Wie jede Beziehung geht auch die viel beschworene Freundschaft zwischen Israel und den USA durch Höhen und Tiefen. Doch das Tal, das sie derzeit durchschreitet, ist außergewöhnlich tief – und von einem Weg in angenehmere Höhen keine Spur.
Auch der USA-Besuch des israelischen Präsidenten Isaac Herzog diese Woche dürfte daran nichts ändern. Im Gegenteil, er ist wohl auch ein Signal Washingtons an Israels Regierung: US-Präsident Joe Biden empfängt Herzog mit offenen Armen – während er Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu auf eine Einladung warten ließ.
einladung Am Montagabend teilte das Büro des Ministerpräsidenten zwar mit, Biden habe Netanjahu in einem »langen und herzlichen Gespräch« am Telefon in die USA »eingeladen«. In der offiziellen Mitteilung der amerikanischen Seite wird eine solche Einladung jedoch nicht erwähnt. Und bei einem anschließenden Pressebriefing des Weißen Hauses war Medienberichten zufolge lediglich die Rede davon, dass Biden und Netanjahu sich am Rande der UN-Generalversammlung im September treffen könnten. Eine offizielle Einladung ins Weiße Haus sieht anders aus.
Die US-Regierung hat sich klar auf die Seite der Reformkritiker geschlagen.
Die transatlantischen Verstimmungen haben mehrere Gründe. Einer davon ist die geplante Justizreform der israelischen Regierung, gegen die sich im Land eine massive Protestbewegung gebildet hat. Kritiker sehen die Gewaltenteilung und sogar die demokratischen Fundamente Israels in Gefahr, während Befürworter der Reform argumentieren, das allzu einmischungsfreudige Oberste Gericht müsse in seiner Macht begrenzt werden.
Werte Die US-Regierung hat sich unmissverständlich auf die Seite der Kritiker geschlagen. So sagte US-Präsident Biden Ende März mit Bezug auf die geplante Gesetzgebung, Israel könne auf »diesem Weg nicht weitergehen«. Nun, während des Besuchs des israelischen Präsidenten, wiederholte Biden seine Warnung: Geteilte demokratische Werte müssten ein wichtiges Element der besonderen Beziehung zwischen beiden Ländern bleiben.
Die beiden hätten zudem über die »Notwendigkeit eines Konsens-basierten Ansatzes« bei der Verabschiedung der Justizreform gesprochen. Der bekannte »New York Times«-Kolumnist Tom Friedman schrieb anschließend, Biden habe bei einem Treffen mit ihm noch am selben Tag »seinen Wunsch« ausgedrückt, dass Netanjahu die Gesetzgebung stoppe, solange es dafür keinen nationalen Konsens gebe.
siedlungsbau Abgesehen von der Justizreform zeigt die US-Regierung sich besorgt über die Entwicklungen im Westjordanland, wo Israels Regierung den Bau der Siedlungen deutlich entschiedener vorantreibt als ihre Vorgängerin. Zudem kam es in den vergangenen Monaten mehrfach zu Überfällen radikaler Siedler auf palästinensische Ortschaften – eine Art kollektiver Vergeltung nach tödlichen Terroranschlägen palästinensischer Attentäter.
Finanzminister Bezalel Smotrich, der zu den treibenden Kräften hinter dem Siedlungsbau zählt, pries Anfang März einen solchen Überfall auf die palästinensische Ortschaft Hawara, bevor er die Äußerung nach heftiger Kritik relativierte. Bei seinem USA-Besuch im selben Monat wurde Smotrich von keinem Vertreter der Regierung empfangen.
Israels Kabinett habe einige der »extremsten Mitglieder«, die er je in einer israelischen Regierung gesehen habe, sagte US-Präsident Biden Anfang Juli in einem CNN-Interview. Jene Minister, die israelische Siedlungen überall im Westjordanland errichten wollten, seien »Teil des Problems« im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern. Israels Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, der zudem der rechtsextremen Partei Otzma Yehudit vorsitzt, ließ daraufhin verlauten, Präsident Biden müsse begreifen, »dass Israel nicht länger ein Stern in der amerikanischen Flagge ist«.
Nach außen lässt die US-Regierung solche Anwürfe zwar mit diplomatischer Kühle an sich abprallen, doch es ist nicht zu erwarten, dass sie folgenlos bleiben. In der »New York Times« veröffentlichte Tom Friedman Mitte Juli einen Kommentar mit dem Titel: »Die Neubewertung der Regierung Netanjahu durch die USA hat begonnen«.
In dem Text, den israelische Medien vielfach zitierten, schrieb Friedman, er habe »keinen Zweifel daran«, dass Biden seinem Amtskollegen Herzog bei dessen Besuch mitteilen werde, »dass eine Neubewertung der Beziehungen unvermeidlich ist, wenn die Interessen und Werte einer US-Regierung und einer israelischen Regierung sich so weit voneinander entfernen«.
wandel Zwar sagte eine ungenannte israelische Regierungsquelle heimischen Medien anschließend, sie wisse nichts von einer solchen »Neubewertung«, und in jedem Fall sei dies »kein neues Phänomen«: Schon lange gebe es Meinungsverschiedenheiten zwischen beiden Ländern, etwa, was Israels Politik im Westjordanland betreffe, und dennoch bleibe das bilaterale Band davon unberührt.
Beobachter, die in der engen Beziehung zu den USA eine wichtige Säule der israelischen Sicherheitsstrategie sehen, sind in Sorge.
Beobachter, die in der engen Beziehung zu den USA eine wichtige Säule der israelischen Sicherheitsstrategie sehen, sind dennoch in Sorge, zumal neben den aktuellen Spannungen auch längerfristige politische Entwicklungen das Verhältnis belasten. Dazu zählt der Wandel, den die Demokratische Partei in den USA unterläuft: Der einstige israelfreundliche Konsens in der Partei gilt nicht mehr, stattdessen nehmen immer mehr Abgeordnete eine äußerst kritische Haltung gegen Israel ein.
So kündigte die demokratische Kongressabgeordnete Ilhan Omar kürzlich an, unter keinen Umständen würde sie sich die Rede des israelischen Präsidenten vor dem Kongress anhören. Da Herzog als Präsident eine überparteiliche Funktion hat und politisch überdies eher dem linken Lager in Israel zuzurechnen ist, scheint Omars Ankündigung sich nicht auf die aktuelle israelische Regierung zu beziehen, sondern auf den Staat an sich. Drei weitere demokratische Abgeordnete, darunter die bekannte Linke Alexandria Ocasio-Cortez, kündigten ebenfalls an, Herzogs Rede fernzubleiben.
Ein Sprecher des israelischen Präsidenten teilte mit, Herzogs Besuch in den USA sei Ausdruck der tiefen bilateralen Beziehungen, »die über jeder Meinungsverschiedenheit stehen«. Dass mehr und mehr Beobachter jedoch genau dies in Zweifel ziehen, ist aus israelischer Sicht kein gutes Zeichen.