In der Karikatur einer israelischen Tageszeitung frohlockt Benjamin Netanjahu. Er reitet auf einem verhärmt dreinschauenden Mahmud Ahmadinedschad, neben ihm steht die Politelite seines Landes – von Scheli Jachimowitsch über Verteidigungsminister Ehud Barak bis zu Newcomer Yair Lapid – mit mehr oder minder müdem Gesichtsausdruck. Glaubt man den aktuellen Umfragen, hat der Regierungschef allen Grund zum Strahlen. Vorgezogene Neuwahlen stehen vor der Tür, und es scheint, als würde der alte Premier schon bald der neue Premier.
Die Bedrohung durch den Iran allgegenwärtig im israelischen Alltag zu machen, traf genau ins Schwarze. Würde jetzt gewählt, Netanjahu könnte mehr als doppelt so viele Stimmen (54 Prozent) einfahren als der zweitplatzierte Konkurrent. Und das ist ausgerechnet Zipi Livni, einstige Kadima-Vorsitzende und Außenministerin.
Dabei hat die sich eigentlich aus der Politik zurückgezogen und tritt gar nicht an. Die Umfrage des Dialog-Instituts in Zusammenarbeit mit der Tel Aviver Universität zeigt zudem, dass der rechtsreligiöse Block unter dem Likud sogar noch stärker werden könnte als bisher. Mit 68 von 120 Sitzen in der Knesset hätte er den Umfragen zufolge die benötigte absolute Mehrheit (61 Sitze) sicher.
haushalt Am Wochenbeginn bestätigte das Kabinett, was sein Chef bereits vor einigen Tagen angekündigt hatte: Es wird vorgezogene Neuwahlen zur 19. Knesset geben. Als Termin wurde der 22. Januar festgelegt. Eigentlich hätte das Parlament erst im Oktober 2013 neu gewählt werden müssen.
Der Grund für das Scheitern der Koalition nach drei Jahren sei der neue Haushalt, der keinen Rückhalt in der Koalition finde, erläuterte Netanjahu. »Es geht um nationale Interessen, und die kommen vor allen anderen.« Experten zufolge aber geht es für den Premier vor allem um eins: Machterhalt. Denn schon lange ist klar, dass die Fiskalpolitik der Regierung extreme Einschnitte für große Teile der Bevölkerung bringen wird, vor allem für die ärmeren. Steuererhöhungen und Kürzungen bei sozialen Leistungen stehen auf dem Programm. Das in einem Wahljahr durchzudrücken, dürfte auch für einen noch so populären Ministerpräsidenten schwierig werden.
Für Professor Momi Dahan vom Federmann-Institut der Hebräischen Universität in Jerusalem ist es daher logisch, dass die Regierenden den Haushalt gar nicht durchbringen wollten. »Sie haben Angst. Denn würde das Ausmaß der Einsparungen vor den Wahlen bekannt, sähen die Ergebnisse für die verantwortlichen Parteien alles andere als rosig aus.«
Comeback Also entschied sich Netanjahu für die Flucht nach vorn. Viele führende Politiker begrüßten seine Entscheidung, darunter Innenminister Eli Yishai, Israel-Beiteinu-Chef und Außenminister Avigdor Lieberman sowie die Vorsitzende der Arbeitspartei (Awoda), Scheli Jachimowitch. Eine jedoch kritisierte Netanjahu scharf: Zipi Livni. Als diese vor einem halben Jahr bei den internen Wahlen ihrer Mitte-Partei Kadima gegen Schaul Mofaz unterlag, hängte sie ihre Politkarriere an den Nagel. Mittlerweile aber geht in den Fluren der Knesset das Gerücht um, dass sie bereits an ihrem Comeback bastelt.
Vielleicht sogar gemeinsam mit einem anderen, der eigentlich nur noch seinen Hobbys nachgehen wollte – dem über eine Korruptionsaffäre gestrauchelten Ex-Premier Ehud Olmert. Ob der allerdings wieder in Jerusalem mitmischen darf, steht noch in den Sternen. Oder besser gesagt, in den Aktenbergen bei Gericht. Denn noch sind nicht alle seine Verfahren abgeschlossen. Zwar wurde Olmert in zwei Fällen freigesprochen, das Urteil in der sogenannten Holyland-Affäre aber steht noch aus.
Es dauere angeblich noch zwei Wochen, bis Olmert sich entscheide, heißt es. »Erst muss ich schauen, was gerichtlich und politisch mit mir geschieht«, soll er gesagt haben. Dabei hat er wohl bereits Umfragen in Auftrag gegeben, die ihm die Wahrscheinlichkeit eines Erfolgs prognostizieren. »Wenn es jemanden gäbe, der Netanjahu stürzen könnte, ob Livni, Lapid oder Jachimowitch, ich würde jeden Einzelnen unterstützen. Doch ich glaube, es gibt niemanden. Niemand glaubt das. Deshalb überlege ich, ob ich es tun werde, und schaue mir die Fakten an«, wird Olmert in israelischen Medien zitiert. Träte er an, wolle er es nicht allein tun, sondern eine geeinte Kadima mit Livni und Mofaz in den Wahlkampf bringen.
Korruption Doch so sehr ihn sich viele zurückwünschen, manch einer sähe ihn lieber für immer aus der Knesset verbannt. Polizeichef Jochanan Danino, der die Untersuchungen gegen Olmert geleitet hatte, erklärte, die Beweislast wiege schwer, die Freisprüche sollten revidiert werden. Der hohe Beamte sorgt sich, dass der Politiker ein Exempel darstellt und es nun bei zukünftigen Korruptionsermittlungen schwer sein wird, Anklagen durchzusetzen.
Für viele ist der ehemalige Kadimavorsitzende, der 2008 zurückgetreten war, dennoch der einzige echte Herausforderer Netanjahus – so es überhaupt einen gibt. Denn der jetzige Regierungschef hat mit seiner Abschreckungspolitik in Sachen Iran offenbar den Nerv des israelischen Volkes getroffen. Die Mehrheit ist überzeugt, dass er der Einzige ist, der im Ernstfall hart durchgreifen würde.
Zwar zeigten die Umfrageergebnisse die Bedeutung des Faktors Sicherheit, bestätigt Momi Dahan, es gebe aber durchaus anderes als nur das iranische Atomprogramm. Allen voran könnten die Wirtschaftslage und die von vielen Israelis empfundene soziale Ungerechtigkeit bei den Wahlen eine Rolle spielen. »Doch dafür müssen die Mitte-Links-Parteien das zu ihrem Hauptthema machen und damit in den Wahlkampf ziehen.« Für ihn eine logische Schlussfolgerung, denn im Grunde habe Netanjahu mit seinem Eingeständnis, dass die Regierung am Budget scheitert, sogar zugegeben, wie relevant das Thema ist.
Allerdings, so der Professor, komme es nun auf diejenigen an, die im Sommer 2011 auf den Straßen waren und »Zedek Chevrati« skandierten. Das seien vor allem junge Leute gewesen, die häufig nicht wählen gehen. »Doch nur, wenn die mobilisiert werden und ihre Stimmen für Parteien abgeben, die sich Wirtschaft und Soziales auf die Fahnen schreiben«, ist Dahan sicher, »gibt es überhaupt eine Chance auf einen Regierungswechsel.«