Der Satz ist immer wieder zu hören: »Jaffo ist eben anders.« Manchmal ist er freundlich, manchmal wohl eher böse gemeint. Dabei leben in Jaffo, oder arabisch Jaffa, Juden und Araber zusammen wie in vielen anderen Orten in Israel auch. Aber doch etwas anders.
50.000 Einwohner zählt die Stadt, 17.000 davon sind Araber, von denen wiederum über 2000 dem christlichen Glauben angehören. Das ist ein höherer Prozentsatz als sonst wo in Israel. Und die christlichen Araber dividieren sich in so viele unterschiedliche Konfessionen auf wie ansonsten nur in Jerusalem. Dabei ist Jaffo um einige Jahrtausende älter und deutlich kleiner als die Heilige Stadt. Und die liegt auf einem Berg. Jaffo dagegen direkt am Meer. Also ist sie doch anders.
Das könnte auch der Grund gewesen sein, warum 1948 Palästinas damals bevölkerungsreichste, modernste und säkularste arabische Stadt, die zudem eine ganze irakische Brigade in ihren Mauern beherbergte, schneller kapitulierte als die meisten anderen. In Jerusalem kämpfte die lokale Bevölkerung. In Jaffo dagegen war sie schon lange vor Ausbruch der Kämpfe im April 1948 geflüchtet. Zum einen vor den Scharmützeln und Scharfschützen, weshalb seit November 1947 der Alltag an der Nahtlinie zwischen Tel Aviv und Jaffa immer unerträglicher wurde.
Vor allem aber vor den irakischen Soldaten, die das Leben dort zur Hölle machten. Als erst die Hagana und dann auch noch der Etzel zum Angriff auf die Stadt ansetzten, forderten die Iraker erst einmal Soldnachzahlungen ein. Kein Wunder, dass Jaffo nach wenigen Tagen kapitulieren musste.
Stichtag Eine christliche Nachbarin zeigte mir einmal Fotos und Urkunden von den ehemaligen Orangenhainen ihres Vaters. Das Brunnenhaus, vor dem sie mit ihrer Großfamilie zu sehen ist, steht heute noch. Damals wurde die Familie infolge eines umstrittenen und rückwirkend geltenden Gesetzes, das den Besitz von Immobilien regeln sollte, enteignet. Der Grund: Sie lebten an dem gesetzlich festgesetzten Stichtag kurz nach dem Krieg noch bei ihrem Onkel im nur wenige Kilometer entfernten Dorf Asur.
Nach der Eroberung zogen in die meist leer stehenden Häuser und Wohnungen Jaffos viele jüdische Neueinwanderer, mehrheitlich aus Bulgarien und der Türkei. Aber auch arabische Familien, die Jaffo nicht verlassen hatten, nutzten die Gelegenheit und zogen in größere Gebäude geflüchteter Nachbarn. All das geschah ohne Plan und reichlich chaotisch, weil die Baubehörde von Tel Aviv und die Militärverwaltung um Zuständigkeiten stritten. Schließlich hatte Jaffo damals noch keinen Bindestrich mit Tel Aviv, sondern war besetztes Gebiet.
Gentrifizierung Die neuen Bewohner erhielten nur Wohnrechte. Verkaufen durften sie ihre Häuser nicht. Sogar Renovierungen oder Anbauten waren problematisch. Die Folge: Jaffo verfiel langsam zu einem Slum. Auch wollten in den 1970er-Jahren viele Bewohner endlich in modernen Wohnungen leben. Diese fanden sie im südlich von Jaffo gelegenen Bat Jam. Dort musste man auch nicht auf die Nähe zum Strand verzichten.
Nach Jaffo zogen dann Menschen, denen Tel Aviv zu teuer wurde. Allen voran Künstler, Studenten oder Kleinunternehmer mit mehr Risikofreude als Geld. Zudem war für die Renovierung baufälliger Häuser viel Eigeninitiative gefragt. Aus den neuen Bewohnern wurden schließlich Yuppies, die weitere Wohlhabende anzogen.
Auch arabische Yuppies kamen. Wer am Stichtag 1948 im eigenen Zuhause weilte, blieb Eigentümer. Deshalb zahlen nicht wenige Gutverdienende aus der Hightech-Branche oder ausländische Diplomaten heute ihre Miete an einen Junis oder Rafik.
Kurzum: Die Gentrifizierung setzte ein, und Jaffos Äußeres wie Inneres änderte sich von Grund auf. Sozial Schwächere wurden verdrängt, mehrheitlich Araber, aber auch viele ärmere Juden. Und weil die Abfindungen für die ursprünglichen Bewohner immer höher wurden, konnten sich auch zahlreiche arabische Familien eine neue Wohnung in Bat Jam leisten.
Bildung Schon immer schickten nicht wenige arabische Familien ihre Kinder auf hebräische Schulen. Zwar hinken im landesweiten Leistungsvergleich arabische Schulen weiterhin hinterher, konnten in jüngster Zeit aber deutlich aufholen. Im vergangenen Jahr belegte eine drusische Schule sogar einen Spitzenplatz. Und an der Französischen Schule in Jaffo fallen jüdische Kinder von Einwanderern aus Frankreich weniger auf als an so mancher staatlichen Schule in der Pariser Banlieue. Ferner genießen die christlichen Schulen in Israel einen ausgezeichneten Ruf.
