Als die Vereinten Nationen im November 1947 beschlossen, Palästina zu teilen und dort einen jüdischen und einen arabischen Staat zu gründen, war Amos Oz acht Jahre alt. Über 65 Jahre ist das her – und doch kann er sich heute noch genau daran erinnern, wie die Menschen in seiner Geburtsstadt Jerusalem bis spät in die Nacht in den Straßen tanzten.
»Als ich und mein Vater um zwei morgens ins Bett gingen, erzählte er mir, dass er als Kind in Polen von Antisemiten geschlagen wurde. Und dann hat er mir gesagt: ›Ab heute kann es zwar sein, dass du in der Schule schikaniert oder geschlagen wirst, aber nicht mehr, weil du Jude bist. Das ist vorbei.‹ Das hat mir deutlich gemacht, wie wichtig es war, einen jüdischen Staat zu schaffen.«
So wichtig Oz diese Lehre war und bis heute ist – daran lässt er keinen Zweifel: Als Jugendlicher wollte er von den Ratschlägen des Vaters nichts mehr wissen, vor allem, nachdem sich 1951 seine Mutter das Leben genommen hatte: »Als ich 15 war, habe ich gegen die Welt meines Vaters rebelliert: Er war ein Intellektueller, habe ich beschlossen, dass ich Traktorfahrer werde. Er war konservativ, ich wurde Sozialist, er war ein Stadtmensch, ich habe beschlossen, im Kibbuz zu leben. Ich habe meinen Namen geändert und gehofft, ein ganz neues Leben anzufangen.«
Und so wurde aus Amos Klausner, dem Enkel des russischen Literatur- und Religionswissenschaftlers Joseph Klausner, der als überzeugter Zionist mit seiner Familie 1919 nach Palästina ausgewandert war, der Kibbuznik Amos Oz. »Oz wie Kraft und Stärke, aber auch Mut«, betont er, denn »ich habe eine Menge Mut gebraucht, als ich von zu Hause weggegangen bin«.
kibbuz 30 Jahre lebt Amos Klausner im Kibbuz Chulda im Zentrum Israels. Das Leben dort, wo fast alles vom Kollektiv bestimmt war, hat ihn in vielerlei Hinsicht geprägt. »Ich habe hier mehr über die menschliche Natur gelernt als an jeder Universität oder wenn ich zehn Mal um die Welt gereist wäre«, sagt er. »Ein Kibbuz ist zwar nur ein kleines Dorf mit 500 Männern, Frauen und Kindern, aber ich kannte alle und alle ihre Geheimnisse, und die Geheimnisse von 500 Menschen zu kennen, ist für einen Schriftsteller ein großer Schatz.«
Inzwischen ist die Kibbuz-Bewegung längst ein Relikt vergangener Zeiten; Selbstverwirklichung und Individualismus sind auch in weiten Teilen Israels auf dem Vormarsch. Und doch: Die Direktheit und Streitlust in der israelischen Gesellschaft, aber auch ihr Mangel an Hierarchien und eine gewisse egalitäre Gleichheit, all das »hat mit unseren Kibbuz-Genen zu tun«, glaubt der 73-Jährige.
krieg Er selbst lebt mit seiner Familie zwar seit 1986 in Arad in der Negev-Wüste, aber in seinen Büchern kommt der Kibbuz-Zeit eine wichtige Rolle zu – auch in seinem jüngsten, Unter Freunden: Die Geschichten spielen in einem fiktiven Kibbuz in den 50er-Jahren, aber die existenziellen Fragen von Liebe und Einsamkeit, von Sehnsucht und Verlust-Ängsten, die Oz darin ausbreitet, haben kaum etwas von ihrer Aktualität verloren. Dass es vor allem die Unglücklichen sind, über die er schreibt, ist kein Wunder: »Glück spricht für sich selbst, darüber muss man nicht schreiben, das Unglück fragt nach Erklärungen, nach Mitgefühl, deswegen schreibe ich immer von Nicht-Helden, von Leuten am Rand, von einsamen Menschen.«
In Chulda erlebt Amnos Oz auch den Sechstagekrieg 1967. Nachdem er zehn Jahre zuvor den obligatorischen dreijährigen Wehrdienst geleistet hat, wird er eingezogen und kämpft im Sinai. Der israelische Überraschungssieg erfüllt ihn mit Freude, doch die folgende Besetzung des Westjordanlandes, des Gazastreifens und des Sinai hält er für falsch: Gemeinsam mit anderen gründet er die israelische Friedensbewegung »Schalom Achschav«, deren grundsätzliches Anliegen er heute noch in zahlreichen Interviews und Zeitungsartikeln vertritt.
»Ich bin sicher, dass es eine Zwei-Staaten-Lösung geben wird, denn es gibt schlicht keine Alternative. Die Palästinenser werden nicht gehen, wir Israelis auch nicht, wir werden beide bleiben und wir werden keine glückliche Familie werden. Also müssen wir das Haus in zwei kleinere Wohnungen teilen, das muss so kommen. Und in ihrem Herzen weiß das die Mehrheit der Israelis genauso wie die Mehrheit der Palästinenser.«
Dass das permanente Wachstum der jüdischen Siedlungen im Westjordanland – und der Zufahrtsstraßen zu ihnen – die Option für einen lebensfähigen Palästinenserstaat immer unwahrscheinlicher macht, will der Schriftsteller nicht gelten lassen. »Ariel Scharon hat den Gazastreifen in 48 Stunden evakuiert. Ich sage nicht, dass es im Westjordanland so einfach gehen wird, aber es ist möglich und es wurde schon einmal gemacht.«
frieden Wann es allerdings dazu kommen wird, darüber will sich Oz lieber nicht äußern. Geschichtliche Konflikte dauerten oft länger als ein Menschenleben, und dennoch hofft er, dass er eines Tages mit einem palästinensischen Visum in seinem israelischen Pass in das Nachbarland reisen kann. »Es ist schwierig, ein Prophet zu sein, wenn man aus dem Land der Propheten kommt, der Wettbewerb im Prophezeihungs-Business ist einfach zu groß. Schließlich«, fügt er mit einem Lächeln hinzu, »ist Israel kein Land und keine Nation, sondern eine glühende Ansammlung von Argumenten: acht Millionen Bürger, acht Millionen Premierminister, acht Millionen Propheten und Messiasse.«
Er selbst zumindest hat es keinen Tag bereut, in Israel gelebt zu haben. »Israel ist ein mediterranes Land, laut, warmherzig, leidenschaftlich, eine offene Gesellschaft. Ich lebe am aufregendsten Ort der Welt und in der spannendsten Zeit der Geschichte. Warum sollte ich je darüber nachdenken, Israel zu verlassen?«
Im Gegenteil. Amos Oz will sich weiter in die israelische Gesellschaft einmischen, als Friedensaktivist und als Schriftsteller: »Wenn ich mir zu 100 Prozent sicher bin, schreibe ich einen wütenden Artikel, in dem ich meiner Regierung sage, dass sie sich zum Teufel scheren soll. Wenn ich mir nicht so ganz sicher bin und in mir mehrere Stimmen höre, dann weiß ich, dass ich eine Geschichte in mir trage und keinen Artikel.«