der Krise gespielt haben könnte, erklärte der Ministerpräsident, dass er die klare Anordnung gegeben habe, Barak sei verantwortlich – in allen Belangen.
Uranium-Deal Der erste Teil seiner Befragung dauerte 90 Minuten und war öffentlich. Hier verlas er hauptsächlich eine vorbereitete Erklärung und beantwortete einige Fragen. Als es um die Beziehungen zu der Türkei, Ägypten und den USA ging, bat Netanjahu um Kameraaufzeichnung. Die zweite Hälfte fand hinter verschlossenen Türen statt. Netanjahu betonte, dass sich der türkische Premier Tayyip Erdogan 14 Tage vor der Flottille mit dem iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad wegen eines Uranium-Deals getroffen hatte. »Damit hat die Türkei ihre Identifikation und Kooperation mit dem Iran nur kurze Zeit vor der Ankunft der Schiffe gestärkt.« Zudem hätten die radikalen IHH-Aktivisten, die der Hamas nahestehen, an Bord der Mavi Marmara nicht nur keinen Ausweg aus der Konfrontation gesucht, sondern ihre Position von Anfang an klar gemacht: »Sie wollten die Blockade brechen und riefen, dass die Juden zurück nach Auschwitz müssten.«