Sven Wirtz (Name von der Redaktion geändert) ist nervös. Der 58-jährige Unternehmensberater aus Düsseldorf steht an der Startlinie des Jerusalem-Marathons im Sacher-Park und schüttelt sich ein letztes Mal vor dem Rennen die Beine aus. Bis zum Startschuss sind es nur noch drei Minuten, um ihn herum wird es hektisch. Die letzten Läufer drängen sich in den Pulk und setzen dabei auch – »Yalla! Yalla!« – beherzt die Ellenbogen ein. »Puh, jetzt geht mir ganz schön die Flatter«, sagt Wirtz – und ist selbst über seine Worte erstaunt.
Denn der Rheinländer ist bereits mehr als 20 Marathons in seinem Leben gelaufen. Doch nun, unmittelbar vor dem Start, ist er so aufgeregt wie vor keinem Wettbewerb zuvor. »Ich bin zum ersten Mal in Jerusalem und brenne darauf, die Stadt laufend kennenzulernen«, sagt Wirtz. Vor der Strecke hat er durchaus Respekt: Rund 800 Höhenmeter sind insgesamt zu absolvieren. »Das ist nicht von Pappe!«, fürchtet er.
Teilnehmerrekord Wie Sven Wirtz haben am vergangenen Freitagmorgen – alle Wettbewerbe zusammengenommen – mehr als 26.000 Läufer am Marathon in Jerusalem teilgenommen. Bei der Premiere vor fünf Jahren waren es nur knapp 10.000 Athleten, die sich für den Lauf angemeldet hatten. Damit wird Jerusalem für Ausdauersportler immer attraktiver. Jahr für Jahr besuchen mehr Menschen das Heilige Land, um an dem Marathon teilzunehmen.
Eine von ihnen ist Heike Faller (Name von der Redaktion geändert) aus Frankfurt am Main. Die 45-Jährige war schon 2011 dabei, als der Jerusalem-Marathon zum ersten Mal ausgetragen wurde. Seitdem ist sie jedes Jahr an den Start gegangen. »Ich bin schon viele Marathons gelaufen, aber Jerusalem ist jedes Mal etwas Besonderes«, schwärmt die Frankfurterin. »Bei keinem anderen Lauf sieht man von der Knesset über dem Mahane Yehuda bis hin zum Skopusberg und der Altstadt so viele religiöse und kulturelle Highlights.«
Bei ihrer ersten Teilnahme hatte sich Heike Faller ganz bewusst für Israel entschieden. »Zum ersten Mal bin ich mit 20 in Jerusalem gewesen und wusste sofort: Das ist meine Stadt!« Deshalb lag es für die Sportlerin nahe, die Heilige Stadt auch einmal laufend zu erkunden. Generell ist der Marathon für sie nicht nur irgendein Lauf, sondern fast schon eine spirituelle Erfahrung, wie die Christin betont. »Manchmal bin ich einfach nur sprachlos, wenn ich mir bewusst mache, wo ich gerade laufe.«
bergig Dabei ist der Jerusalem-Marathon nicht nur ein Event für Hobbyläufer. Gewonnen bei den Männern hat in diesem Jahr Tadesse Dabi aus Äthiopien. Bei den Frauen siegte die Kenianerin Joan Kigen. Weder Dabis noch Kigens Zeit – 2:18,20 und 2:45,55 – gehören in den Weltklassebereich, aber der 28-jährige Dabi hat eine überzeugende Erklärung: »Es geht hier immer hoch und runter, das ist nicht gut für schnelle Zeiten.« Gewonnen habe er, »weil mir mein Gott geholfen hat. Jerusalem ist ein heiliger Ort«.
Was für Profis wie Tadesse Dabi und Joan Kigen gilt, stimmt auch für die vielen Hobbyläufer: Auf Bestzeiten kommt es in Jerusalem nicht an. »Der Marathon ist ein guter Anlass, um die religiösen und historischen Orte dieser Stadt zu sehen«, sagt Jerusalems Bürgermeister Nir Barkat am Rande des Laufs.
Die Idee zum Jerusalem-Marathon geht auf Barkat zurück, der in diesem Jahr selbst teilgenommen hat und den Halbmarathon gelaufen ist. Mit der Veranstaltung soll die Stadt noch attraktiver für Touristen werden, so der Bürgermeister. »Der Marathon ist ein Markenzeichen Jerusalems – und er wird es von Jahr zu Jahr mehr.« Der Lauf, der auch durch das Jaffator in der Altstadt führt, soll die Schönheit und die Weltoffenheit Jerusalems zeigen.
konzept »Israel ist dabei, das Land der Marathonläufe zu werden«, ist auch Amir Halevy überzeugt, der als Direktor im Tourismusministerium dafür zuständig ist, mit Sportevents Israels modernes Image zu verbessern. Halevy zählt neben dem Jerusalem-Marathon noch den in Tel Aviv auf, der jedoch zwei Wochen zuvor wegen Hitze abgebrochen werden musste. Aber auch der Marathon in Eilat und der Tiberiaslauf am Kinneret gehören zum Programm, mit dem Halevy Israel zu einem beliebten Ort für Athleten aus aller Welt machen möchte.
Hobbyläufer Barkat hat noch weitere Ziele: Er will den Marathon neben den großen Stadtmarathons wie New York und Berlin im internationalen Laufkalender etablieren: »Unser Lauf soll auf der Shortlist der Läufer stehen.«
Der Erfolg scheint ihm recht zu geben: Insgesamt kamen Athleten aus über 60 Ländern nach Jerusalem, darunter auch aus der Türkei und Gaza. »All diese Menschen kehren als Botschafter des Friedens in ihre Heimat zurück«, hofft Barkat.
eindrücke Sven Wirtz, der Läufer aus Düsseldorf, kommt nach drei Stunden und 45 Minuten ins Ziel, müde von dem hügeligen Kurs und erleichtert. »Die Strecke ist hammerhart – und wunderschön«, findet der 58-Jährige. Am meisten aber haben ihm die kurzen spontanen Gespräche unterwegs mit israelischen Läufern und die Stimmung am Rande des Laufs gefallen.
Heike Faller, die Läuferin aus Frankfurt, kommt in einer Mischung aus Erschöpfung und Euphorie nach vier Stunden und 30 Minuten ins Ziel. Mit ihrer Leistung ist sie nicht zufrieden. Ab Kilometer 38 war bei ihr »die Luft raus«, wie sie sagt. »Ich habe mich mehr oder weniger ins Ziel geschleppt.«
Doch schon kurz nachdem sie im Zielbereich etwas gegessen und getrunken hat, ist sie sich schon wieder sicher, dass es nicht ihr letzter Marathon in Jerusalem gewesen sein wird. »Ich komme 2016 wieder«, kündigt die Läuferin an. »Aller guten Dinge sind sechs. Nächstes Jahr in Jerusalem!«
www.jerusalem-marathon.com