Ihr Arbeitsgerät liegt ausgebreitet auf dem Werkstisch: Pinzette, Messschieber, Pinsel. In der linken Hand hält Banchiamlak Alemu einen silbernen Kettenanhänger, den sie mit einem elektrischen Schleifbohrer bearbeitet. Das Schmuckstück besteht aus zwölf durchbrochenen Blütenblättern, die noch zu vergolden sind – so viele Blätter, wie das Jahr Monate hat. So lange hat auch die Ausbildung der 33-jährigen Alemu in der Megemeria-Schule gedauert. »Megemeria« bedeutet »Schöpfung« oder »Geburt« auf Amharisch, der Muttersprache Alemus.
Vor zwölf Jahren hat die Mutter von drei Söhnen Alija gemacht: Sie stammt aus Äthiopien, und in Israel fand sie sich die ersten Jahre wie andere jüdische Einwanderer aus Schwarzafrika in einem Aushilfsjob wieder. Von »Megemeria« erzählte ihr eine Sozialarbeiterin, heute ist Alemu froh darüber: »Ich liebe meine Arbeit als Schmuckdesignerin, das ist eine fantastische Chance.«
Megemeria ist ein noch junges Projekt des Designer-Ehepaares Orna und Isaac Levy, die in Moza bei Jerusalem ihren Unternehmenssitz haben. Der Familienname rückwärts gelesen ergibt den Namen ihrer Firma: Yvel. Die Levys stellen Schmuck her – aus Perlen, Diamanten, Saphiren, Gold und Silber. Sie sind einige der wenigen ihrer Branche, die ihre Produktion in den vergangenen 20 Jahren nicht wegen der billigeren Löhne nach Asien verlagert haben: »Das ist eine Frage des Prinzips. Unser Motto lautet: ›Hergestellt in Jerusalem‹«, erzählt die 53-jährige Orna Levy.
Grundlage Perlen aufziehen hat Orna Levy bereits als Kind gelernt. Sie stammt aus einer Jerusalemer Juwelierfamilie, die Eltern hatten ein Geschäft im King-David-Hotel. Ihren Mann Isaac lernte sie während des Militärdienstes kennen. Danach musste sich das junge Paar beruflich orientieren. Dass die Nebenbeschäftigung seiner Frau einmal Grundlage für ein Unternehmen werden würde, konnten sich beide in den Anfängen nicht vorstellen. »Wir haben zunächst auf Juweliermessen wie der Inhorgenta in München ausgestellt«, sagt Orna Levy. Heute führen weltweit 650 Geschäfte ihre Kreationen.
»Ich liebe Perlen«, erzählt Orna. »Wenn wir ein neues Schmuckstück entwerfen, lassen wir uns immer vom Aussehen der Perle leiten. Dann wissen wir schon: Das wird ein Ring, das ein Ohrhänger.« Für ihre Kollektionen verwenden die Levys Zuchtperlen – Süßwasserperlen erkennt man an ihren Pastellfarben, Perlen aus dem Meer kommen in Gold, Silber, Schwarz, Weiß, auch Grün und Braun vor. Die Levys lieben das Farbenspiel: In der Schwarz-Weiß-Kollektion sind weiße und silberne Perlen mit Hunderten schwarzer und weißer Diamanten kombiniert. Kein Wunder, dass die 100 Beschäftigten schnell monatlich bis zu 100.000 Diamanten verarbeiten.
Bei der Auswahl seiner Mitarbeiter hat sich der heute 55-jährige Isaac Levy an seine eigene Herkunft erinnert. Sein Vater kam vor 50 Jahren aus Argentinien nach Israel, wo er einen schweren Start erlebte. Er begann mit einer Wurstfabrik, die jedoch nach kurzer Zeit pleiteging, weil sich der Geschäftspartner mit dem angesparten Geld aus dem Staub machte.
Äthiopier So beschäftigen die Levys größtenteils jüdische Einwanderer, unter denen die äthiopischen Juden zu den ärmsten gehören. Ihnen wollen sie mit der Megemeria-Schule beruflich einen erfolgreichen Weg in Israel ermöglichen.
Inzwischen haben schon zwei Jahrgänge die Ausbildung zum Schmuckhandwerker abgeschlossen, die staatlich anerkannt ist. Jedes Jahr werden 21 Auszubildende aufgenommen, doch die Zahl der Bewerber ist mehr als zehnmal so hoch. Die Lehrlinge erhalten während der zwölfmonatigen Schulzeit ein Stipendium in Höhe des Mindestlohns, was ihnen helfen soll, eine Familie zu unterhalten, da die meisten schon drei bis vier Kinder haben. Diese umgerechnet 800 Euro monatlich werden ihnen auch noch in den ersten sechs Monaten nach Übernahme bei Yvel gezahlt. »Danach erhöht sich das Gehalt je nach beruflichem Fortschritt«, erklärt Orna Levy.
Sponsor Ziel der Levys ist es, dass sich das Megemeria-Projekt einmal selbst finanziert. Denn »Megemeria« ist nicht nur der Name der Schule, sondern auch eine eigene Schmuckkollektion – inspiriert von der Kultur und Kunst der äthiopischen Juden. Die Einnahmen aus dem Verkauf der Ketten und Ohrringe, die oftmals mit amharischen Schriftzeichen verziert sind, fließt direkt in die Schule, die sonst von Privatspenden lebt. Der dritte Megemeria-Jahrgang hat einen in Israel berühmten Sponsor gefunden: Stef Wertheimer, der reichste Unternehmer des Landes. 21 Juden, Muslime und Christen nahmen in Wertheimers Gewerbepark in Nazareth in diesem Herbst eine Ausbildung auf.
Auch in ihrer eigenen Familie hoffen die Levys, ihre Liebe zum Schmuckdesign einmal weitergeben zu können. Noch sind die beiden erwachsenen Kinder mit der Armee und dem Wasserskisport beschäftigt. Der Sohn trainiert öfter auf Seen in Deutschland. Orna Levy sagt: »Ich bin sicher: Unser Sohn und unsere Tochter werden eines Tages in das Schmuckhandwerk mit einsteigen.«