Es ist uralt und doch ultramodern: das jüdische Gesetz der Schmitta. Alle sieben Jahre soll nach der Halacha das Land brach liegen, Schulden erlassen und Besitz abgegeben werden. Arme Menschen dürfen sich zu dieser Zeit frei auf den Feldern bedienen. Das kommende Jahr 5775 ist ein Schmitta-Jahr. Die Regel, die in der Vergangenheit regelmäßig zu Streit zwischen verschiedenen Interessengruppen um die Auslegung endete, soll nun das Verantwortungsbewusstsein in Israel stärken. Schmitta mit sozialem Touch.
Obwohl eine völlige Ruhe für sämtliches Land, das Aufgeben von persönlichem Besitz und der Erlass von Schulden hehre Ziele sind, können sie in der heutigen Zeit kaum in die Realität umgesetzt werden. Die Mehrheit der Israelis berührt das Gesetz in ihrem Alltag somit kaum.
Umwelt Einat Kramer ist dennoch vom Sinn überzeugt: »Das Schmitta-Jahr ermöglicht eine kollektive Pause vom Wettrennen des modernen Lebens. Alle sieben Jahre gibt es eine Möglichkeit, alles etwas langsamer anzugehen. Ein ganzes Jahr, in dem man sich auf Gemeinschaft, Geist und Kultur besinnen kann.« Die Direktorin von Tewa Iwri glaubt, Schmitta gewinne überall auf der Welt zunehmend an Bedeutung für Juden, denen soziale Gerechtigkeit, Umweltschutz und jüdisches Leben wichtig sind. Die Organisation wirbt für Verantwortung im sozialen Bereich und für die Natur auf Basis jüdischer Werte.
Allerdings sei Schmitta in Israel in den vergangenen Jahren durch politische und wirtschaftliche Interessen verdorben worden, die den historischen und ethischen Hintergrund verblassen lassen, gibt Kramer zu bedenken. Landwirte müssten heutzutage vornehmlich auf die Marktbedingungen achten und sollen gleichzeitig anhand von Kaschrut-Standards handeln. Kramer bezieht sich vor allem auf die Debatte, die vor dem vergangenen Schmitta-Jahr zwischen Säkularen und Religiösen getobt hatte. »Wir sollten das nun aber hinter uns lassen und der Schmitta ihren rechtmäßigen Platz im jüdischen Leben zurückgeben.«
Um das voranzutreiben, stimmte die Regierung jetzt einem Plan zu, der den Landwirten ein 20-Millionen-Euro-Budget zuspricht, aus dem die Kompensationen gezahlt werden, wenn sie ihre Felder ein Jahr lang nicht bestellen. Die israelischen Bauern können selbst entscheiden, ob sie die Schmitta beachten oder nicht.
Schulden Auch vor diesem Ruhejahr hatten religiöse Institutionen und das Landwirtschaftsministerium monatelang darüber gestritten, wer die Gelder verwalten soll. Als kurz vor dem Beginn des neuen jüdischen Jahres keine Einigung in Sicht war, entschied das Kabinett prompt, dem Finanzministerium den Schlüssel zur Geldschatulle auszuhändigen.
Dass der Streit beigelegt ist, freut Kramer, denn sie ist sicher, dass die Schmitta die Fähigkeit hat, die soziale Ordnung zu verändern. »Und ich glaube, wir alle stimmen überein, dass eine Neuerung längst überfällig ist.« Glücklicherweise gebe es in 5775 nicht mehr nur Idealisten und Aktivisten, die das Positive der Schmitta hervorbringen wollten, sondern zudem Initiativen der Regierung.
Das Ergebnis ist die »Schmitta-Plattform«, initiiert von Privatleuten, Non-Profit-Organisationen, Regierungsmitgliedern und Unternehmen, die monatelang an Programmen gearbeitet haben, die Schmitta für die Bevölkerung zugänglicher und bedeutsamer zu machen.
Eines davon ist das Programm zur wirtschaftlichen Rehabilitierung, bei dem verschuldeten und sozial schwachen Familien ein Teil ihrer Schulden erlassen wird. Die Knessetabgeordnete Ruth Calderon von Jesch Atid setzt sich dafür ein, dass in einer praktischen Auslegung der Schmitta 5000 Familien ein Neustart ermöglicht wird. »Normalerweise kann die Mizwa der Schmitta nur in Israel ausgeübt werden«, sagt die Parlamentarierin, »aber unsere Initiative ermöglicht es Juden von überall her, das Gebot zu erfüllen.« Denn die offenen Rechnungen der Verschuldeten sollen aus einem Fonds bezahlt werden, in den Juden aus jedem Land der Welt einzahlen können.
Sammeln Andere Aktionen sollen beispielsweise jungen Menschen nach der Armee helfen, ihre Finanzen zu regeln, und sie über den Umgang mit Geld aufklären. Außerdem will Calderon ein Schabbatjahr für die Fischerei einführen. Allen Fischern, die sich daran beteiligen, um dem Leben in den Meeren die Chance der Erneuerung zu geben, erhalten ihr Gehalt zwölf Monate lang von der Regierung.
Eine Gruppe, die auch während des Schmitta-Jahres arbeitet, um die sozial Schwachen in Israel durch das Sammeln von Lebensmitteln zu unterstützen, ist Leket. Durch die vom Oberrabbinat genehmigte Ausnahmeregelung »Heter Mechira«, nach der das Land von jüdischen Eigentümern vorübergehend an Nichtjuden verkauft wird, kann Leket die nicht geernteten landwirtschaftlichen Produkte von Feldern und aus Obstplantagen weiter verwenden.
Auch die Sammlung von übrig gebliebenen Speisen übernimmt Leket, etwa bei Veranstaltungen oder Firmenkonferenzen, und verteilt sie an Bedürftige. »Unser Umgang mit der Schmitta hebt deren besonderen humanitären Aspekt hervor«, erklärt ein Sprecher von Leket. »Nämlich den Armen zu helfen.«