»Nicht immer ist es die Tür, die uns vom Nachbarn trennt. Oft sind es Welten.« Für Israel ist dieses Sprichwort gelebte Realität. Nur mit zweien der fünf Nachbarländer bestehen Friedensabkommen: Jordanien und Ägypten. Mit den restlichen befindet sich Jerusalem de facto im Kriegszustand. Doch als freundschaftlich kann man auch die Beziehung zu den Friedenspartnern kaum bezeichnen, seit jeher sind sie unterkühlt. Jetzt allerdings nähern sich der jüdische Staat und sein Nachbar am Nil langsam an.
Am vergangenen Sonntag besuchte der ägyptische Außenminister Sameh Shoukry Jerusalem, um mit Regierungschef Benjamin Netanjahu über die Wiederaufnahme des israelisch-palästinensischen Friedensprozesses zu sprechen. Es war die erste Visite eines Offiziellen dieses Ranges seit neun Jahren. Zehn Tage zuvor hatte Shoukry bereits Ramallah besucht und sich dort mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas getroffen.
Seit der Amtsübernahme des ägyptischen Präsidenten Abdel-Fattah al-Sisi durch einen Militärputsch 2013 verbessert sich die Beziehung zwischen Kairo und Jerusalem zusehends. Der Besuch des Ministers gilt als weiteres Indiz in diese Richtung. Grund der Visite ist die Initiative, die al-Sisi vor einer Weile ins Leben rief. Damit hat er vor, die gänzlich eingefrorenen Friedensgespräche wiederzubeleben. Netanjahu betonte bei der Begrüßung des Gastes, wie sehr er die Bemühungen des Präsidenten schätze. Er hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er eine regionale Initiative der französischen vorzieht, die Israel seiner Meinung nach »ihre Regeln aufzwingen will«.
Scheideweg Shoukry machte zu Beginn des Treffens deutlich, dass der jetzige Status quo nicht akzeptabel sei. »Seit dem Ende der Bemühungen im Jahr 2014 hat sich die Lage zusehends verschlimmert. Sei es im humanitären Bereich, in der Wirtschaft oder bei der Sicherheit. Der Traum vom Frieden entfernt sich immer weiter, je länger der Konflikt andauert.« Es brauche nun Schritte, um Vertrauen aufzubauen und »einen echten Willen, der niemals, unter gar keinen Umständen, bricht«. Ägypten verpflichte sich, einen »gerechten und umfassenden Frieden zwischen Israel und den Palästinensern« zu unterstützen und jegliche Form von Hilfe zu liefern. Der Nahe Osten stehe an einem bedeutenden, aber schwierigen Scheideweg, fügte er hinzu.
Sein Besuch sei durch die Vision von Präsident al-Sisi zustande gekommen, Frieden zu schaffen und diesen langen Konflikt zu einem Ende zu bringen. »Das hätte weitreichende und dramatische Auswirkungen auf die Lebensbedingungen im gesamten Nahen Osten. Ägypten ist bereit, dieses Ziel zu erreichen.« Doch so sehr sich die Politiker auch annähern, die Stimmung in der Bevölkerung des arabischen Landes ist noch immer alles andere als pro-israelisch.
Tour Die Erfahrungen des ägyptischen Dramatikers Ali Salem stehen exemplarisch für die Atmosphäre. 1994 fuhr Salem mit seinem alten Sowjet-Wagen aus Kairo durch den Sinai an die Grenze zu Israel und bat, eingelassen zu werden. Er wollte das Land kennenlernen, über das er so viel Schreckliches gehört hatte, schrieb er im Anschluss an die Reise. Sein Buch A Drive to Israel wurde zum Bestseller in der arabischen Welt und in Israel. Darin beschreibt er seine durchweg positiven Erfahrungen auf der Tour vom Roten Meer bis in den Golan. »Ich wollte den Hass loswerden«, erklärte Salem nach seiner Rückkehr. Mit Erfolg. In seiner Heimat allerdings spürte er den Hass anschließend umso deutlicher: Er wurde als Verräter beschimpft und auf Lebenszeit aus Literatur- und Intellektuellenzirkeln ausgeschlossen. So starb er 2015 nach langer Krankheit in Kairo.
Freundschaft mit Israelis kommt im Land am Nil Hochverrat gleich – zumindest nach der Meinung eines Großteils der Bevölkerung. Als der Abgeordnete und Fernsehjournalist Tawfik Okasha den israelischen Botschafter in Kairo, Haim Cohen, zum Abendessen einlud und Fotos davon postete, wurde er beleidigt, bedroht und am Ende sogar aus dem Parlament geworfen.
fussball Auch die jetzige Reise des Außenministers Shoukry fand prompt ihre Kritiker. Das Büro des Premierministers veröffentlichte ein Foto, das ihn mit Netanjahu zeigt, wie beide vor einem Fernsehgerät stehen und das Finalspiel der Fußball-Europameisterschaft anschauen. Darunter steht, dass der Ministerpräsident den Besucher in seine Privatresidenz eingeladen hat und man nach dem offiziellen Treffen Zeit hatte, das Endspiel zu sehen.
Die bekannte Tageszeitung Al-Shorouk kommentierte daraufhin: »In Ägypten fühlt man Scham, Trauer, Erniedrigung und alles andere, was Enttäuschung und Schmerz bereitet.« Man könne verstehen, wenn der Außenminister ein Spiel oder einen Film mit einem arabischen Offiziellen ansehe, jemandem, der ein Freund ist, schreibt der Redakteur weiter. »Aber nicht mit einem israelischen. Dieses heimtückische Land ist der Hauptgrund für viel Unglück in Ägypten.«
Gemeinsam ein Fußballspiel anzuschauen, ist normalerweise eine positive, freundschaftliche Geste. Jedoch offensichtlich (noch) nicht für das ägyptische Gemüt. Offizielle Gesandte aus Jerusalem und Kairo indes treffen sich hinter den Kulissen bereits seit Monaten, wie jetzt bekannt wurde. Auch sprechen Netanjahu und al-Sisi regelmäßig am Telefon, um sich zu beraten. Nun arbeiten beide Seiten fieberhaft daran, bis zum Jahresende einen Gipfel zwischen den beiden Staatsmännern in Kairo oder Scharm al-Scheich zu organisieren.
Vielleicht könnte das Treffen nicht nur der Anfang einer Verständigung zwischen Israelis und Palästinensern sein – sondern auch die Tür öffnen zu einem wirklichen Frieden zwischen Israelis und Ägyptern.