Als Jean-Michel Jarre weit nach Mitternacht am vorderen Rand der Bühne auf senkrecht in den Himmel strahlende grüne Laser eindrischt, die ihm wie Klaviertasten gehorchen, ist es soweit: Alles ist eins – der Sound, die Bilder, die Gefühle, die Menschenmassen in der judäischen Wüste, in Israel, in der ganzen Welt.
Und über allem wachen die Reste der Festung Masada, die im Hintergrund aufragt wie ein Mahner der Zeit. Dabei war gar nicht klar, dass dieses Once-in-a-Lifetime-Konzert überhaupt stattfinden würde. Aber von Anfang an.
Israel kurz vor Pessach, zwischen Platzregen und Wüstenwind. Der April bietet einige der wenigen wirklich grünen Momente des Landes. Jeden Tag gewinnt die Sonne an Kraft. Gerade noch springt man in Jaffa zwischen Pfützen vom Flohmarkt zum Tel-Aviv-Panorama, da liegt man am nächsten Tag schon in Jerusalem bei 30 Grad am Pool im glückseligen Hummus-Verdauungsschlaf. Gerade ist man mit dem Pessach-Putz durch – dieses Jahr wurde sogar der Toaster aufgeschraubt –, da kommt der Wüstenwind und bringt den Staub.
Sturm Am Tag des Konzerts faucht der Wind auch über Jarres 40-Meter-Bühne am Fuße von Masada. Am späten Nachmittag hat die Elektrizität aufgegeben. Mehrere Stunden Stromausfall. Kein guter Start für eine Elektromusik-Show der Extraklasse mit 512 Scheinwerfern, 25 Lasern und 500 Metern an LED-Screens. Um 20 Uhr sollte es losgehen mit israelischen DJs. Aufwärmen für den Meister. Doch der Wind wird zeitweise zum Sturm, der ganze Absperrungen umwirft. Die Polizei verschiebt immer wieder den Einlass.
Dann endlich, nach fast zwei Stunden, flaut es ab, Tausende Menschen ergießen sich in die Jean-Michel-Jarre-Zero-Gravity-Zone, und man wird das Gefühl nicht los, ein Raumschiff aus blauem Licht zu betreten. »Halten Sie Ihren Boarding-Pass bereit«, sagt eine freundliche Frauenstimme. Während der Wind nun fast zärtlich mit den Lichtern der Bühne spielt und der Goldstar-Bier-Verbrauch exponentiell zur Lichtshow ansteigt, bedeuten ihre Durchsagen, dass es hier um weit mehr geht als ein außergewöhnliches Konzert vor außergewöhnlicher Kulisse: nämlich um die Zukunft des Toten Meeres.
Dieser magische Ort, wo das Brom in der Luft für sofortige Entspannung sorgt, wo ein besonderer Mineralien-Cocktail im Wasser Heilung für alles Mögliche bietet, wo die Oase Ein Gedi liegt, deren Schönheit schon im Hohelied besungen wird, und wo einst David Zuflucht fand, dieser berühmte Salzsee schrumpft. Einen Meter jedes Jahr. Weil der Jordan-Fluss ihn nur noch mit einem Bruchteil der ursprünglichen Kraft auffüllt, weil der Abbau der begehrten Totes-Meer-Mineralien immer aggressiver wird, weil das Klima sich wandelt, weil die Politik nicht genug am Umweltschutz interessiert ist.
trump Künstler müssen Lärm machen, hat Jean-Michel Jarre vor dem Konzert im Interview mit dem französischen Radiosender RTL gesagt. Lärm, der die Politiker aufhorchen lässt. Das Tote Meer sei wie der Amazonas oder die Arktis, »wir müssen es beschützen«, so der französische Musiker. Deshalb unterstützt Jarre die Bemühungen, dass das Tote Meer in die Liste des Unesco-Welterbes aufgenommen wird.
Auch dafür wird hier heute Nacht getanzt. »Das ist eine Show gegen die Trumps dieser Welt, die meinen, dass es keinen Klimawandel gibt«, sagt Jarre und verwandelt alles in Töne. Sein Hit »Oxygène« wird in diesem Jahr 40 Jahre alt. Am Toten Meer ist mehr Sauerstoff in der Luft als irgendwo sonst auf der Welt.
Fünf neue Songs hat Jarre für das Konzert geschrieben, alle inspiriert vom Toten Meer. Andere erfindet er neu. Jarre spielt alles live, und der Sound ist unglaublich. Der 68-Jährige hüpft vor seinen Synthesizern auf und ab, immer wieder nickt er im Beat, als stünde er vor der Klagemauer. Alles klingt neu – sogar »Oxygène« – und man fragt sich, ob dieser Mann in seinem Leben nicht schon an allen Knöpfen gedreht hat. Wer war noch mal Skrillex?
traum »An diesem Ort hat alles angefangen«, sagt Jarre. »Das Leben, die Religion, die Philosophie.« Derweil starren die Konzertbesucher auf das Spiel der Farben und Formen, den Nebel aus dem die Laser Tunnel und Pyramiden bauen. Masada versteckt sich kurz hinter einer roten Wolke. Es ist wie ein realer Traum. Immer wieder schaut eine Drohne namens Igor Jarre bei der Arbeit zu. Die Bilder werden auf die riesigen Screens übertragen. Außerdem trägt der Elektro-Pionier eine Mikrokamera in der Brille: »Willkommen in meiner Küche«, sagt Jarre und lacht. Bis in die Morgenstunden geht die Party.
Und auf dem Weg zurück nach Jerusalem liegt das Tote Meer im Dunkel. Am Nachmittag noch haben viele Besucher des Konzertes ausgiebig darin geschwebt, gestaunt über das fast ölige Gefühl zwischen den Fingern und sich über die Kristalle gefreut, die unter der Wasseroberfläche immer wieder aufscheinen.
Unvorstellbar, dass dieser besondere Ort verschwinden soll. »Wenn sich nichts ändert, können wir in weniger als 50 Jahren nach Jordanien laufen«, hat Jarre gesagt. Eine Pfütze bleibt vielleicht übrig. Und wenigstens für diese Nacht möchte man daran glauben, dass Musik kapitalistische Gier besiegen kann.
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