Die Israelis, die dem hochansteckenden Coronavirus am meisten ausgesetzt sind, sind das Klinikpersonal. Tag und Nacht kümmert es sich um die steigenden Zahlen der Erkrankten, oft, ohne dabei auf die eigene Gesundheit achten zu können.
Es fehlt an Sicherheitsausrüstung und Schutzmasken. Noch sind die Krankenhäuser in Israel von Schreckensszenarien wie in Italien, Spanien oder New York verschont, die Zahlen der Schwerkranken halten sich in Grenzen. Dennoch sind bislang mehr als 1200 Ärzte, Krankenschwestern und Sanitäter infiziert worden, über 3000 befinden sich in Quarantäne.
In den Seniorenheimen des Landes zeigt sich währenddessen ein erschreckendes Bild. Viele Wohnanlagen sind mit hohen Zahlen von Infizierten besonders betroffen, die Bewohner wegen ihres Alters und vieler chronischen Erkrankungen stark gefährdet.
Der erste Ausbruch war in Jerusalems Migdal-Nofim-Haus bekannt geworden. Es folgten weitere in Beer Sheva und Rischon LeZion. Im dortigen Bulgari-Wohnheim leben 480 Frauen und Männer, hinzu kommen 220 Angestellte. Bislang sind drei Menschen an den Folgen von Covid-19 gestorben, sieben weitere Bewohner und zwei Angestellte sind infiziert. Zwei komplette Abteilungen sind unter Quarantäne, während die Beschäftigten in 13-Stunden-Schichten arbeiten.
»Ein Todesurteil für viele andere Patienten«, meint der Vorsitzende der Medizinervereinigung.
»Wir betteln darum, dass das Gesundheitsministerium die Tests ausweitet«, sagt der Direktor des Wohnheims, Ascher Harpaz. »Wir wissen, dass das Ministerium alles tut, was es kann, aber wir bekommen die Antworten nicht rechtzeitig.«
Einer der behandelnden Ärzte habe die Vorerkrankungen der Bewohner aufgelistet und einen Plan ausgearbeitet, wer zunächst getestet werden muss. »Wir sind hilflos, obwohl wir nichts ausgelassen haben. Wir haben Schutzkleidung von unserem eigenen Geld gekauft, eine komplette Station für Infizierte geöffnet. Aber wir brauchen mehr Tests.«
KRITIKER Während die Israelis seit Wochen unter drakonischen Beschränkungen ihres Alltags leben müssen, gibt es auch Kritiker der Regierungsmaßnahmen. Allen voran Leonid Eidelman, ehemaliger Vorsitzender der israelischen Medizinervereinigung. Er ist überzeugt, dass ein totaler Lockdown kontraproduktiv sei und ultimativ schädlich für das Gesundheitssystem.
Er ist überzeugt, dass die extremen Maßnahmen bereits riesigen Schaden für die Wirtschaft angerichtet haben und dies, sollten sie ausgeweitet werden, zu mehr Toten führen wird als die eigentliche Pandemie. »Durch die radikalen Schritte wird die Wirtschaft sehr leiden, und dadurch wird es dem angeschlagenen Gesundheitssystem in zwei, drei Jahren noch schlechter gehen. Letztendlich werden mehr Menschen sterben«, sagt Eidelman.
Das Gesundheitsministerium vertritt eine andere Auffassung. Vor einigen Tagen sandte es einen Brief an alle Krankenhäuser. Darin stand, dass Studien zufolge in drei bis vier Monaten 15.000 Corona-Patienten stationär behandelt und mindestens 5000 von ihnen gleichzeitig beatmet werden müssen. »Dies ist ein Szenarium, das schwer zu begreifen ist, denn es wird sämtliche Betten für die allgemeine Pflege im Gesundheitssystem belegen«, heißt es in dem Schreiben.
ANWEISUNGEN Einige Tage später flatterte ein weiterer Brief mit Anweisungen in die Verwaltungen der Hospitäler: Binnen drei Wochen sollten diese sich darauf vorbereiten, 80 Prozent ihrer Aktivität auf Corona-Patienten auszulegen und lediglich 20 Prozent für alle anderen Erkrankungen. Die Belegungsrate in israelischen Krankenhäusern ist derzeit auf einem historischen Tiefstand.
