In dem kleinen Gerichtssaal konnte man die Rufe der Demonstranten hören, die sich am Donnerstag vergangener Woche in Tel Aviv auf der Straße vor dem Gericht versammelt hatten: »Wir glauben euch, wir stehen zu euch!«, skandierten Frauenrechtlerinnen, während Richter George Kara mehr als eine Stunde lang das Urteil über den ehemaligen Staatspräsident Mosche Katsav verlas. Stoisch lauschte Katsav den Worten, mit deren eindeutiger Strenge kaum jemand gerechnet hatten: »A. spricht die Wahrheit, während Katsavs Aussage voller Lügen ist«, befanden die drei Richter einstimmig. Katsav wurde für schuldig befunden, während seiner Amtszeit als Tourismusminister und später als Präsident drei seiner Angestellten vergewaltigt, sexuell gewaltsam genötigt, verbal belästigt und die Justiz behindert zu haben. Das Strafmaß wird erst später festgelegt werden. Experten rechnen mit einer mehrjährigen Haftstrafe.
Reaktionen Politiker jeder Couleur sprachen von einem »traurigen Tag für Israel«. Trotzdem war man hier stolz auf die Unabhängigkeit der Justiz, die keine Unterschiede kenne: »In Israel gibt es nur eine Kategorie von Bürgern, und die sind alle vor dem Gesetz gleich«, sagte Staatspräsident Schimon Peres. Premier Benjamin Netanjahu betonte: »Das Gericht in Tel Aviv hat heute zwei Punkte deutlich gemacht: Dass alle, Männer und Frauen, vor dem Gesetz gleich sind, und dass Frauen über ihren Körper selbst entscheiden können.«
Der Urteilsspruch beendet eine politische Glanzkarriere. Katsav wurde 1945 im Iran geboren und wanderte mit sechs Jahren in Israel ein. Das Kind einer armen Einwandererfamilie wurde zum ersten Studenten seiner neuen Heimatstadt Kiriat Malachi. Mit 24 Jahren wurde Katsav zum jüngsten Bürgermeister im Land gewählt, mit 32 war er Abgeordneter in der Knesset. Besonders in den Augen der oft benachteiligten jüdischen Einwanderer arabischer Länder galt Katsav lange als Paradebeispiel für sozialen Aufstieg im von europäischen Juden dominierten Israel. Lange wähnten sie im Prozess eine Hatz des Establishments gegen einen ihrer erfolgreichsten Vertreter. Doch diese Stimmen waren am Tag der Urteilsverkündung nicht mehr zu hören.