Kaum hatten die Uhren zwölf geschlagen, waren sie zurück, die Bulldozer, Bagger und Betonmischer. Sonntag um Mitternacht war der zehnmonatige Baustopp in den israelischen Siedlungen des Westjordanlandes zu Ende gegangen. Am nächsten Morgen wurden in Ariel, Revava, Kochav Haschachar und Yakir Tatsachen geschaffen. Schwere Maschinen nahmen zum ersten Mal nach zehn Monaten dröhnend ihre Arbeit wieder auf.
Bis zur letzten Minute hatten die Politiker gerungen, um die direkten Friedensgespräche zwischen Israelis und Palästinensern durch die Wiederaufnahme der Bebauung in den besetzten Gebieten nicht platzen zu lassen. Für die Siedler hielt Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sein Wort und gab den Baggern grünes Licht.
Baugenehmigungen Für etwa 2.000 Wohnblocks überall im Westjordanland sollen bereits vor dem Baustopp Genehmigungen erteilt worden sein. Theoretisch könnte sofort begonnen werden, Häuser aus dem Boden zu stampfen. Jedoch dauert die Sukkotwoche noch an, daher laufen die Arbeiten in den meisten Orten auf Sparflamme oder haben noch gar nicht begonnen. Die meisten rechnen damit, dass sofort nach dem Ende der Festtage in der kommenden Woche viel mehr Beton fließen wird. So auch Motti Bir, Eigentümer eines Maklerbüros in Efrat, einer Siedlung, 20 Autominuten südlich von Jerusalem. Bir vermittelt Wohnungen und Häuser in jüdischen Siedlungen der Umgebung. »Wir wussten bis zur letzten Minute nicht, wie es weitergehen wird. Wir konnten nichts planen. Erst jetzt ist klar: Es wird wieder gebaut.«
Efrat ist eine jüdische Siedlung mit rund 9.000 Einwohnern, die nach Auskunft von Bir »aus allen Nähten platzt«. Vor 28 Jahren ist hier der erste Grundstein gelegt worden mit dem Ziel, eine Kleinstadt für 30.000 Einwohnern zu schaffen. Die ersten Bewohner waren nationalreligiöse Juden, die eine Bevölkerung dieser Gegend als die Erfüllung ihres biblischen Erbes ansehen. Später kamen viele nordamerikanische Immigranten dazu, auch die meisten von ihnen religiös. In jüngster Zeit indes suchen immer mehr säkulare Israelis aus Jerusalem oder der Umgebung von Tel Aviv eine günstige Alternative zum überteuerten Wohnen in den Metropolen.
Familien Bir bestätigt das: »Wir haben einen Berg Anfragen von jungen Paaren und Familien aus den Großstädten, die hier ein Haus oder eine Wohnung kaufen wollen.« In letzter Zeit allerdings habe er nicht viel Angebote gehabt. »Zwar ziehen selbstverständlich immer mal wieder Menschen um, doch Tatsache ist, dass die Nachfrage um ein Vielfaches höher ist. Und langsam habe ich einfach nichts mehr im Angebot.« Durch den Baustopp, so Bir, seien die Preise auf dem Immobilienmarkt im gesamten Westjordanland in die Höhe geschossen, im Durchschnitt stiegen sie um 25 Prozent. »Das ist zwar eigentlich gut für mich, doch wenn ich nichts habe, was ich den Leuten verkaufen kann, bringen mir auch die dollsten Preise nichts.«
Kann also bald mit Tausenden von Neubauten gerechnet werden? »Das wäre schön, doch so einfach ist das nicht. Erst müssen Genehmigungen her. Und auch wir bauen nicht einfach drauflos. Es geht darum, was die Menschen wollen, es geht um Angebot und Nachfrage.«
Obwohl auch in Efrat sofort nach Sukkot wieder Kräne und Bagger anrücken, werde sich nach Meinung des Maklers die Lage nicht unmittelbar entspannen. »Häuser bauen dauert seine Zeit. Eineinhalb bis zwei Jahre in der Regel. Dieser Baustopp wird für uns langfristig große Schäden anrichten.« Um die Wartezeit zu verkürzen, setzen einige Siedler jetzt auf eine neue Bauweise. Innerhalb von nur zwei Monaten können mit besonders leichten, umweltfreundlichen Materialien Einfamilienhäuser errichtet werden. In wenigen Tagen wird ein Konstrukt aus Stahl oder Holz geschaffen, das mit Latten oder Stein verkleidet wird. Sie sind kostengünstig und vor allem extrem schnell aufzustellen, wodurch die strikten Richtlinien für Bauten in dieser Gegend umgangen werden sollen.
Die Einfuhr von Fertighäusern in die besetzten Gebiete ist so gut wie unmöglich geworden. Friedensinitiativen meinen, dass viele die Leichtbauweise nutzen, um einer Evakuierung durch den Obersten Gerichtshof zu entgehen. Die Gerichte arbeiten langsam, und die Leute wüssten, dass sich die Richter schwerer tun, Häuser mit Familien räumen zu lassen, als halb fertige Bauten zu stoppen, meint die Initiative Schalom Achschaw, die die Aktivitäten in den Siedlungen beobachtet.
Baufirmen Makler Bir hat Verständnis für die Menschen mit Wohnbedarf. Denn mit der Bekanntgabe des Moratoriums sei das Errichten von Privathäusern von einem Tag zum nächsten zum totalen Erliegen gekommen und auch Schulen, Kindergärten oder sonstige Gemeinschaftseinrichtungen wurden größtenteils nicht mehr gebaut oder erweitert. »Die Bauunternehmen sind abgezogen, und auf einmal war niemand mehr da, der noch an irgendetwas gearbeitet hat.« Doch jetzt sind sie wieder da. Eine von ihnen ist die Baufirma Hassun aus Tira, einer Stadt im israelischen Kernland mit 100 Prozent arabischer Bevölkerung. Gründer Walid Hassun und seine Söhne sind bekannt und beliebt in den Siedlungen als zuverlässige Partner in Sachen Infrastruktur und Konstruktion. Zehn Monate lang standen Hassuns Maschinen unbewegt auf einem Abstellplatz, jetzt darf er sie wieder anwerfen, um Häuser in Revava und Yakir fertigzustellen. Über Politik spricht der arabische Unternehmer nicht, seinen Job macht er stillschweigend.