Ein Aufschrei ging anschließend durch das Gesundheitswesen. »Das hat überhaupt keinen Sinn«, sagt Ehud Davidson, der Generaldirektor der Clalit-Dienste, die ein Drittel aller Kliniken im Land betreiben. »Das Minimum, das für den gewöhnlichen Betrieb bleiben muss, liegt bei rund 40 Prozent der Betten, damit akute medizinische Probleme behandelt werden können. Die Menschen kommen ohnehin ins Krankenhaus, und ich habe eine Verantwortung, sie zu behandeln.«
Auch Arnon Afek, stellvertretender Direktor des Scheba-Krankenhauses in Ramat Gan, ist entsetzt: »Das ist eine Forderung, bei der bei mir die Alarmglocken schrillen. Solch eine bedeutende Entscheidung, von der Menschenleben abhängen, muss in einem gemeinsamen Forum diskutiert werden, in Übereinstimmung mit Ethik-Experten.« Zunächst müsse die Situation in Krankenhäusern überwacht und deren Bedeutung verstanden werden.
»Es wäre ein Todesurteil für viele Menschen, die nicht an einer Atemwegserkrankung durch Covid-19 leiden, sondern an anderen Krankheiten wie Krebs, Herzerkrankungen oder sonstigen«, meint der jetzige Vorsitzende der Israelischen Medizinervereinigung, Professor Zion Hagai. Die Bedeutung der Anweisung sei es, eingewiesene Patienten zu entlassen, egal, wie ihr medizinischer Zustand sei. »Das ist professionell wie ethisch nicht zu vertreten.«
Clalit-Chef Davidson meint, dass stattdessen die Zahl der Krankenhausbetten erhöht werden muss: »Wenn wir einige Hundert Betten hinzufügen, können wir die Mission schaffen.« Auf die Einwände der Mediziner antwortete das Ministerium, dass das Thema dauerhaft untersucht werde.
Ein Krankenhaus, das sich ausschließlich auf Corona-Patienten einstellt – als erstes in Israel mit großflächigen Isolierungsbedingungen – ist das Sharon in Petach Tikwa.
SCHULUNG Ein Krankenhaus, das sich ausschließlich auf Corona-Patienten einstellt – als erstes in Israel mit großflächigen Isolierungsbedingungen – ist das Sharon in Petach Tikwa. Nachdem alle Patienten auf andere Kliniken verteilt wurden, war dort innerhalb von drei Tagen der gewöhnliche Betrieb in einen für die hochansteckende Infektionskrankheit umgewandelt worden. Die 1400 Angestellten wurden geschult, wie sie sich im Umgang mit den Patienten zu schützen und zu verhalten haben.
Das Krankenhaus verfügt über 200 Betten, 40 Beatmungsmaschinen und vier ECMO-Geräte, die die Funktion von Herz und Lunge übernehmen. Die meisten Behandlungen werden per Fernbedienung übernommen. Derzeit sind 37 Patienten im Sharon untergebracht. »Ich bin stolz darauf, an der Spitze eines Krankenhauses zu stehen, das nationale Bedeutung hat«, sagt der Chef des Sharon, Eitan Chawer. »Die Mission ist komplex und eine große Herausforderung.«
Unterdessen erlaubt eines der größten Krankenhäuser des Landes Angehörigen, sich in Schutzkleidung am Krankenbett von sterbenden Corona-Infizierten zu verabschieden. Im Ichilov-Krankenhaus in Tel Aviv ist dies bereits Praxis, während andere Krankenhäuser ähnliche kreative Lösungen suchten.
»Die Geschichten von Patienten, die allein sterben, entsetzen mich als Mensch und Klinikchef«, sagte der Direktor des Ichilov, Ronni Gamzu. »Wir dürfen nicht zulassen, dass solche Dinge in unserem Gesundheitssystem passieren.« Deshalb können Angehörige in voller Schutzausrüstung, die vom Krankenhaus geliefert wird, von ihren Liebsten persönlich Abschied nehmen. »Das ist unsere moralische Pflicht als medizinisches Personal und als Menschen.«