Didier Toubia bastelt an der Zukunft der Ernährung. Sagt er und gibt sich nicht unbescheiden: Sein Start-up sei führend bei der Suche nach neuen Wegen, um den Hunger der Menschheit zu stillen, so der gebürtige Franzose. Er ist Mitgründer und CEO von Aleph Farms, einem israelischen Start-up, das Steaks aus Zellkulturen auf den Markt bringen will.
Fleisch aus der Retorte ist auch für andere Forscher eine Herausforderung, nicht nur in Israel, sondern auch in den USA, in den Niederlanden oder in Japan. Die meisten, sagt Toubia, würden sich darauf beschränken, mit Zellen Frikadellen oder Würste zu produzieren. Das sei zwar anspruchsvoll – »aber um wie viel schwieriger ist es, im Labor ein ganzes Steak herzustellen?«, meint Toubia.
Am Herd steht Chefkoch Amir Ilan, der bei der Suche nach dem zellkultivierten Fleisch eng mit Toubia zusammenarbeitet und dafür Gewähr bieten soll, dass es wie Fleisch schmeckt. Ilan würzt das Minutensteak, bringt es zum Brutzeln, und schon verbreitet sich ein angenehm milder Geruch. Der Prototyp lässt sich auf dem Teller wie traditionelles Fleisch schneiden und mundet wie ein klassisches Steak. Einerseits. Anderseits ist das Stück flach, höchstens zehn Zentimeter lang und wiegt lediglich an die 50 Gramm. »Wir arbeiten daran, die Technik zu verbessern«, sagt Toubia.
NATÜRLICH Zudem ist das Steak mit 50 Dollar noch sehr teuer. Der Preis sei in diesem Entwicklungsstadium allerdings nicht übertrieben, meint Toubia: Der erste Burger, der vor sechs Jahren im Labor hergestellt wurde, kostete mehr als 300.000 Dollar. Im nächsten Jahr soll er bereits für zehn Dollar erhältlich sein, und bis 2025 werde er nicht teurer sein als »normale« Burger.
Toubia besteht darauf, dass er keinen Fleischersatz herstelle, sondern richtiges Fleisch.
Toubia besteht darauf, dass er keinen Fleischersatz herstelle, sondern richtiges Fleisch: »Wir verändern lediglich den Prozess, wie es produziert wird.« Sein Produkt sei nicht nur natürlicher als viele vegetarische Alternativen, sondern werde auch viel effizienter hergestellt.
Die Zeit drängt. Derzeit versuchen weltweit rund zwei Dutzend Firmen, Fleisch im Labor herzustellen, schätzt der amerikanische Journalist Paul Shapiro, der mit seinem Buch Clean Meat einen Bestseller gelandet hat. »Sauberes« Fleisch ist längst keine Nische für Öko-Freaks mehr. Für Steaks aus dem Labor interessieren sich auch Produzenten von traditionellem Fleisch.
»wiesenhof« So ist Deutschlands größter Geflügelkonzern »Wiesenhof« eine Partnerschaft mit dem israelischen Start-up Supermeat eingegangen. US-Branchenriesen wie Cargill, PHW-Gruppe und Bell Food haben ebenfalls in Start-ups investiert, die auf der Suche nach Fleisch aus dem Labor sind. Der größte Fleischproduzent in den USA, Tyson Foods, hat sich gleich bei mehreren solcher Firmen engagiert, um auf den Schlachthof verzichten zu können.
»Unsere ›Kühe‹ sind unsere Inkubatoren«, sagt Toubia, »die das Innere der Kuh simulieren, in dem die Zellen wachsen.« Um die komplexe Form, das Aussehen, die Textur und den Geschmack eines Steaks nachzubilden, werden einer Kuh vier verschiedene Zellarten entnommen: Stützzellen, die die Gewebestatik stärken, Fettzellen als Geschmacksträger, Muskelzellen, die für die richtige Fleischtextur sorgen, sowie Blutzellen für die Farbe.