Der Wandel Jaffos ist aber noch lange nicht abgeschlossen und betrifft mehr als nur die begehrten Immobilien mit Meerblick. Das dürfte wohl auch einer der Gründe sein, warum die Stadtverwaltung vor zehn Jahren an der Grenze zu Bat Jam die erste neue Grundschule für Araber in Jaffo seit 1948 baute. Auch wenn heute weitaus mehr Juden als Araber in Jaffo leben – das Arabische gehört zur Stadt einfach dazu. Und das geht weit über Denkmalschutz hinaus.
Lebensgefühl Was das Arabische als Sprache betrifft, so hat Jaffo seine ganz eigene Version. Experten sprechen bereits vom Arabräischen, einer Melange aus Arabisch und Hebräisch, die sich in der Grauzone zwischen einem Dialekt und eigener Sprache bewegt. Sie ist zwar in ganz Israel verbreitet, aber vor allem in Jaffo, das seit sieben Jahrzehnten zu den hebräischsten aller Städte gehört. Am Arabräischen wird die Nähe zum Hebräischen hör- und erfahrbar, aber auch die Eigenständigkeit des Arabischen in Israel.
Die jungen Araber der Generation Maybe in Jaffo könnten sie vielleicht dennoch verlieren. Sie stehen weitaus weniger unter dem Einfluss der traditionellen Erzieher in Schule und Familie als ihre Väter. Weltweit sind sie genauso vernetzt wie ihre jüdischen Altersgenossen, von denen sie in Sachen Mode oder Musik gerade in Jaffo kaum zu unterscheiden sind. So entwickelt sich ein eigenes israelisches Lebensgefühl, das dennoch arabisch bleibt.
Dieses zeigt sich in den Statistiken, manifestiert sich aber auch im Alltag.
Über die Hälfte der Araber bestätigen in Umfragen, sie seien »stolz« oder »ziemlich stolz« darauf, Israeli zu sein. In diesem Jahr waren es 49 Prozent. 1955 lag dieses Gefühl bei unter fünf Prozent. Nach Krieg oder Intifada sanken die Zahlen etwas, doch der Trend bewegt sich weiter aufwärts. Katholische Nordiren, befragt nach ihrem Stolz auf Großbritannien, hätten da deutlich mehr Zweifel.
vertrauen Umfragen überraschen immer wieder. Fast ein Drittel der arabischen Bürger hat sogar so etwas wie Vertrauen zur israelischen Regierung. Zu Polizei und Parlament ist es noch stärker ausgeprägt. Ganze 70 Prozent setzen auf die Justiz. Und dem Obersten Gerichtshof vertrauen Araber sogar mehr als Juden. Das ist noch nicht alles: 41 Prozent der befragten Araber in Israel haben eine positive Meinung zur Armee, und 45 Prozent befürworten mehr Gelder für die Landesverteidigung. Während des Libanonkrieges von 2006 hofften 18 Prozent der Araber auf einen Erfolg der Hisbollah. Einen Sieg Israels wünschten sich dagegen 27 Prozent, und 36 Prozent war es schlichtweg egal.
Umfragen sind nur das halbe Bild. Ein Blick auf die aktive Teilhabe am politischen und sozialen Leben vermittelt weitaus tiefere Einblicke. Hinter der hohen Gartenmauer einer Villa am Jerusalem-Boulevard in Jaffo ist das möglich. Dort befindet sich ein Anmeldebüro des Zivilen Nationaldienstes, einer Art Wehrersatzdienst, der ursprünglich für orthodoxe jüdische Frauen gedacht war, denen der Armeedienst zu problematisch war. Seit 1996 steht er auch arabischen Jugendlichen offen.
Fünf junge Mädchen aus Ramle und Galiläa meldeten sich damals. Sie wurden auf der Straße beschimpft. Heute stehen die Bewerberinnen, schließlich sind nur zehn Prozent männlich, hier Schlange. 70 Prozent aller jungen Araberinnen wie auch Araber sind grundsätzlich bereit, ein soziales Jahr in Krankenhäusern und anderen Einrichtungen zu leisten.
wahlen Warum aber stimmen Araber dann bei den Wahlen zur Knesset eher für radikale Abgeordnete? Die Antwort: Bei Parlamentswahlen liegt die arabische Wahlbeteiligung bei rund 50 Prozent, bei Kommunalwahlen aber bei fast 90 Prozent. Das Wahlverhalten von Juden ist genau umgekehrt. Im Ergebnis werden Israels arabische Bürgermeister immer jünger und pragmatischer. Sie sind es, die heute verstärkt zum Zivilen Nationaldienst aufrufen.
So schafft es Hanan Suabi, die radikale Abgeordnete der Balad-Partei, immer wieder in die Knesset. Doch als sie zum Amt des Bürgermeisters in Nazareth kandidierte, landete sie unter zwölf Bewerbern nur auf dem neunten Platz. Ein Nachbar von mir in Jaffo hat dafür seine ganz eigene Erklärung: »Bei Wahlen zur Knesset sehe ich Netanjahu vor mir, und dann bin ich Palästinenser. Wenn es aber um Jaffo geht, geht es um meinen Job, mein Haus, meine Familie. Dann bin ich Jaffoaner.« Was die Araber in Nazareth ebenso sehen – obwohl Jaffo ja ganz anders ist.