Die Zelltypen werden anschließend kombiniert und genährt, damit sie zu einer komplexen Matrix heranwachsen, aus der das Muskelgewebe nachgebildet wird. Bis das Steak auf dem Teller landet, vergehen drei bis vier Wochen.
ÖKOLOGISCH Sein Projekt sieht Toubia auch als Beitrag für eine bessere Welt. Zellfleisch belaste die Umwelt deutlich weniger als Fleisch aus Massentierhaltung. Fleisch aus dem Labor reduziere die ökologische Belastung, weil es weniger Land und Wasser beanspruche. Das sei umso wichtiger, als der Fleischkonsum in den nächsten drei Jahrzehnten laut einer Studie der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) um 70 Prozent wachsen könnte.
Neue Studien halten dem entgegen, dass die Reduktion des Energieverbrauchs nicht erwiesen sei. »Letztlich ist der Produktionsprozess entscheidend«, räumt Toubia ein. Sein Start-up entwickle deshalb sechs verschiedene Produktionsprozesse und prüfe sie auf deren Energieeffizienz. Er hofft, dass er am Ende der Testreihen eine im Vergleich zu konventionell hergestelltem Rindfleisch bessere Bilanz nachweisen kann. Zudem erfordere der Prozess derzeit keine Genmanipulation von Zellen.
Inzwischen debattieren Rabbiner, ob das Steak aus dem Labor als fleischig oder als parve einzustufen ist.
Toubia, der in Dijon Agrarwissenschaften studiert und später an der israelischen Business School Kellogg-Recanati einen MBA erworben hat, trauert der traditionellen Viehzucht aus emotionalen Gründen nach. Früher hätten die Bauern eine Beziehung zu den Tieren gehabt. In der Massentierhaltung würden diese aber ausschließlich als Proteinlieferanten betrachtet.
In der Start-up-Nation Israel, so Toubia, profitiere er davon, dass die Zellforschung und -biologie bereits über eine Tradition verfüge und, anders als in vielen Ländern des Westens, nicht abgelehnt werde. Zudem finanziert die staatliche Innovationsbehörde einen Teil des Budgets. Das Start-up Aleph Farms gehört Strauss, einem der großen Nahrungsmittel- und Getränkekonzerne in Israel.
KOSCHER Toubia verspricht mit seinem Start-up allerhand, und man könnte geneigt sein, ihn als Schwärmer zu belächeln. Aber mit dem Verkauf von zwei selbst gegründeten Unternehmen hat er bewiesen, dass er sein Handwerk versteht. 2010 ging er mit Ice Cure Medical an die Tel Aviver Börse. Die Firma hat ein Verfahren zur Entfernung gutartiger Brusttumore entwickelt.
Zwei Monate nach der Zulassung durch die US-Gesundheitsbehörde FDA hatte die Firma einen Marktwert von 10,5 Millionen Dollar. 2016 erfolgte mit NLT Spine Toubias nächster Gang an den Markt. Die Firma, die Implantate zur Stabilisierung der Wirbelsäure entwickelt hat, wurde von dem kalifornischen Käufer Sea Spine mit rund 50 Millionen Dollar bewertet.
Dieses Mal beabsichtige er nicht, sein Unternehmen zu verkaufen. »Wir wollen eine weltweit führende Lebensmittelfirma werden, die mehrere Milliarden Dollar umsetzt«, meint Toubia. Kontakt hat er auch mit religiösen Autoritäten, mit Imamen und Rabbinern. Sie sollen seine Steaks als halal respektive koscher anerkennen. Auf besondere Probleme stoße er dabei vor allem in Indien: »Dort müssen wir beweisen, dass die Kuh bei der Zellentnahme nicht verletzt wird.«
Inzwischen debattieren Rabbiner, ob das Steak aus dem Labor als fleischig oder als parve einzustufen ist. Weil es nicht von geschlachteten Tieren kommt, könnte es auch zusammen mit Milchprodukten genossen werden. Was Toubia allerdings nicht sonderlich freut. Aus Gründen des Marketings stuft er sein Produkt lieber als richtiges Fleisch ein.